Ein Wunsch wird wohl nimmer mehr in Erfüllung gehen: Dass Leipzigs Kommunalunternehmen witterungsunabhängig werden. So geäußert von LVV-Geschäftsfüher Volkmar Müller am Freitag, 5. Juni, zur Bilanzpressekonferenz des Leipziger Stadtkonzerns LVV, zu dem auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) gehören.
Die haben am Ende eine saubere schwarze Null hingelegt, auch wenn die Zeichen eigentlich nicht gut standen: Man hat ein ganzes Bündel von Regionalbuslinien an den Landkreis abgegeben und damit auch Fahrgäste und Umsätze eingebüßt. Und dass das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz im Dezember 2013 in Betrieb ging, hat zusätzlich Fahrgäste gekostet. Von 142,2 Millionen sank die Zahl der Beförderungsfälle auf 136,2 Millionen. Das sind rund 16.500 Fahrgäste pro Tag, die zumindest den LVB verloren gingen und möglicherweise ins neue S-Bahn-Netz gewechselt sind.
Da die DB Regio keine Fahrgastzahlen für die Zeit vor dem neuen S-Bahn-Netz hat, weil das vorherige Netz schlicht nicht vergleichbar ist, kann man nur rätseln: Stecken die 16.500 in den 50.000, die die Bahn als tägliche Passagierzahl im S-Bahn-Netz gemeldet hat?
Fakt ist aber auch: Damit gingen den LVB auch zahlende Fahrgäste verloren. Und das wurde durch nichts und niemanden kompensiert. Außer durch einen: den Fahrgast selbst.
Denn unverblümt wie bislang nicht, stellen die LVB in ihrem Geschäftsbericht 2014 nun fest, dass es die treuen Fahrgäste waren, die 2014 das Loch gestopft haben, das durch die Konkurrenz S-Bahn entstanden ist. Zu lesen im Bericht: “Zum 1. August 2014 haben die Unternehmen im MDV – und damit auch die LVB – ihre Tarife angepasst. Der Anstieg um rund 3,5 % für die Tarifzone Leipzig kompensiert steigende Kosten und die Auswirkungen der Inbetriebnahme des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes im Dezember 2013.”
Eigentlich eine logische Feststellung, die so aber vor Start des neuen Netzes nicht kommuniziert wurde. Stattdessen gingen auch die LVB noch optimistisch davon aus, die Fahrgasteinnahmen auf 85,4 Millionen Euro steigern zu können. Am Ende kam man mit 83,2 Millionen Euro praktisch beim Vorjahreswert heraus.
Die Kostensteigerungen entfielen vor allem auf die Kosten fürs Fahrpersonal: Die Mitarbeiter der LVB bekamen 2014 endlich mal ein bisschen mehr Geld. Was natürlich die Frage aufwirft: Wie lange will die Stadt Leipzig eigentlich ihr ÖPNV-Unternehmen kaputtsparen? Denn der Zuschuss, den Leipzig den LVB gewährt, ist nun seit Jahren bei 45 Millionen Euro gedeckelt. Die Kostensteigerungen wurden in den letzten Jahren immer nur durch Einsparungen im Unternehmen selbst (Konsolidierungen genannt) erwirtschaftet und über die steigenden Fahrpreise. Und dem 3,5-Prozent-Zuschlag auf die Tickets soll ja gleich im August der nächste Aufschlag von 3 Prozent folgen. Was mit der normalen Preisentwicklung in Sachsen ja nichts mehr zu tun hat.
Doch es hat mit der gedeckelten Summe zu tun, die die Stadt Leipzig bereitstellt. Nur zum Vergleich: 2009, als LVB und Stadt den neuen Beförderungsvertrag unterzeichneten, lagen die Fahrgasteinnahmen der LVB bei 70,3 Millionen Euro. 2013 waren es dann 83,1 und 2014 (trotz gesunkener Fahrgastzahlen) 83,2. Doch die Stadt (bzw. ihre dafür zuständige Holdingtochter LVV) hat den Zuschuss bei 45 Millionen Euro gedeckelt. Und die Leipziger Verwaltung samt Stadtrat reagiert höchst abweisend auf jeden Versuch, den Fahrpreisauftrieb bei den LVB zu stoppen. Im Gegenteil: Im August steigen die Preise weiter und 2015 rechnen die LVB sogar mit Fahrgasteinnahmen von 88,7 Millionen Euro.
Im Bilanzbericht klingt das dann so: “Des Weiteren war die Linieneinnahme durch das milde Wetter über das Jahr geprägt. Die negativen Einnahmeeffekte konnten durch die Tarifanpassungen in den Jahren 2013 und 2014 sowie die Erhöhung des Anteils der Stammkunden um 3,4 % kompensiert werden, wodurch eine Linieneinnahme über dem Vorjahreswert (Mio. EUR 83,2 gegenüber Mio. EUR 83,1 im Jahr 2013), jedoch unterhalb des Planwertes (Mio. EUR 85,4) erzielt wurde. Die größtenteils witterungs- und baustellenbedingte Minderung der Fahrgastzahlen konnte durch die Überführung der Studenten der Universität Leipzig in das bereits bestehende Semestervollticket, die kontinuierlich steigende Zahl an Stammkunden und ansteigende Fahrgastzahlen in der zweiten Jahreshälfte auf vielen Linien kompensiert werden. Für 136,2 Mio. Fahrgäste waren die LVB auch 2014 wieder erste Wahl in Sachen Mobilität.”
Wirklich? Tatsächlich profitieren die LVB von einem Trend, der nun seit Jahren anhält. Neben dem permanenten starken Wachstum der Stadt Leipzig (das den LVB zwangsläufig auch neue Fahrgäste zuführt) ist auch das Umweltbewusstsein der jungen Leipziger deutlich verändert. Sie nutzen öfter als die älteren Leipziger Fahrrad und ÖPNV, um ans Ziel zu kommen. Doch besonders fahrgastfreundlich ist es nicht, diese Bereitschaft mit jährlich deutlichen Fahrpreissteigerungen zu honorieren.
Die Diskussion über eine gerechte Lastenverteilung ist überfällig. Doch wenn man die Position des Leipziger Petitionsausschusses dazu liest, wird das vor 2018 nicht mal zu einem Lösungsvorschlag führen. Obwohl der Druck da ist. Denn wenn im öffentlichen Dienst Tariferhöhungen passieren, schlägt das auch auf die Verkehrsunternehmen durch.
Im Grunde ist selbst die zusätzliche Fahrpreiseinnahme für 2015 schon fest verplant. Denn seit dem 1. Januar bekommen auch die Mitarbeiter im Servicebereich endlich den Mindestlohn. Im Bericht heißt es dazu: “Mit Jahresbeginn 2015 trat ein branchenübergreifender Mindestlohn von EUR 8,50 in Kraft. Dies wird sich insbesondere auf die Leistungen der Servicetochter Leipziger Servicebetriebe (LSB) GmbH, Leipzig (LSB), die unter anderem Raum- und Fahrzeugreinigungsdienstleistungen für die Unternehmen der LVB-Gruppe erbringt, auswirken. Die daraus resultierende Aufwandserhöhung kann nur zum Teil durch weitere Produktivitätssteigerungen bei der LSB abgefangen werden und wird an die Kunden weitergegeben.”
Über die Fahrpreise natürlich.
Das Gegengeschäft sind normalerweise bessere Angebote im ÖPNV. Aber da hat’s 2014 mächtig geklemmt, weil der Freistaat in den Vorjahren seine Förderzuschüsse drastisch zurückgefahren hat. Ergebnis: Die Investitionen sind zurückgegangen. Nicht im Netzausbau und bei den Liegenschaften – da wurden wieder fast 39 Millionen Euro investiert (Vorjahr: 40 Millionen). Dafür gab’s bei der Fahrzeugbeschaffung ein Loch. Das jahrelange Knausern des Freistaats führte dazu, dass statt der geplanten 24 Millionen Euro nur knapp 4 Millionen Euro für neue Fahrzeuge eingesetzt werden konnten.
Auch ein Grund dafür, dass selbst die LVV-Geschäftsführung sich riesig darüber freut, dass 2016 endlich mal wieder fünf neue Straßenbahnen angeschafft werden können.
Eine Frage schwebt über dem Bilanzbericht natürlich: Kommen die LVB aufgrund ihrer eigenen Leistung zu mehr Fahrgästen und mehr Einnahmen? Oder schwimmen sie auf einer Welle mit, von der sie einfach profitieren?
Man möchte ja die Lorbeeren gern für sich: “Neben der Stärkung des ÖPNV in der Region insgesamt können aber auch eigene Erfolge verbucht werden. Die LVB setzen ihre nachhaltige Wachstumsstrategie fort und konnten binnen Jahresfrist die Zahl der Stammkunden um 3,4 % steigern. Damit trägt die Strategie, sich gegenüber den Kunden als dauerhafte Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu positionieren, bereits Früchte.”
Darüber kann man nicht nur, darüber sollte man auch streiten.
Denn über das Feigenblatt “Kundenbeirat” hinaus gibt es im ganzen LVB-Konzern kein Mitspracherecht für die Fahrgäste. Die können selbst Diskussionen um eingekürzte Linien (wie die 9 in Markkleeberg) nur von außen verfolgen. Eigentlich würde zu jeder Fahrpreiserhöhung auch eine offene Fahrgastdiskussion gehören über Wünsche und Erwartungen an den Leipziger ÖPNV.
Jetzt setzen LVV und LVB darauf, mit den für 2015 geplanten 25 Mobilitätsstationen ihre Rolle als Mobilitätsdienstleister zu stärken. Damit soll das Umsteigen auf Fahrrad und Leihauto leichter werden. Aber sind das wirklich die Fragen, die auf der Tagesordnung stehen?
Die Diskussion um die Finanzierung des MDV hatte ja gerade im Herbst 2014 gezeigt, dass es viel eher am vernetzten Denken in die Region hinein fehlt. Barrierrefreier ÖPNV sieht anders aus.
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Vielen Dank für den kritischen Kommentar, Herr Julke.
Dieser ominöse Fahrgastbeirat (dessen Logo übrigens wie eine Zahnpastatube aussieht) ist kaum vernehmbar und scheint in meinen Augen eher konfliktlose Kamillentee-mit-kostenlosen-Plätzchen-Sitzungen unter der warmen Stimme eines altgedienten LVB-Beschäftigten abzuhalten. Für Senioren und für Behinderte hat sich eigentlich nichts verändert, seit es diesen Fahrgastbeirat gibt. Ich wüsste nicht, was.
Zur Deckelung des städtischen Zuschusses: Der wohlbekannte Arbeitsdirektor soll stolz gewesen sein, seinen Großbetrieb so billig für die Stadt Leipzig gemacht zu haben. Auf Kosten von Fahrzeugen, Gleisanlagen und Fahrangebot. Die LVB haben sich zum Billigheimer gemacht, um trotz der seinerzeit anstehenden Pflicht zur europaweiten Ausschreibung kommunaler ÖPNV-Leistungen den Zuschlag (“Betrauung”) erhalten zu haben. Es war ein schwarzer Tag für den Leipziger Nahverkehr, als die LVB für die nächsten 20 (oder 25 Jahre, weiß ich nicht mehr genau) betraut wurden. Dieses billigheimerische Low-Level-Angebot ist einer wachsende(!) Großstadt, die in Europa nicht völlig unbekannt ist, einfach unwürdig. (Mit konkreten Details warte ich nicht auf, ich werde sonst nicht fertig.)
Nun haben die LVB den Salat. Die Stadt Leipzig (der Stadtrat) will ihnen nicht mehr Geld geben. Teils der Inkompetenz von Stadtrat und Stadtverwaltung in Sachen ÖPV geschuldet, teils wegen miserabelsten Selbstmarketings.
Ein vernünftiges Verkehrsunternehmen hätte der Stadt Leipzig angeboten: Hier, für soundso Millionen mehr im Jahr bieten wir (z.B.) einen 10′-Takt samstags an oder zwei neue Linien, die die Innenstadt berühren oder oder oder. So kenne ich es von anderen Verkehrsunternehmen. Das LVB-Angebot ist so schlecht, dass jede Idee eigentlich nur eine Verbesserung darstellen kann. Nochmals: Es geht um Leipzig, nicht um Braunschweig oder Augsburg. Großstädtisch ist nur der (allerdings auch schon von anderen überholte) Nachtbusverkehr. Vom Verbundgedanken bei LVBs habe ich noch gar nicht gesprochen, erst recht nicht von einer Anbindung an den Verkehr durch den Citytunnel, der scheinbar immer noch als Konkurrenz (wie bitte!?!?) angesehen wird. (LVB-Angaben bzgl der Busnetzreform 2010 im STEP 2014 sind nachgeschoben worden.)
Doch, halt, ja, die Buslinie 74 scheint jetzt die einst notorisch schlecht angebundene S-Bahn-Station “MDR” tagsüber besser anzubinden. Wow! Gabs da Tote hinter den Kulissen, oder wie kam das? Dürfen wir in den Folgejahren auf weitere homöopathische Verbesserungen hoffen (wenngleich einhergehend mit aggressiven Fahrpreiserhöhungen)?