Das Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk trifft die Branche hart. Kein zweiter Wirtschaftszweig ist dermaßen stark von einem einzigen Tag im Jahr abhängig. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) sieht 3.000 Einzelexistenzen in Gefahr – auch in Mitteldeutschland. Die Leipziger Stadtverwaltung prüft unterdessen ein generelles Böllerverbot für die Silvesternacht.
Anfangs sah die Lage aus Branchensicht noch gut aus. Beim Bund-Länder-Gipfel verständigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten gegen ein generelles Verkaufsverbot. Die deutschen Pyrotechnikhersteller begannen daraufhin, ihre Ware wie jedes Jahr an die Verkaufsstellen auszuliefern. Am 13. Dezember folgte die Kehrtwende. Aufgrund unaufhaltsam steigender Infektionszahlen mit dem neuartigen Coronavirus einigten sich Kanzlerin und Länderchefs auf das bundesweite Verkaufsverbot, um auch zu Silvester die Kontakte zu reduzieren.
Fünf Tage später schuf der Bundesrat seiner Zustimmung zur Änderung der Sprengstoffverordnung Fakten. Wenngleich das Zünden von Feuerwerk bei weitem nicht überall kategorisch verboten ist, soll dieses Jahr kein einziger Böller über deutsche Ladentheken wandern.
Für die Branche bedeutet die Maßnahme den Super-GAU
Thomas Schreiber, Vorstandsvorsitzender des VPI und Geschäftsführer des Branchenriesen Weco, bringt die Lage aus seiner Sicht auf den Punkt. „Im Zweifel droht nun die Insolvenz eines ganzen Wirtschaftszweigs.“ Die Juristen des VPI sehen die Gefahr, dass die Überbrückungshilfen des Bundes an der Branche vorbeigehen werden. Der Grund: Die Feuerwerkshersteller erzielen 95 Prozent ihrer Umsätze in den Tagen vor dem Jahreswechsel, so Schreiber.
Allein Marktführer Weco beliefert bundesweit rund 20.000 Verkaufsstellen. „Da es sich um ein Kommissionsgeschäft handelt, liegt das Risiko vollständig bei der Industrie, das heißt wir müssen die Ware auf eigene Kosten zurückholen“, erläutert Schreiber. Durch das Verkaufsverbot sind etliche Arbeitsplätze bedroht. Allein Weco beschäftigt weltweit rund 400 Mitarbeiter. Der Marktanteil liegt nach eigenen Angaben bei 65 Prozent. An den Standorten Eitorf, Kiel und Freiberg betreibt das Unternehmen eigene Fertigungsanlagen.
Im Erzgebirge stehen 150 Arbeitsplätze auf der Kippe.
Verständnis beim Konsum Leipzig, Unternehmer unter Druck
Für die meisten Supermarktbetreiber ist der Feuerwerksverkauf ein Kommissionsgeschäft. „Unter den gegebenen Umständen haben wir vollstes Verständnis für die Maßnahmen und halten uns selbstverständlich an das Verkaufsverbot. Hier geht es um die Sicherheit und Gesundheit der Menschen, also auch unserer Kunden, Mitarbeiter und Mitglieder“, sagt die Sprecherin der Leipziger Konsum-Genossenschaft, Anja Malek.
Das betriebswirtschaftliche Ergebnis rücke für das Unternehmen in den Hintergrund. „Die betroffenen Artikel wurden noch nicht in alle Filialen ausgeliefert. Daher ist der logistische Aufwand für uns überschaubar“, berichtet Malek. Wo die Ware bereits vorrätig sei, werde sie zunächst vorschriftsgemäß und fachgerecht eingelagert und schließlich retourniert.
Felix Münch hingegen droht der finanzielle Ruin. Seit über 20 Jahren ist der 44-Jährige in der Branche aktiv. Der Leipziger veranstaltet ganzjährig professionelle Feuerwerke. Zu den Kunden seines Familienbetriebs „Fire & Magic“ zählten in der Vergangenheit bekannte Unternehmen wie die Stadtbau AG und RB Leipzig. Infolge der Corona-Beschränkungen brach Münch in diesem Jahr der Großteil der Aufträge weg. Die Hoffnungen des Pyrotechnikers ruhten auf dem lukrativen Silvestergeschäft.
Seit einer Dekade veranstaltet Münch den Feuerwerksverkauf auf dem Agra-Gelände. „In Leipzig eine Institution“, erzählt er stolz. Weitere Verkaufsstellen unterhält er im Felsenkeller und in Meißen. Im Gegensatz zu den Supermärkten bietet Münch ein markenübergreifendes Sortiment an. Kunden können ganzjährig über einen Online-Shop vorbestellen.
Das Verkaufsverbot trifft Kleinunternehmer wie ihn besonders hart. Münch führt sein Gewerbe als Einzelunternehmer. Für Verbindlichkeiten haftet er mit seinem Privatvermögen. Im Gegensatz zu den Supermärkten hat er nicht auf Kommission geordert. „Wir haben die Ware gekauft und müssen sie im Januar bezahlen“, erzählt der verzweifelte Unternehmer.
Wie er dies bewerkstelligen soll, weiß er noch nicht. Die Finanzhilfen des Bundes würden auf sein Unternehmen nicht passen. Einige wenige Kunden hätten ihre Bestellungen auf das Folgejahr umgebucht.
Ein anderes Problem ist die Lagerung. „Unsere eigenen Kapazitäten sind nicht für diese Mengen ausgelegt.“ Die rechtlichen Anforderungen sind aus Sicherheitsgründen hoch. Für die kurzfristige Einlagerung des Feuerwerks in den Agra-Hallen vor Silvester besitzt „Fire & Magic“ lediglich eine Ausnahmegenehmigung. Durch das Verkaufsverbot entgehen den Leipzigern nach eigenen Angaben Umsätze im mittleren sechsstelligen Bereich. „Wir haben alles auf Silvester gesetzt“, berichtet Münch. „Wir wissen nicht, wie wir weitermachen.“
Böllerfreie Zonen in Leipzig?
Bundesweit ist bislang nur der Verkauf der Silvesterknaller untersagt. Einige Städte, darunter die Landeshauptstadt Dresden, haben zusätzlich deren Abbrennen in der Silvesternacht untersagt oder entsprechende Verbote angekündigt. Die Leipziger Stadtverwaltung hat sich in dieser Frage noch nicht festgelegt. „Das Thema wird geprüft“, teilte ein Pressesprecher auf Anfrage mit. „Ein Ergebnis sollte noch in dieser Woche vorliegen.“
Nach Medienberichten ist ein Teilverbot für die Bereiche um das Connewitzer Kreuz und den Augustusplatz geplant.
Auch der Ökolöwe spricht sich für ein dauerhaftes Böllerverbot für Leipzig aus
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Keine Kommentare bisher
Über das Verkaufsverbot haben sich vor allem die Händler in Polen und Tschechien gefreut. Man konnte es an der Lautstärke der Knaller deutlich hören.
Warum hat man in Leipzig kein zentral organisiertes Feuerwerk veranstaltet mit dem Hintergrund, privates Feuerwerk immer weiter zurückzudrängen, was ich persönlich begrüßen würde?
Schade, Chance verpasst.