Während die Buchmesse 2024 im Gang ist, werden am heutigen Freitag erneut die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) durch die Gewerkschaft ver.di bestreikt. Der Ausstand stößt nicht überall auf Gegenliebe, zugleich bemühen sich die LVB um einen Notfahrplan, um den Besucherzustrom nach Leipzig trotzdem zu bewältigen. Die Lage im Überblick.
Busse und Bahnen bleiben in den Depots, während Tausende Gäste anlässlich der Leipziger Buchmesse 2024 in die Stadt kommen, um auf die Neue Messe und zu den vielen Veranstaltungsorten in der Stadt zu gelangen: Die Verkehrslage am heutigen Freitag in Leipzig stellt sich kompliziert dar.
Hintergrund des Streiks am Freitag
Die Gewerkschaft ver.di hatte am Mittwoch einen weiteren Arbeitskampf im Linienverkehr für den heutigen Freitag angekündigt, der offiziell um 3 Uhr morgens begann und bis zum Samstag um 6 Uhr terminiert ist. Bereits Freitagmorgen sammelten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Streiklokalen, wie etwa am Straßenbahnhof Angerbrücke. Nach Beobachtung unseres Kollegen vor Ort fuhren trotz des Streiks einzelne Bahnen vom Hof. Zugleich kam es auch zu Tram-Blockaden durch Streikende.
Man habe sich darauf verständigt, die Bahnen maximal 15 Minuten aufzuhalten, um mit dem Fahrer oder der Fahrerin zu sprechen, so der LZ-Reporter am Ort des Streiks. Darüber hinausgegangen werden dürfe jedoch nicht.
Zur Rechtfertigung des derzeitigen Ausstands argumentiert ver.di, der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) habe kein ausreichendes Angebot vorgelegt, um auf die Forderungen des Fahrpersonals einzugehen. Diese bestehen nicht in Lohnerhöhungen, die bereits 2023 ausgehandelt worden waren, sondern in einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen. So gehören zum ver.di-Forderungskatalog unter anderem eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs, Zeitzuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie zusätzliche Regenerationstage für die Beschäftigten.
Nach Darstellung von Paul Schmidt, ver.di-Fachbereichsleiter und Verhandlungsführer, habe die Arbeitgeberseite in den Gesprächen zwar kleine Verbesserungen in Aussicht gestellt, zugleich solle es jedoch Mehrarbeit geben – eine Zusatzbelastung, die im Zweifel rein monetär abgegolten werde. Dies sei nicht akzeptabel.
Ein Angebot des KAV zum Mantel-Tarifvertrag Beschäftigungsbedingungen in Richtung ver.di vom 24. Januar war abgelehnt worden. Am 19. März hatte der KAV ein neues Angebot vorgelegt, eine weitere Runde am Verhandlungstisch zwischen KAV und ver.di ist für den 28. März geplant.
Generell kritisiert die Gewerkschaft, dass die zentrale Rolle des ÖPNV für die Alltagsmobilität, die Verkehrswende und den Beitrag zum Umgang mit dem Klimawandel sich bislang nicht hinreichend in den Arbeitsbedingungen des Personals spiegeln würde: „Daher ist es kein Wunder, dass es einen massiven Arbeitskräftemangel bei den LVB gibt, sodass das Angebot sogar eingeschränkt werden muss. So ist eine Verkehrswende in Leipzig schlicht unmöglich“, heißt es in einem Offenen Brief der LVB-Betriebsgruppe und der Initiative #WirFahrenZusammen vom Dezember 2023.
OBM und LVB äußern Unverständnis
Auf Verständnis stößt der heutige Arbeitskampf der Fahrerinnen und Fahrer jedoch nicht überall: „Ich habe kein Verständnis für diesen Streik zu diesem Zeitpunkt. Dieser Arbeitskampf beschädigt die Leipziger Messe und die gesamte Stadt. Zur Buchmesse empfangen wir in Leipzig hunderttausende Gäste, auf deren Rücken jetzt dieser Tarifkonflikt ausgetragen wird. Es gibt für diesen Streik während der Messe keinen vernünftigen Grund, die Tarifpartner müssen unverzüglich zurück an den Verhandlungstisch“, so Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).
Ulf Middelberg, Sprecher der LVB-Geschäftsführung: „Als Gastgeber versuchen wir – trotz der vollkommen unangemessenen Gewerkschaftsaktionen – ein Angebot für die Menschen in der Messestadt und unsere Besucher aufzubauen. Obwohl die Verhandlungen noch laufen, entsteht Schaden für unsere Stadt, die Messe und die LVB. Wir tun alles, um dies zu reduzieren.“
Kritik auch von Grünen-Vertretern und IHK-Präsident
Kritik auch seitens der Grünen: Man sei tief solidarisch mit dem Anliegen der Gewerkschaft und der Initiative #WirFahrenZusammen, der Zeitpunkt des Streiks zur Buchmesse sei jedoch inakzeptabel, so Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Leipziger Stadtrat. Man appelliere an die Gewerkschaft zum Innehalten, die Arbeitgeberseite solle so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Ihr Parteifreund Martin Meißner: „Die Buchmesse findet nach der Pandemie endlich wieder zum gewohnten Termin statt. Seit Jahren bangen wir um die Buchmesse. Der angekündigte Streik behindert die Messe zum Schaden für die Stadt. Ein Streik muss wehtun, aber wir fragen uns, ob die Buchmesse sich von diesem Schmerz erholen kann“, erklärt der Grünen-Stadtrat.
Kristian Kirpal hat für den heutigen Streik ebenfalls wenig Sympathien: Der Streikaufruf sei „überzogen und unverhältnismäßig“, da die Stadt in diesen Tagen Gastgeber für Autoren, Verlage und Gäste aus der ganzen Welt sei, so der IHK-Präsident. „Ein Streik im Nahverkehr wird dieses Aushängeschild und den Ruf des Wirtschafts- und Messestandorts Leipzig schwer beschädigen. Für die krisengeschüttelte Hotellerie und Gastronomie und für viele andere betroffene Branchen wäre dies ein Desaster.“
Zustimmung in Offenem Brief
Zuspruch für den Streik kommt dagegen in einem Offenen Brief, den Fridays for Future (FFF Leipzig) verschickte: „So wie es den Buchmesse-Gästen jetzt geht, könnte es in Zukunft alle treffen – ohne einen zuverlässigen ÖPNV kommt niemand in Leipzig von A nach B. Das geht nur mit den Beschäftigten, die Tag und Nacht Busse und Bahnen fahren.
Deshalb haben bereits 26 Autor*innen auf der Buchmesse einen Offenen Brief der Kampagne #WirFahrenZusammen an den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV), Bundes- und Landespolitik und die Fahrgäste unterzeichnet, in dem sie sich hinter die Forderungen von ver.di und Fridays for Future stellen“, heißt es darin.
Notfahrplan am Freitag, Subunternehmen nicht betroffen
Nicht zuletzt, um die vielen Messebesucher trotz allem zum Ziel zu bringen, versuchen die LVB einen Notfahrplan umzusetzen. So ist für die Linie 16 Richtung Neues Messegelände am Hauptbahnhof ein 5-Minuten-Takt am Freitag geplant. Die Trams 1, 3, 4, 7, 11, 15 sowie die Buslinien 70, 80 und 90 sollten aller 20 Minuten abrollen, was sich inzwischen aber als nicht umsetzbar erwiesen hat.
Die von Mobilitätspartnern betriebenen Buslinien seien weiterhin wie geplant unterwegs. Dies betrifft konkret die Linien 61, 62, 66, 67, 77, 83, 87, 88, 91, 143, 161, 162, 172, 173, 175, 176, Schulfahrten von Sommerfeld bis Taucha sowie Flexa Nord, Südwest, Leutzsch und Südost. Auch S-Bahnen und Flexa-Fahrten sind am Freitag im Angebot.
Die Kundschaft wird aufgerufen, sich am Freitag im Internet sowie über die App Leipzig MOVE über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.
Update 09:50 Uhr: Linie 16 aktuell im 5-Minuten-Takt unterwegs, sonst steht alles still – Kritik an Blockaden
Wie LVB-Sprecher Marc Backhaus am Morgen auf LZ-Anfrage mitteilt, seien seit 8 Uhr einzelne Fahrzeuge Richtung Messe unterwegs. Jetzt könne die Linie 16 voraussichtlich im 5-Minuten-Zyklus abgedeckt werden. Inwieweit das ausreichen wird, den Zustrom zu bewältigen, sei aber nicht absehbar.
Darüber hinaus stehen die Räder komplett still, so Backhaus weiter, ein breiteres Angebot sei bei den LVB aktuell nicht möglich. Mit Bezug auf die Blockade-Aktionen, wie an der Angerbrücke beobachtet, äußert der Pressesprecher Unverständnis und wirft den Streikenden eine Verschärfung vor. Blockaden seien in der praktizierten Form aus Sicht der LVB rechtlich nicht zulässig.
Trotzdem wolle man besonnen bleiben: „Wir werden es nicht eskalieren und vorerst nicht die Polizei rufen“, so Backhaus.
ver.di-Verantwortlicher weist LVB-Vorwürfe zurück
Paul Schmidt, ver.di-Fachbereichsleiter und Verhandlungsführer, weist die Vorwürfe der LVB gegenüber der LZ zurück: Blockaden seien rechtlich zulässig, die Fahrerinnen und Fahrer würden bis zu 15 Minuten aufgeklärt, aber nicht am Ausrücken gehindert, falls sie trotzdem Dienst tun wollen, betont Schmidt am Telefon. Man sei sich bewusst, was der Streik für Härten bedeute. Rein so sei er aber ein Erfolg und die Beteiligung deutlich höher als zuletzt: „Viele Kollegen sind sehr verärgert“, erklärt der Gewerkschafter.
Mit Blick auf die Fortsetzung der Gespräche mit der Arbeitgeberseite am kommenden Donnerstag äußert er: „Wir wollen uns sehr gerne einigen.“
Hinweis: Dieser Text wurde seit seiner Veröffentlichung mehrfach aktualisiert.
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