Auf den Tag wartet die Leipziger Wirtschaftspresse immer ein ganzes Jahr mit zappelnden Füßen: Schaffen sie es oder schaffen sie es nicht? Es geht um die Bilanz der Leipziger Stadtholding LVV, Mutter der sogenannten Leipziger Gruppe. Macht sie so viel Plus, dass sie die LVB finanzieren kann, oder nicht? Am Mittwoch, 7. Juni, war sie dann endlich, die Bilanzpressekonferenz für das Jahr 2016. 73,9 Millionen Euro Plus hat die LVV 2016 erwirtschaftet.
Trotz aller Bedenken, trotz außerplanmäßiger Steuerabführung, trotz Turbulenzen auf dem Energiemarkt. Alle Andeutungen aus dem Vorjahr, es könnte schiefgehen, mündeten am Mittwoch in die Aussage von OBM Burkhard Jung, dem Vorsitzenden des LVV-Aufsichtsrates: „Die Leipziger Gruppe steht heute auf stabilem Boden.“
Man staunt. Immerhin umwehten den Stadtkonzern jahrelang heftige Stürme. Vor fünf Jahren bekam der Konzern vom OBM ein Sanierungskonzept verpasst. Schulden runter, gefährliche Papiere und Verträge loswerden, Wasserwerkegeschäftsführer Heininger war ja schon weg und hatte seinen Prozess am Hals.
Aber noch immer hängt der Deal, den Heininger mit der Schweizer Großbank UBS eingefädelt hatte, wie ein Damoklesschwert über dem Konzern.
Auch wenn Burkhard Jung genauso wie Norbert Menke und Volkmar Müller, die beiden Geschäftsführer der LVV, betonte: Ein Sieg der UBS über Leipzig ist eigentlich nicht zu erwarten.
Auch wenn eigentlich der letzte Londoner Richterspruch für den Mai erwartet worden war.
Doch die Londoner Richter prüfen lieber lang und gründlich. Mit dem Richterspruch ist nun, so Norbert Menke, Ende des Jahres zu rechnen. Es geht nur noch darum: Ist beim ersten Prozess, den die Leipziger Wasserwerke eindeutig gewonnen haben, alles richtig zugegangen? Gibt es einen kritischen Punkt? Wenn die Argumentation des Richters stimmt und alle Schritte zum Urteil logisch sind, dann müsste Leipzig auch in der Berufungsverhandlung recht behalten.
Die Summe, um die es geht, sind jene 500 Millionen Euro, die nach wie vor im Raum schweben. Rund 350 Millionen waren es 2010, als die UBS, frech wie eine Schweizer Großbank, die Summe den Leipziger Wasserwerken einfach mal in Rechnung stellte, obwohl man dort wusste, dass man mit Heininger gemeinsam doch irgendwie ein sehr unübliches Seitengeschäft eingefädelt hatte, eine regelrechte Wette, zu der Heininger als kommunaler Geschäftsführer gar nicht berechtigt war.
So ungefähr formulierte es dann auch der Londoner Richter.
Aber da die Berufung noch läuft, schweben die 350 Millionen da, durch die mittlerweile aufgelaufenen Zinsen aufgebläht zu ungefähr 500 Millionen Euro.
Was die Leipziger mittlerweile nicht nur zweistellige Millionenbeträge an Anwaltskosten gekostet hat (reines, echtes Geld der Leipziger, das man sonst in Wasserrohre, Kanäle oder eine kleine Preissenkung hätte investieren können).
So konnte also jetzt noch kein Schlussstrich gezogen werden.
Und die Wasserwerke konnten nicht zum dritten Mal 30 Millionen Euro Gewinn vermelden, sondern nur 24 Millionen.
Denn das Finanzamt wollte auch nicht warten, bis in London alles erledigt ist, sondern hat schon mal eine Umsatzsteuerforderung für den ganzen Klumpatsch gestellt. „Die haben wir dann lieber schnell bezahlt“, sagt Volkmar Müller, der bei der LVV fürs Kaufmännische zuständig ist. Wenn Finanzämter überzeugt sind, sie bekämen Umsatzsteuer (auch wenn die Wasserwerke von den Umsätzen gar nichts hatten), dann zahlt man in Deutschland lieber. Möglich, so Müller, dass man das später mal verrechnen kann. Wenn klar ist, dass die UBS kein Weihnachtsgeschenk bekommt.
Die kleine Spritze ans Finanzamt war dann natürlich eine außerplanmäßige Aufwendung, die das 30-Millionen-Ergebnis der Wasserwerke auf 24 Millionen drückte.
Was trotzdem keinen Ärger machte.
Denn gleichzeitig haben die Stadtwerke ihr Ergebnis gesteigert von 55 auf 64 Millionen Euro. Damit hätte keiner gerechnet im Hause LVV. Immerhin gelten derzeit die Stadtwerke als Sorgenkind, weil sie mitten in der Energiewende stecken, die großen Stromgeschäfte an der Börse wegschmelzen und der Gesetzgeber gerade versucht, ihnen das Geschäft mit den Netzen zu zerschießen.
Aber die Stadtwerke hatten Glück, sie konnten günstig einkaufen. Und dann gab’s auch noch richtigen Winter und viele kalte Tage. Die Leipziger mussten ein bisschen mehr heizen, verbrauchten mehr Fernwärme. Das Ergebnis machte die LVV glücklich, denn die konnte mit dem Geld von Wasserwerken und Stadtwerken wieder problemlos (das betonte auch Burkhard Jung besonders) den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag erfüllen. Das ist das Konstrukt, über das die LVB jährlich 45 Millionen Euro von der LVV als Zuschuss bekommt.
In Wirklichkeit würde das nicht reichen. Auch nicht mit den 3 Millionen, die der Stadtrat noch extra obendrauf packt.
Tatsächlich „gibt“ die LVV deutlich mehr. Nämlich über die Investitionsprogramme, die mittlerweile alle im Stadtkonzern abgestimmt werden. Das ist ein eigenes Thema.
Wichtig ist, dass nicht nur OBM und LVV-Spitze sich freuen konnten. Denn dass die L-Holding sich stabilisiert hat, bedeutet eben auch, dass sie auch die nötigen Investitionen stemmen kann, um die wachsende Stadt am Laufen zu halten. Das bringt zwar auch mehr Umsätze. Aber gleichzeitig muss das Wassernetz zukunftsfähig gemacht werden (allein ins Klärwerk Rosenthal müssen demnächst 60 Millionen Euro investiert werden), die Stadtwerke wollen die Gas- und Stromnetze in den eingemeindeten Ortsteilen kaufen (mit der Mitgas streiten sie sich derzeit noch über den Kaufpreis) und die LVB müssen massiv ins Netz investieren, nicht nur in neue Straßenbahnen.
Norbert Menke hat es zumindest schon mal prognostiziert: Wenn die drei Kommunalunternehmen fit bleiben wollen, müssen sie bis 2030 pro Jahr 173 Millionen Euro investieren. So viel wie 2016. Und da stöhnten die Leipziger schon wegen der vielen Baustellen.
Was steht unterm Strich?
73,9 Millionen Euro plus. Das sind rund 15 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Das Geld fließt aber nicht ins Leipziger Stadtsäckel, sondern soll die Kreditwürdigkeit der LVV weiter stärken. Deswegen wurde, was übrig blieb und nicht vom Finanzamt in Rechnung gestellt wurde, in die Rücklagen gesteckt.
„Wir müssen die günstige Zinsphase jetzt nutzen, so viel wie möglich zu investieren“, sagt Volkmar Müller.
Zu tun gibt’s genug.
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