Früher waren sie viele, nicht wegzudenken aus dem Lebensalltag. Wer wollte schon im Winter ohne Schuhe gehen? Mit der Industrialisierung wurden Schuhmacher immer seltener, auch in Leipzig, wo enorm viele von ihnen beschäftigt waren. Seit vier Jahren gibt es allerdings wieder einen Maßschuhmacher in Leipzig - ein sinnloser Kampf gegen Zalando, Deichmann und Co? Mitnichten.
Eins vorab: Wer einen Schuhtick hat, braucht die Werkstatt von Peter Hartwig gar nicht erst zu betreten, es sei denn, sie oder er, es soll ja auch Männer geben, die davon betroffen sind, haben das nötige Kleingeld, denn Peter Hartwig fertigt Maßschuhe und die haben ihren Preis. Doch im Gegensatz zu den üblichen Fabrikprodukten, haben sie auch dauerhaft Qualität.
“Die Investition ist sicher am Anfang groß, aber meine Kunden haben von ihren Schuhen auch jahrelang etwas.”
Genauer gesagt: 15 bis 20 Jahre. Solange hält ein vom Schuhmacher-Meister gefertigter “Latschen” laut Hartwig. Und nun die Frage: Wer kann sich überhaupt noch daran erinnern, welche Schuhe er vor 15 Jahren getragen hat? Die wenigsten werden das Modell jetzt noch tragen. Seitdem die Industrialisierung auch in der Schuhherstellung das Handwerk an den Rand gedrängt hat, nimmt auch die Halbwertszeit eines Schuhpaares stetig ab, weil sich die Sohle vom Leder löst oder umgekehrt, weil die Laschen für die Schnürsenkel reißen, weil die Sohle durchgelaufen ist. “Früher haben die Menschen ihre Schuhe weitervererbt und sie enorm lange genutzt, auch, weil sie zwischen Mai und Oktober barfuss gegangen sind”, berichtet Hartwig.Der gelernte Schuhmacher und Orthopädie-Schuhmacher-Meister hat sich vor vier Jahren selbständig gemacht. “Ich wollte mehr machen als in meiner alten Firma möglich war, aber meine Ideen ließen sich nicht verwirklichen. Überall steht Schuhmacher dran, aber keiner macht wirklich welche. Das wollte ich anders machen”, erzählt der 42-Jährige, der sich auf dem Gelände der Feinkost in der Südvorstadt seine Werkstatt aufbaute. Dort, wo er heute an Schuhen werkelt, rollten früher LKW in die Brauerei.
In seinem Geschäft “Fußgänger” ist alles offen und nichts versteckt, die Kunden können sehen, wie Hartwig an den Schuhen arbeitet. “Wenn einer kommt, dann habe ich eben noch Staub auf der Schürze oder Kleber am Finger, aber das ist so gewollt. Die Leute sollen sehen, dass hier gearbeitet wird.”
Immerhin arbeiten immer weniger so wie er. “In Leipzig war der Schuhmacher früher nach dem Gerber der zweithäufigste Beruf”, weiß er. Nun ist Hartwig der einzige Maßschuhmacher der Stadt. Seit zwei Jahren nehmen ihn auch die Leipziger wahr. “Vorher hatte ich vor allem überregionale Kunden, die speziell nach einem Maßschuhmacher gesucht haben.” Auf Werbung hatte er in der Stadt weitestgehend verzichtet. Sein Motto: Wer Maßschuhe haben möchte, der sucht selbst gezielt danach, immerhin ist das in Zeiten von Schuhfertigung “Made in China” eine Nische. Der Einstiegspreis pro Paar liegt bei Hartwig nicht bei 15 Euro, sondern bei 890. “Dafür sind sie per Hand maßgeschneidert und halten lang. Auf die Jahre gerechnet, relativiert sich die Investition.”Jeder einzelne Schuh geht durch die Hände von Hartwig, seinem Gesellen oder seiner Auszubildenden. Pro Schuh benötigen sie circa 20 Stunden reine Arbeitszeit, die Wartezeit vom ersten Maßnehmen bis zum Einschlüpfen in die neuen “Treter” beträgt mittlerweile sechs Monate. Seit der MDR eine ganze Sendung aus dem schönen Ambiente der Werkstatt mit ihren Werkbänken, rustikalen Holzregalen und Backsteinwänden gesendet hat, rufen auch Kunden aus dem Ausland an.
40 Maßschuhpaare werden mittlerweile in der schnieken Werkstatt pro Jahr hergestellt. Der Prozess der Fertigung zieht sich aufgrund von Ruhezeiten für das Leder und anderen notwendigen Pausen zwischen den Arbeitsschritten über mehrere Wochen.
Mit jedem Interessenten führt Hartwig ein Gespräch über den Schuh: Wie soll er aussehen? Aus welchem Material soll er bestehen? “Es gibt auch immer wieder Kunden, die ihren Lieblingsschuh noch mal gebaut haben wollen. Das ist auch kein Problem.” Überhaupt schränkt Hartwig die Kundenwünsche kaum ein. “Alles, was theoretisch machbar ist, werden wir auch machen.”
In seiner Werkstatt werden deshalb nicht nur klassische Lederschuhe gefertigt, letztens waren es auch High Heels, Golfschuhe oder Werksstiefel. Aber je individueller der Schuh, desto größer ist natürlich der Preis. Wichtig bei jedem Schuh: die Anfertigung des Leistens, ein Formstück aus Holz, das wie ein Fuß aussieht und mit Scheuerleisten oder Sockelleisten nichts zu tun hat.Der Leisten ist für Hartwig während der Produktionsschritte das Hauptarbeitsgerät. Das Material, den Grundleisten, bekommt er aus einer Leistenfabrik im Harz, muss sich die “Holzfüße” nicht immer aus einem groben Stück Holz basteln. “Das müssen Lehrlinge während ihrer Ausbildung machen, aber das immer zu tun, würde die Schuhpreise noch weiter nach oben treiben.”
Später geht es an die “Seele des Schuhs”, wie der Meister die Brandsohle des Schuhs nennt. Und diesen Spitznamen trägt sie zu Recht, an ihr hängt am Ende alles. Zuerst wird an ihr der Schaft befestigt, der in den Leisten “gezwickt” wird. Das Zwicken geschieht auf dem Zwickstock, einer Halterung für den Leisten, und ist dabei nichts anderes als das Leder, das mit einem Kleber an den Leisten geklebt wird, mit Nägeln an der Sohle zu befestigen, damit es eng und damit straff anliegt. Es schließt sich der Rahmen an, der durch das Durchnähen, also das Nähen durch alle Schichten hindurch, befestigt wird.
Die Laufsohle kommt danach durch eine Doppelnaht hinzu, nur der Absatzblock wird angeklebt. So wird letztendlich ein Schuh draus. Am Ende steht stets das Ausleisten. Die Passform muss aus dem Leder entfernt werden, eine schwere Arbeit, die “aber mit Technik zu meistern ist”, denn in dem Leisten ist immer ein kleines Loch. Hier wird ein Haken befestigt, mit dem das Stück Rotbuche aus dem Leder gezogen werden kann. Den Schuh kann sich der Kunde dann anziehen. Ein wichtiger Moment für Hartwig. “Wenn der Kunde das erste Mal in seinen Schuh fährt, schaue ich gern auf die Mimik. Das ist für mich der größte Moment überhaupt. Das ist die größte Belohnung für meine Arbeit.”
Der gebürtige Leipziger will noch mehr Menschen die Möglichkeit geben, am Ende von harter Arbeit solche Momente zu erleben. Ein zweiter Lehrling soll bei ihm das Handwerk lernen und im Gegensatz zu anderen Handwerkern hat er keine Sorgen, einen zu finden. “Viele reizt das Außergewöhnliche und sie sehen, dass hier ein Beruf gelebt wird.” Für Hartwig weniger überraschend: Es gibt auch weibliche Interessenten. “Manche sagen, der Beruf sei nichts für Frauen, weil man gelegentlich Kraft braucht. Ich sage, dass alles eine Frage der Technik ist.”
Feuerwehrmann: Wenn die Sirene schrillt, schnellen sie hoch …
Förster: Carsten Pitsch ist Diplom-Forstingenieur …
Bäcker: Discounter, die Brote verkaufen, welche …
Optiker: Große Augen wie bei Rotkäppchens …
Glaser: Wenn jemand die Sicht auf den Fernseher …
Straßenbahnfahrerin: Früh um 4 Uhr, wenn die Stadt noch schläft …
Bauer: Der dümmste hat die dicksten Kartoffeln …
Krankenschwester: Welche sind die Berufe, ohne die …
Egal, wen er letztendlich nimmt, zur Berufsschule muss weit gereist werden. Schon zu DDR-Zeiten war die schulische Ausbildung in Ohrdruf in Thüringen und dort ist sie noch immer. “Aber weil die Zahl der Beschäftigten in diesem Beruf insgesamt so abgenommen hat, gibt es selbst dort keine reine Schuhmacherklasse mehr.” Hartwigs jetzige Auszubildende ist der einzige Schuhmacher-Lehrling inmitten einer Klasse von jungen Leuten, die Orthopädie-Schuhmacher lernen wollen. Ein Zustand, der sich bald ändern soll. “Die Bundesinnung kämpft darum, dass demnächst wieder eine Klasse zusammenkommt und ich hätte auch lieber eine homogene Schuhmacher-Klasse.”
So wie es sie schon 1986 gab, als er selbst anfing. “Ich habe im Schulfach Praktische Arbeit festgestellt, dass ich nie in die Produktion will. Dieser Lärm, dieser Dreck, diese grauen Hallen.” Doch was er stattdessen machen wollte, wusste er nicht so genau. “Zum Glück hat mir meine Mutter eine Lehrstelle bei der Firma ‘Hans Sachs’ besorgt – und mit dem ersten Tag war ich absolut interessiert.”
18 Jahre später machte Hartwig sogar seinen Meister als Orthopädie-Schuhmacher, “aber mein Herz hat immer für die Schuhmacherei an sich geschlagen.” Zurzeit verbringt er oft 14 bis 16 Stunden in seiner Werkstatt. “Mein Ziel ist es, irgendwann mal bloß 10 oder 12 Stunden zu arbeiten.” Damit Arbeit und Leben endlich wieder zwei verschiedene Paar Schuhe werden.
Keine Kommentare bisher