Rafael Laguna de la Vera ist Direktor der seit 2019 in Leipzig ansässigen Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND). Laguna ist Jahrgang 1964, in Leipzig geboren und 2019 mit der Berufung zum Gründungsdirektor von SprinD wieder in Leipzig angekommen. Mit ihm sprechen wir über das, was seine Agentur mit dem ungewöhnlichen Namen eigentlich alles anstellt.
Den ersten Teil des Gesprächs zur Arbeit von SPRIND beendete Rafael Laguna mit der Hoffnung: „Ich will nicht ausschließen, dass wir in 10 bis 15 Jahren ein Fusionsenergiekraftwerk haben.“
Da schiebe ich gleich mal ein. Es gibt ja jetzt den Hype um Kernfusion, seit dem gelungenen Labor-Experiment bei Lawrence-Livermore, wo immer noch fraglich ist, ob wirklich effektiv Energie erzeugt wurde.
Sie wurde erzeugt. Was nicht richtig dargestellt wurde: Die Energie, die der Laser abgegeben hat, war niedriger als die, die aus dem System rausgekommen ist. Allerdings war die Energie, die man in den Laser eingegeben hat, um ein hundertfaches höher als die Energie, die der Laser abgibt – weil der Laser nicht auf Energieeffizienz optimiert ist.
Persönlich schätze ich eine Entwicklungszeit bis zu einer eventuellen technischen Realisierung mit 30 Jahren ein, Sie sagten 15 Jahre. Sie können das vielleicht besser einschätzen. Für mich ist das Problem, hier bei der Kernfusion, aber auch im medizinischen Bereich mit den Mäuse-Experimenten. Es entsteht ein Hype, es wird z.B. gesagt, die Krankheit wäre schon heilbar oder wir haben jetzt Kernfusion, was ist von solchen Hypes zu halten?
Also es gibt solche und solche, muss ich vorausschicken. Es gibt Hypes, die auf keinen wissenschaftlichen Grundlagen basieren, denen sollte man grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Nur weil es alle brüllen, muss es ja nicht stimmen. Da muss man sich die grundsätzlichen Prinzipien der Technologie anschauen. Das ist das, was wir bei der SPRIND machen.
Meine Aussage, dass wir in 10 – 15 Jahren eventuell tatsächlich Fusionskraftwerke bauen können, beruht darauf, was wir die letzten Jahre gemacht haben. Das Lawrence Livermore National Laboratory macht schon lange Experimente. Jetzt ist zum ersten Mal die Gleichung in die eine Richtung gekippt. Wir fanden das Ereignis gar nicht so dramatisch, weil das eine inkrementelle Verbesserung ist. Damit haben wir sowieso gerechnet.
Man muss ganz andere Laser bauen und da haben wir uns schlau gemacht, ob man diese Laser bauen kann. Die Antwort ist: Ja, man kann diese Laser bauen. Diese sind dann wesentlich energieeffizienter und bringen auch die Leistung, die man braucht, um öfter als einmal im Monat schießen zu können, nämlich mindestens 10 Mal pro Sekunde. Das ist schon was anderes.
In Deutschland werden durchaus ähnliche Laser gebaut für die Belichtung von Chips in den ASML-Maschinen. Da wird sogar 50.000 Mal in der Sekunde ein Zinntropfen beschossen. Also das geht. Man muss das nur in der Leistungsklasse bauen, die für die Fusion gebraucht wird. Daraus leiten wir dann ab, das könnte es sein. Man kann mit Geld rauskriegen, ob das funktioniert. Das ist ja auch die Aufgabe der SPRIND.
Nächstes Thema, man kann mit Geld rauskriegen, ob das funktioniert. Eines unserer Probleme in Deutschland ist ja, dass wir keine richtige Fehlerkultur haben. Wir sagen immer, wir stecken Geld rein – das muss dann funktionieren. Wenn es nicht funktioniert, heißt es, jetzt kommen wir zum wissenschaftlichen Herangehen. Und wenn nur nachgewiesen wird, warum es nicht funktionieren kann, dann ist das ein Verlust – obwohl es ja eigentlich ein Erkenntnis-Gewinn ist.
Ja, Wissenschaft lebt ja davon, zu scheitern. Eine Kultur des Nichtscheitern-Wollens schließt aus, dass man Risiken eingeht, und damit sammelt man auch keine Erkenntnisse. So geht es dann auch nicht weiter. Damit bremst man den Fortschritt. Wir sehen das ja auch: da gab es gerade in der Zeitschrift Nature ein Paper darüber, ob wir die großen Innovationen überhaupt noch machen. Man hat nachgewiesen, dass zwar die Anzahl der Publikationen hochgeht, aber die Anzahl der wirklich wichtigen Publikationen nicht in gleichem Maße.
Das heißt, wir machen zwar immer noch mehr neue Erfindungen als früher, aber zu einem sehr hohen Preis. Wir produzieren zu viel Irrelevantes. Das heißt, dass wir schon im Wissenschaftssystem zu wenig Risiken eingehen. Als Agentur für Sprunginnovationen würden wir unseren Job nicht machen, wenn wir das nicht täten. Aber wir müssen natürlich dem Bundesrechnungshof und auch den Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum wir für etwas Geld ausgegeben haben und es hat nicht geklappt.
Ein wichtiges Instrument, wenn nicht das wichtigste, sind die SPRIND-Challenges. Dazu schreiben Sie auf der Website „Die SPRIND Challenges versammeln visionäre Teams, die an radikal neuen Lösungen arbeiten. Das Ziel: im Wettbewerb den besten Weg zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit finden.“ Das klingt für manchen ein wenig wie „Höhle der Löwen“. Wie läuft so eine Challenge ab?
Wir ermitteln, was die großen Fragen der Zeit sind; wo sich Technologiepfade kreuzen und wo wir hoffen können, dass wir in absehbarer Zeit und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine Sprunginnovation auslösen können. Wir wissen aber nicht, welcher Technologiepfad das ist.
Zum Beispiel brauchen wir dringend einen antiviralen Breitbandwirkstoff. Da ist in der Biotechnologie in den letzten 10 Jahren wahnsinnig viel passiert. Wir machen einen öffentlichen Aufruf zur SPRIND Challenge. Die Teams bekommen 6-8 Wochen Zeit, um einzureichen, wie sie die Nuss knacken wollen. Da bekommen wir so, in der Regel, 50 Einreichungen.
Kurze Zwischenfrage, die Teams reichen also nur den Ansatz ein, wie sie herangehen wollen?
Unterschiedlich. Manche sind noch im Ideenstadium, manche haben schon Vorarbeit geleistet. Am liebsten sind uns die, die schon unterwegs sind, die etwas am Wickel haben, das den Durchbruch bringen könnte. Häufig sind sie unterfinanziert, mit den wissenschaftsfinanzierungs- oder privatwirtschaftlichen Mitteln, die es da gibt, das ist sehr unterschiedlich.
Diese Einreichungen werden dann von uns vorgescreent und einer Jury zur Verfügung gestellt. Also das sind dann etwa 20 die durch das erste Tor kommen. . Die ausgewählten Teams dürfen dann vor der Jury pitchen, die ist besetzt mit einem diversen Team von Fachleuten. Also divers im Sinne von: Da sind Biologen und Mediziner dabei, aber auch Venture Capital-Leute und Gesellschaftsvertreter. Wir versuchen die ganze Szenerie auszuleuchten, also auch zu schauen, wie sind die Teams. Das machen wir mit unserem Kriterienkatalog, den wir haben, um Projekte zu bewerten. Die Jury wählt dann zwischen 5 und 15 aus, die an der Challenge teilnehmen dürfen. Die Teams kriegen dann in der Regel fürs erste Jahr ihr Geld, das kann zwischen einer halben und einer Million sein, also schon ordentlich Geld.
Damit können die Teams losarbeiten und werden zudem von uns gecoacht, begleitet. Nach einem Jahr müssen sie uns zeigen, wie weit sie gekommen sind und dann wählt die Jury aus, wer weitermachen darf. Diese Teams bekommen mehr Geld, meist das Doppelte fürs zweite Jahr. Zwischen einem Drittel und der Hälfte der Teams können nicht weitermachen.
Und das machen wir dann nochmal.
Falls unterwegs mal etwas hervorsticht, wo wir sagen „Das ist mal so richtig vielversprechend“, dann können wir das auch nehmen und es mit unseren Projektfinanzierungsmitteln, so wie wir das mit dem Höhenwindrad machen, noch wesentlich kraftvoller unterstützen. Der Wettbewerb bleibt bestehen. Es ist aber ein sehr kooperativer Wettbewerb, weil zwar alle im selben Feld arbeiten, aber mit unterschiedlichen Ansätzen. Die Teams befruchten sich durchaus gegenseitig. Wir können gezielt, mit guten Fachleuten beistehen und helfen.
Wir haben jetzt vier Challenges am Laufen und sind total happy mit der Art und Weise, wie sich da Tempo entwickelt und was wir da schon sehen können, was da entsteht. Das ist nicht die Höhle der Löwen, sondern die Höhle der Hipos, der High Potentials.
Es gibt viele Projekte bei SPRIND, vom Höhenwindrad, der Stärkung der digitalen Souveränität, der Alzheimerforschung über neue antivirale Mittel, der Krebsheilung bis hin zur Wasserreinigung, um nur einige zu nennen. Jedes einzelne Projekt schätzt SPRIND also als machbar ein. Die Finanzierung soll ja das Problem lösen, so habe ich das verstanden: das „Tal des Todes“ zu überwinden, welches durch Wegfall der Forschungsgelder beim Technology Readiness Level, etwa Stufe 3-5, entsteht.
Ja, das haben Sie richtig verstanden. Wir helfen den Teams auch dabei, für die Kommerzialisierung die Anschlussfinanzierung zu bekommen. Wir können nur den vorkommerziellen Bereich finanzieren, das ist das „Tal des Todes“. Irgendwann muss dann ein Technology Readiness Level erreicht worden sein, der zeigt, dass man jetzt auch eine Kommerzialisierung machen kann. Time to market, product market fit oder auch Kommerzialisierbarkeit usw. muss privatwirtschaftlich finanziert werden. Aber auch da fangen wir schon frühzeitig an, die Teams zu begleiten, damit sie den Übergang auch hinkriegen.
It’s time to market, für mich stellt sich die Frage: Abgesehen von den Ideen, die z.B. an deutschen Universitäten entwickelt wurden und z.B. in den USA realisiert wurden – auch wenn produktionsreife Produkte mit Hilfe der SPRIND entwickelt wurden, bedeutet das ja nicht zwangsläufig, dass diese dann auch hier produziert werden.
Deswegen ist es wichtig, wo die Anschlussfinanzierung herkommt.
Unterstützt SPRIND dabei auch?
Das machen wir in einem Schritt, also, dass es überhaupt eine Finanzierung gibt und dass es eine ist, die unseren Zielen genügt. Die SPRIND hat ja bis dahin sehr viel Geld in die Projekte eingegeben, mit dem Ziel, dass sich das Projekt hier entfalten kann und auch erfolgreich ist. Damit sind wir ein sehr angenehmer Investor, für die, die das machen wollen, aber auch ein sehr angenehmer Partner für privatwirtschaftliches Kapital, solange das auch unsere Ziele unterstützt. Wir sind nicht auf die Rendite dieses Investments angewiesen. Aber wir haben das volkswirtschaftliche Ziel, dass sich eine von uns finanzierte Technologie hier entfaltet.
SPRIND ist ja eine Bundesagentur, jetzt kommen aber auch Länder und Kommunen ins Spiel, die alle um Ansiedlungen werben. Ich habe darüber auch schon ausführlich mit André Hofmann gesprochen, dass in diesem Fall oft Fachkräfte fehlen. Was kann die Politik tun, um z.B. auf den Fachkräftemangel zu reagieren?
Wahnsinnig viel. Das sind jetzt zwar nicht die Kernthemen der SPRIND. Aber ich könnte ihnen einen ganzen Katalog dazu runterrattern. Hier und da sind wir auch involviert. Ansiedlung setzt ja voraus, dass genug Ausgründungen entstehen. Dazu muss man Ausgründungen einfach machen. Daran arbeiten wir, weil es noch sehr nah an unserem Geschäft ist.
Auf der anderen Seite ist das ganze Bildungsthema. Wir scheinen ein Schulsystem gemacht zu haben, welches MINT-Berufe uninteressant macht. Das kann jeder, der schulpflichtige Kinder hat oder hatte, oder der sich an seine eigene Schulzeit erinnert, sicherlich gut nachvollziehen. Wir bringen den Schülern und Studenten zum Thema Unternehmertum überhaupt nichts bei. Da gibt es zwar hier in Leipzig mit der HHL und den SpinLabs Bildungs- und Karrierewege, die man einschlagen kann. Aber man muss erst mal darauf kommen, dass es die gibt, und man muss sich das leisten können. Das ist noch nicht gut und breit aufgestellt.
Wir als SPRIND arbeiten an solchen Konzepten. Wir schauen, wo gibt es gute Beispiele im Bildungsbereich und machen daraus eine Serie von Workshops, wo wir mit diesen Menschen, die gezeigt habe wie es geht, Konzepte entwickeln und dann schauen, ob wir einen Partner finden, mit dem wir das umsetzen können. Aber Fachkräftemangel hören wir ja schon seit rund 20 Jahren und es wird ja noch schlimmer. Uns fehlen angeblich 400.000 Fachkräfte pro Jahr. Die Probleme können wir nur lösen durch Zuwanderung von fachkompetenten Menschen. Das sollten wir ausbauen. Aber wir müssen sie auch selber produzieren können. Und das geht nur über das Bildungssystem.
Teil 3 des Gesprächs gibt es morgen an gleicher Stelle.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
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