Während Deutschlands große Energiekonzerne noch immer zögern, zaudern und mit allen Bandagen für ihre großen Atom- und Kohlekraftwerke kämpfen, versuchen die Leipziger Stadtwerke den Umbau für eine völlig andere Energiezukunft jetzt ernsthaft anzugehen. Erst einmal mit den Besitzern von Ein- und Zweifamilienhäusern. Die haben ja Platz auf dem Dach für Solaranlagen.
Die Energiewende selbst ist schon lange im Gang. Und sie wird von den Bürgern vorangetrieben, von all jenen, die sich in den vergangen 15 Jahren eine Solaranlage angeschafft haben oder sich an diversen Projekten beteiligen. Dazu kamen mit der Zeit auch die großen Solar-und Windparks. Zusammen produzieren sie mittlerweile so viel Strom, dass die großen Kraftwerksbetreiber sogar noch Geld drauflegen müssen, um ihren Strom aus der Grundlast in Hochzeiten überhaupt loszuwerden.
Auch die Stadtwerke Leipzig werden sich der Entwicklung nicht entziehen können. Doch die haben sich entschieden, sich lieber selbst umzubauen vom reinen Energielieferanten zu einem Dienstleister, der den Leipzigern den Einstieg in die neue, dezentrale Stromwelt erleichtert. Wenn Dr. Johannes Kleinsorg, Geschäftsführer Leipziger Stadtwerke, von diesem neuen Projekt spricht, nimmt er auch schon einmal vorsichtig den Begriff „virtuelles Kraftwerk“ in den Mund. Auch wenn er weiß, dass das noch seine Zeit braucht.
Das Bild dahinter: Tausende Bürger und Hausbesitzer werden zu ihren eigenen Stromproduzenten, indem sie Photovoltaikanlagen betreiben. Der Strom aus diesen Anlagen muss auch jetzt schon ins Netz eingespeist werden. Aber das kann niemand steuern und niemand hat die Produktionszahlen.
Mit der Kooperation mit dem Dienstleister Beegy soll sich das in einem ersten Schritt ändern, auch wenn das in Mannheim ansässige Unternehmen scheinbar erst einmal nur die komplette Dienstleistung für den Kunden übernimmt, der vorhat, sein Haus energieautark zu machen. „Genau so einen Dienstleister haben wir gesucht“, sagt Kleinsorg. Mit drei Anbietern habe man gesprochen. Am weitesten ausgereift erschien da das Angebot des international agierenden Unternehmens Beegy, hinter dem auch die MVV Energie AG steht. International ist es auch in der Zusammensetzung der Kooperationspartner, die nicht nur Solaranlagen liefern, sondern auch den nötigen Wechselrichter und das Steuermodul „Beegy Gateway“, das nicht nur dem Nutzer Informationen liefert, wie viel Strom seine Anlage gerade liefert, wann er regelrechte Sonnenfenster hat, in denen er zusätzlich Strom verbrauchen kann, ohne dass er die Eigenproduktion überschreitet, und wie viel Geld er gerade spart gegenüber dem örtlichen Stromtarif.
Das Modul aber informiert nicht nur den Nutzer, sondern liefert die Daten auch zentral aus – in diesem Fall an die Leipziger Stadtwerke, die so auch umgehend erfahren, ob es Störungen in der Anlage gibt – und den entsprechenden Nutzer gleich informieren können. Gleichzeitig schaffen sie sich so nach und nach auch ein Informationsnetz über die Photovoltaik-Anlagen, die schon die Beegy-Dienstleistung nutzen, haben damit also den ersten Ansatz für das erwähnte „virtuelle Kraftwerk“, denn in Echtzeit laufen so Daten über die in Leipzig erzeugten Strommengen zusammen. Wer die hat, ist dann auch der künftige Betreiber des „virtuellen Kraftwerks Leipzig“.
Den Trend brechen könnten die Stadtwerke Leipzig sowieso nicht, betont Kleinsorg. Die Eigenheimbesitzer in Deutschland seien längst dabei, die Angebote auf dem Markt der Erneuerbaren Energien zu nutzen, um sich unabhängiger zu machen vom Stromnetz. Sie werden nicht nur zu Stromerzeugern, sie können – wenn das System klug ausgesteuert ist – auch ihre Stromkosten deutlich senken. Um mindestens 50 Prozent, verspricht Matthias Pfeiffer, Leiter Energievertrieb und Energiedienstleistungen der Stadtwerke Leipzig. Grundlage für die Berechnung der 50 Prozent sind natürlich normale Familienverbräuche nach den allgemeinen Tarifen der SWL. Die eigene Photovoltaikanlage sorgt dann auf jeden Fall in den Sonnenhochzeiten dafür, dass der komplette Eigenverbrauch gedeckt ist. Das Steuermodul zeigt, wann man die stromintensiven Arbeiten in besonders energiereiche Stunden legen kann.
Entsprechend sinkt dann natürlich der Strombezug von den Stadtwerken und reduziert sich auf die Zeit, wenn die Sonneneinstrahlung nicht zur nötigen Stromproduktion ausreicht. Fehlt eigentlich nur noch die Speichertechnologie, die ermöglicht, in Überschussstunden produzierten Strom gleich im Haus zu speichern.
„Das kommt auch noch“, verspricht Jörg Lüdorf, Vertriebsdirektor von Beegy. Das System sei ausbau- und erweiterbar.
Durch die Einsparung lohnt sich natürlich die Investition in das ganze System. In der Erstmontage für ein normales Einfamilienhaus kostet es rund 6.000 bis 7.000 Euro, weiß Pfeiffer. Dazu kommen jährliche Wartungsgebühren von 149 Euro. Es dauert dann rund 13 Jahre, bis sich die Investition voll amortisiert hat. Auch für die Wartung übernehmen die Stadtwerke Leipzig die Verantwortung.
Mit tausenden Neukunden für dieses Angebot rechnet Kleinsorg erst mal nicht. „Wer werden dieses Produkt für Leipzig jetzt erst einmal schrittweise in den Markt bringen“, sagt der SWL-Geschäftsführer. Und vor allem sind erst einmal Hausbesitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern angesprochen, auf die das Produkt zunächst zugeschnitten ist. Von der Größenordnung eignet es sich auch für Kleingewerbetreibende.
Ob Ähnliches auch einmal für Mehrfamilienhäuser funktioniert, wird sich auch bald herausstellen. Schon jetzt suchen die SWL für den Umbau der Energieversorgung die direkte Kooperation mit den Leipziger Wohnungsgenossenschaften.
Wenn es funktioniert, sind die Stadtwerke der natürliche Steuermann im Leipziger Stromnetz und werden mehr und mehr zum Energiedienstleister, der vor allem über diese Dienstleistungen sein Geld verdient, und nicht mehr nur über die klassischen Energielieferungen.
Andererseits drängt auch die Entwicklung von Elektrofahrzeugen, intelligenter Haushaltstechnik und neuer Speichermedien genau in diese Richtung der vollkommenen Vernetzung. Jetzt müssen die Hausbesitzer noch entscheiden, ob sie die Überschussstunden dazu nutzen, Waschmaschine und Rasenmäher anzuschmeißen – künftig entscheiden die Geräte möglicherweise selbst, wann sie sich einschalten und den Stromüberschuss im Haus nutzen.
Zumindest drängt alles dahin, dass Städte sich künftig zu einem Löwenanteil selbst mit Energie versorgen, vernetzt und gesteuert durch ein ähnliches System, wie es Beegy jetzt auch in Leipzig einbringt. Und sicher funktionieren soll es auch, verspricht Kleinsorg.
Mal ganz technisch ausgedrückt: “Mit der funktionalen und modernen Energiemanagementlösung von Beegy gewinnt der Kunde Transparenz über seinen Verbrauch und seine Einspeisung und optimiert anhand selbstlernender Algorithmen den eigenen Eigenverbrauch – bei höchstmöglicher Sicherheit“. Die Funktionsfähigkeit der Anlage soll 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche kontrolliert werden – vom Besitzer genauso wie vom zentralen Rechner aus. Bei technischen Problemen wird nach Rücksprache mit dem Kunden umgehend ein versierter Service-Techniker losgeschickt, um die technische Störung sofort zu beheben. „Als vertrautes Stadtwerk vor Ort bieten wir unseren Privat- und Gewerbekunden in Zusammenarbeit mit Beegy eine intelligente Lösung für die eigene Stromerzeugung“, sagt Kleinsorg. Zumindest ist es der erste Schritt hin zur vernetzten Energiezukunft, die sich seit 2003 ankündigt und im Jahr 2016 das alte Funktionsmodell der zentralen Großkraftwerke grundsätzlich infrage gestellt hat.
Oder mit Kleinsorgs Worten: „Wir machen das auch, weil wir in einer geradezu dramatischen Veränderung der Energiewelt stecken.“ Geld verdient wird künftig nicht mit Lieferungen, sondern mit Dienstleistungen. Und wer das Netz hat, steuert die Prozesse.
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