Es ist ein Schock. Ein Schock, der auch lang gediente CDU-Kommunalpolitiker erreicht, wenn sie ins Rentenalter kommen und nicht ein paar Jahre auch als Landtags- oder Bundestagsabgeordnete vorsorgen konnten: Ihr Rentenbescheid erzählt ihnen, dass sie genauso belämmert dastehen wie Millionen andere Arbeitnehmer auch, die in die Grundsicherung rutschen, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben. All die konservativen Rentenreformen der vergangenen Jahre entpuppen sich als falsche Lösung für ein gravierendes Problem.

Wobei man „Rentenreform“ zwingend in Gänsefüßchen setzen muss, denn eine Reform war das seit den 1980er Jahren nicht mehr dabei, es ging immer nur um Rentenkürzungen für die Einzahler in die deutsche Rentenversicherung. Oder um Wikipedia zu zitieren: „Kritiker bezeichnen den Begriff Rentenreform daher seitdem als Euphemismus für Rentenkürzung.“

Neuer Höchstwert in der Grundsicherung

Sodass das ach so reiche Deutschland immer mehr hineinrutscht in ein Rentendilemma, das letztlich mehrere verschiedene Klassen von Rentiers erzeugt, in denen die einen bis zu ihrem Tode auskömmlich vom Staat (also dem Steuerzahler) alimentiert werden (Abgeordnete und Beamte), andere von Betriebsrenten partizipieren (die es im Osten so gut wie gar nicht gibt).

Während wieder andere sich privat versichert haben, weil sie als Selbstständige genug verdienten (es sei denn, die Deutsche Rentenversicherung konstruiert aus ihrer Selbstständigkeit ein Anstellungsverhältnis – da sind deutsche Bürokraten sehr erfinderisch).

„Binnen Jahresfrist die Zahl von Grundsicherungsempfängern im Rentenalter auf den bislang nicht dagewesenen Höchstwert von 720.000 gestiegen. Viele Rentner und Rentnerinnen leben von der Hand in den Mund und wissen nicht, wie sie Miete, Strom, Heizung und Lebensmittel bezahlen sollen“, beklagen nun – erstmals in dieser Form – die Mitglieder der Senioren-Union im Kreisverband Leipzig die auch für sie erschreckende Entwicklung.

2015 waren deutschlandweit erst rund 512.000 Menschen auf die Grundsicherung im Rentenalter angewiesen. Am Ende des ersten Halbjahres 2024 waren es dann schon 720.000 Rentner. Das ist im angegebenen Zeitraum eine Steigerung um fast genau 40 Prozent, stellt die Senioren-Union fest. „Das ist für uns eine beängstigende Steigerung!“

Und das sind nur die Menschen, die sich gezwungen sahen, einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen, weil die mickrige Rente, die ihnen die Rentenversicherung ausweist, partout nicht mehr zum Leben reicht. Aber nicht nur die Leipziger Senioren-Union vermutet zusätzlich eine hohe Dunkelziffer, weil viele nach einem erfüllten Berufsleben aus Schamgefühl nicht zum Sozialamt gehen.

Wer schlägt jetzt wirklich eine Lösung vor?

„Die Zahl der älteren Sozialhilfeempfänger ist einfach zu hoch, es müssen Lösungen gefunden werden, damit Menschen, die jahrzehntelang wertvolle Arbeit für die Solidargemeinschaft und damit für den Wohlstand in Deutschland geleistet haben, ein würdiges Leben ohne Gang zum Sozialamt führen können“, erklärt dazu CDU-Stadtrat Konrad Riedel.

In diesem Zusammenhang mahnt die Senioren-Union zum wiederholten Male die angemessene Zahlung eines Inflationsausgleichs für die Rentenbezieher an und erinnert an die Forderungen von CDU und Senioren-Union nach steuerfreien Zuverdienstmöglichkeiten für Altersrentnerinnen und -rentner. Mit diesen Vorschlägen könne man nicht nur Fachkräfte gewinnen und wertvolle Kompetenz nutzen, sondern auch manche Gefahren von Altersarmut vermindern.

„Für alle möglichen Projekte und Vorhaben werden ‚Sondervermögen‘ gebildet und andere bizarre Finanzierungsmöglichkeiten gefunden, aber für die wirklich Bedürftigen ist angeblich kein Geld da“, heißt es bei den CDU-Senioren in Leipzig.

Erstaunlicherweise, darf man sagen. Denn andere Länder wie die Schweiz oder Österreich zeigen ja, dass Rentensysteme auch für langjährige Einzahler gut funktionieren, wenn tatsächlich deutlich mehr Menschen einzahlen und tatsächlich eine Mindestrente gezahlt wird, ohne dass die Betroffenen erst um soziale Beihilfe betteln müssen.

Die Frage ist nur: An wen appelliert die Senioren-Union eigentlich? Sollte sie sich in ihrer eigenen Partei nicht stark machen dafür, dass die Flickschusterei am Rentensystem endlich aufhört und tatsächlich einmal ein Vorschlag für eine Rentenreform auf den Tisch kommt, die man nicht in Gänsefüßchen schreiben muss?

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Seit 1982 regierte die CDU nahezu dauerhaft die Republik: 16 Jahre langweilte Kohl die Welt, ab 2005 kam dann Merkel 16 Jahre an die Macht. Man hatte ausreichend Zeit und auch das Wissen etwas zu ändern. Wie bei fast allen Problemen hat man auch hier zugeguckt, wie das Kind im Brunnen ertrinkt. Und man wird weiter zu schauen. Bevor man die von Kohl ausgesetzte Vermögensteuer wieder einführt, wird die CDU eher noch auf das ertrinkende Kind einschlagen. Die CDU wird auch niemals klimaschädliche Subventionen abschaffen und so Geld für Bus, Bahn, Infrastruktur oder Rentenzuschüsse möglich machen. Da bekommen nun Konrad Riedel und seine Parteianhänger das, was man ihnen schon in den 1990ern mit dem Parteiprogramm der CDU versprochen hat: Wer CDU wählt, schadet sich nun mal in den meisten Fällen selbst (wie bei allen rechten Parteien). Ausgenommen sind diejenigen, die der Oberschicht angehören.

Schreiben Sie einen Kommentar