Die Coronakrise brachte es unbarmherzig an den Tag, wie wenig Reserven gerade die Solo-Selbstständigen in Leipzig haben. Über Nacht brachen vielen von ihnen die Aufträge weg. Und die Hilfsprogramme passten bei den meisten überhaupt nicht zum Geschäftsmodell. Und einen schlagkräftigen Verband haben sie erst recht nicht. Aber seit September zumindest eine Anlaufstelle. Am 27. November gibt es die ersten Online-Angebote.

Am 1. September fiel in Leipzig der Startschuss für das Projekt „Haus der Selbstständigen“, das die Interessen von Solo-Selbstständigen bündeln will und zur zentralen Anlaufstelle für ihre Netzwerke und Verbände werden soll.

„Gerade durch die Coronakrise sind zahlreiche Solo-Selbstständige in eine tiefe berufliche und existenzielle Krise geraten und würden von starken Interessenvertretungen profitieren“, erklärte dazu Projektleiterin Gerlinde Vogl.

In der zweijährigen Projektlaufzeit werden ein berufsübergreifendes Vernetzungs- und Weiterbildungsangebot für Solo-Selbstständige und Plattformbeschäftigte sowie Beratungsmöglichkeiten zur Bildung von Interessengemeinschaften entstehen. Ziel ist es, Solo-Selbstständige und ihre Belange stärker in die öffentliche und politische Wahrnehmung zu rücken, ihre Vergütungssituation und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Am zentral gelegenen Standort in der Jacobstraße 5 nimmt das siebenköpfige Projektteam mit Wissenschaftlerinnen, einer Gewerkschaftssekretärin und einer Projektmanagerin in enger Zusammenarbeit mit Partnern und Auftragnehmer/-innen die Arbeit auf. In einem ersten Schritt werden sie Kontakte zu relevanten Institutionen und Organisationen in Leipzig und der Region aufbauen, Bedarfe erfragen und im Dialog mit ihnen an Lösungsansätzen arbeiten.

Evaluiert wird das Projekt von Arbeitssoziolog/-innen; auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ist der Aufbau einer digitalen Plattform für Selbstständige und Crowdworker/-innen geplant. Die Stadt Leipzig steht seit Anbeginn hinter dem Projekt „Haus der Selbstständigen“: Oberbürgermeister Burkhard Jung betonte in seinem Unterstützerschreiben die „Potentiale und Anknüpfungspunkte, nicht zuletzt zur Entwicklung und Erprobung neuer Formate der digitalen Vernetzung und Bündelung von Interessen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ von Solo-Selbstständigen und sicherte Hilfe bei standortspezifischen Fragestellungen zu.

Gerlinde Vogl: „Wir freuen uns auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit möglichst vielen Stakeholdern aus diesem Bereich, um mit ihnen gemeinsam und solidarisch an der Verbesserung der Situation von Solo-Selbstständigen zu arbeiten.“

In Leipzig gibt es schätzungsweise 15.000 Solo-Selbstständige und Plattformarbeiter/-innen in den unterschiedlichsten Branchen und Berufen – von Menschen, die gern selbstbestimmt und ohne Vorgesetzte arbeiten bis hin zu solchen, die lieber festangestellt wären. Viele von ihnen haben sich bereits bei Stammtischen, in Initiativen und Netzwerken zusammengeschlossen, tauschen sich aus und beraten sich gegenseitig.

Die ersten Ausrufezeichen seiner Arbeit setzt das Haus der Selbstständigen (HdS) nun am 27. November gleich mit zwei virtuellen Veranstaltungen. Der thematische Schwerpunkt liegt getreu der Ausrichtung des Förderprogramms „Zukunftszentren“ im Rahmen des Europäischen Sozialfonds auf Zukunftsfragen der Interessenvertretung von Solo-Selbstständigen: vormittags mit einer Vorstellung des Hauses und seiner Ziele sowie Stimmen von Vertreter/-innen verschiedenster Berufe und Initiativen, am Nachmittag mit ersten Forschungsergebnissen und einem spannenden Panel zu Möglichkeiten und Grenzen einer solidarischen Gesellschaft.

Die Angebote am 27. November

Am Vormittag (9 bis 11:30 Uhr) stellt sich das Haus der Selbstständigen vor. Grußworte halten u. a. Fabian Langenbruch (Leiter der Unterabteilung Digitalisierung und Arbeitswelt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Clemens Schülke (Kommissarischer Dezernatsleiter Dezernat Wirtschaft, Arbeit und Digitales der Stadt Leipzig sowie Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Danach geht es um die Frage, wie die Interessenvertretung von Solo-Selbstständigen in einer von Digitalisierung geprägten Arbeitswelt gestaltet werden kann. Dazu sprechen Hans J. Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vesna Glavaski vom HdS. Was Solo-Selbstständige umtreibt und was sie von der neuen Institution erwarten, wird in Video-Statements präsentiert.

Der Nachmittag (13 bis 17 Uhr) steht im Zeichen erster Forschungsergebnisse zu Erfahrungen Solo-Selbstständiger mit der Corona-Soforthilfe.

Wissenschaftler/-innen von der Humboldt Universität sowie der Technischen Universität Berlin präsentieren Erkenntnisse aus ihren Untersuchungen der letzten Monate. Über die Corona-Pandemie als Krise der Selbstständigen spricht Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Im anschließenden Panel diskutieren Expert/-innen des Leipziger Wirtschaftsdezernats, der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur (HTWK), der Initiative „Lehrkräfte gegen Prekarität“ sowie des Referats Selbstständige der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Unter dem Titel „Ambivalenz der Soforthilfe?“ sollen die Möglichkeiten und Grenzen der neuesten Corona-Hilfen und damit einer solidarischen Gesellschaft ausgelotet werden.

„Die beiden Veranstaltungen bilden den offiziellen Auftakt unseres Dialogs sowohl mit unserer Zielgruppe, den Solo-Selbstständigen, als auch mit Wissenschaft, Politik und Wirtschaft“, betont HdS-Projektleiterin Gerlinde Vogl. „Die Ergebnisse dieser ersten beiden Tagungen werden in unsere Arbeit einfließen.“

Das Projekt der INPUT Consulting gGmbH wird im Rahmen des Förderprogramms „Zukunftszentren“ des Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unterstützt. Es wird gemeinsam von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Ludwig-Maximilians-Universität München (Institut für Soziologie) und der Universität Kassel (Fachgebiet Wirtschaftsinformatik und Systementwicklung) realisiert.

Die Anmeldung für die Angebote am 27. November kann man hier vornehmen.

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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