Deutschland ist ein seltsames Land. Über 3 Millionen Menschen sind arbeitslos, die Medien reden von „Vollbeschäftigung“, die Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Und das betrifft längst nicht mehr nur qualifizierte Facharbeiter, Lehrer und Polizisten. Zum ersten Mal müssen auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) ihr Angebot einschränken, weil Straßenbahnfahrer fehlen. Oder Fahrerinnen.
Die Meldung las sich am Montag, 6. August, beinahe harmlos:
Tram 10 fährt weiterhin im Ferienfahrplan – verstärkter Schülerverkehr durch Linie 18/19
Montag, 6. August 2018
Straßenbahnlinie 10 fährt ab 13. August weiterhin im Ferienfahrplan. Somit verkehrt ab Wahren alle 20 Minuten eine Bahn nach Lößnig. Alternativ können Sie die Linie 11 und 16, die größtenteils denselben Linienweg fahren, nutzen. Personalbedingt fährt Tram 10 noch bis zum Herbst nach Ferienfahrplan. Gleichzeitig erhöhen die Verkehrsbetriebe ihre Personalsuche, um neue Kollegen für den Fahrdienst in der wachsenden Stadt Leipzig zu gewinnen und dem Fahrgastwachstum gerecht werden.
Aufgrund der Schulauslagerung der 94. Oberschule in Miltitz in ein Schulgebäude in der Max-Plank-Straße im Waldstraßenviertel verkehren folgende Zusatzlinien nur an Schultagen mit einer Hinfahrt früh und einer Rückfahrt nachmittags. Linie 18 verkehrt von Miltitz, wie Linie 15 bis Waldplatz, Waldstraße zur Veranstaltungshaltestelle Sportforum-Ost. Linie 19 fährt von Lausen, wie Linie 1 bis Adler über Zschochersche Straße wie Linie 3 bis Waldplatz über Waldstraße zur Veranstaltungshaltestelle Sportforum-Ost.
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Die Linie 10 ist keine unwichtige Linie, schon gar nicht im Schülerfahrverkehr. Wer durchzählt, kommt auf mindestens zwölf Schulen entlang der Strecke. Und natürlich ist die Einschränkung des Fahrbetriebs selbst kein Novum. Schon in den vergangenen drei Jahren gab es immer mal wieder solche Verknappungen – insbesondere dann, wenn etwa Grippewellen auch die Fahrerinnen und Fahrer der LVB erwischten. Aber auch das war schon ein Novum. In den Jahren davor war das meist noch abzupuffern gewesen, gab es noch flexibel einsetzbare Reserven.
Die gibt es aber nicht mehr.
Seit über einem Jahr suchen die LVB nun (endlich) forciert nach Fahrpersonal. Wo überall, können wir nicht sagen. Dazu haben wir noch eine Presseanfrage offen. Auffällig sind die mehr oder weniger witzigen Plakate in den Straßenbahnen selbst und die Hinweise im Fahrgast-TV. Aber wer liest so etwas noch? So richtig Interesse erweckt beides nicht.
Natürlich suchen Menschen, die eine feste Beschäftigung wollen, auch auf der Homepage der Leipziger Gruppe (LVV). Ob sie sich auch durchfinden, ist eher eine Frage der Orientierung. Unter den wechselnden Aufmacherbildern ist auch der Artikel, der die Seitenbesucher auf die Stellen- und Ausbildungsplatzangebote der LVB lenkt.
Und unter dem direkten Button „Karriere/Stellenangebote“ kommt man auch gleich zu den aktuellen Stellenangeboten. Vor fünfzehn Jahren hätten wohl viele Leipziger gejubelt, wenn sie so eine lange Liste offener Stellen irgendwo gefunden hätten – die LVB suchen ja fast alles, vom Elektroinstallateur über den Spritzlackierer bis zum Fahrzeugreiniger. Und natürlich werden hier auch Staßenbahnfahrer/-innen und Busfahrer/-innen gesucht. Auch Quereinsteiger werden gern genommen. Und auch die wichtigsten Informationen kann sich, wer sucht, gleich herunterladen.
Es gibt Eignungstests. Die Ausbildung bei der LVB-Tochter LSVB dauert fünf Monate. Und danach verdient man um die 2.000 Euro brutto, ist aber natürlich auch in einem anspruchsvollen Verkehrssystem unterwegs, in dem es auch immer wieder stressig werden kann.
Der Job ist natürlich ein klares Beispiel dafür, dass es ohne Menschen, die jeden Tag möglichst dickfellig ihre Arbeit tun, nicht geht. Auch wenn die LVB durchaus am Ende der 2020er Jahre die Notwendigkeit sehen, auch über das Thema fahrerlose Straßenbahn nachzudenken. Denn es sieht ja nicht so aus, dass sich der Nachwuchsmangel in irgendeiner Weise mildern wird.
Ein erstes Pilotprojekt ist ja der Test autonom fahrender Busse zwischen Messe und BMW-Werk, der 2019 starten soll. Was aber die Probleme der Gegenwart noch nicht klärt. Der Geburteneinbruch in den 1990er Jahren wird zur Nagelprobe. Oder ist es schon längst geworden.
Und irgendwie verwundert es auch nicht, dass diese Meldung gerade jetzt kam, da auch der Leipziger Wohnungsmarkt für Normalverdiener eng geworden ist.
Ganz bestimmt werden Leipzigs Statistiker bald wieder eine schöne Leerstandsschätzung bringen. Aber 90 Prozent des Leerstands werden Wohnungen in einem Preissegment sein, das sich ein Leipziger Straßenbahnfahrer nicht mal dann leisten kann, wenn er auf alle Urlaubsreisen verzichtet.
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Und weil das Thema brennt, laden die LVB kurzerhand ein zum Fahrpersonal Rekrutierungstag. Die komplette Meldung dazu:
Nimm das Steuer selbst in die Hand – Verkehrsbetriebe laden zum Rekrutierungstag
Potentielle Bewerber als Fahrer dringend gesucht
Mit Blick auf die Herausforderungen der wachsenden Stadt verstärken die Leipziger Verkehrsbetriebe ihre Personalsuche und gehen neue Wege. Mit einem Rekrutierungstag am 14. August 2018 auf dem Augustusplatz und am 25. August in der Angerbrücke wollen die Verkehrsbetriebe den verantwortungsvollen Beruf eines Fahrers interessierten Leipzigern vorstellen und somit neue Bewerber gewinnen.
„Als Mobilitätsdienstleister bieten die Leipziger Verkehrsbetriebe eine hohe eigenverantwortliche Arbeitsweise in einem stabilen Umfeld für Frauen und Männer gleichermaßen. Als kommunales Unternehmen bieten die Verkehrsbetriebe ihren Mitarbeitern nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz mit Zukunft, sondern auch die Möglichkeit als Fahrer Mobilität in Leipzig und den alltäglichen Wandel und das Wachstum ihrer Heimatstadt hautnah mit zu erleben“, so Michael Halberstadt, Arbeitsdirektor der Leipziger Verkehrsbetriebe.
Das stetige Wachstum stellt die Verkehrsbetriebe jedoch auch vor neue Herausforderungen. Durch die zahlreichen Großveranstaltungen, wie Konzerte und Fußball, sowie die zahlreichen Zusatzleistungen durch Baustellen besteht, neben der üblichen Linienleistung, ein erhöhter Personalbedarf, der sich aufgrund der zukünftig steigenden Zahlen bei den altersbedingten Rentenabgängen weiter erhöht. Aufgrund des sich gut entwickelnden Arbeitsmarktes und der hohen Nachfrage nach Fachkräften kommt es jedoch aktuell, wie in vielen Branchen in Deutschland, in der Personalsuche zu Engpässen.
„Die LVB ziehen dabei alle Register, um die angespannte Personalsituation zu entschärfen. Dazu gehören unter anderem neben der verstärkten Personalsuche im weiteren Umland, auch die Zusammenarbeit mit externen Vermittlern von Arbeitskräften, gesundheitsfördernde Maßnahmen für bestehende Mitarbeiter sowie die Personalausleihe bei anderen Verkehrsunternehmen in Europa. Der Blick über den Tellerrand zeigt jedoch, dass alle Unternehmen der Branche derzeit auf Grund der wachsenden Bedeutung der Mobilitätsdienstleistungen mit personellen Engpässen zu kämpfen haben“, so Halberstadt weiter.
Eine interne Arbeitsgruppe arbeitet an konkreten Maßnahmen zur Milderung der personellen Situation.
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