Es ist ein Vorgang, der genau so abzusehen war. Am 15. Dezember 2022 sagte es Juliane Nagel, Sprecherin für Wohnungspolitik der Linksfraktion im Landtag, öffentlich: „Die Koalition hat mit der Verzögerung des Beschlusses über die Mietspiegelzuständigkeit für erhebliche Rechtsunsicherheit gesorgt. Zum 1. Juli 2022 hätte das Land die Zuständigkeiten neu regeln müssen, also schon vor über fünf Monaten. Insbesondere für die Stadt Leipzig, die sich derzeit in der Phase der Erhebung der Daten für den neuen Mietspiegel befindet, birgt dieser Zeitverzug das Risiko, ab Juni 2023 ohne gültigen Mietspiegel dazustehen.“

Und genau so ist es gekommen. Erst im Dezember 2022 trat das sächsische Mietspiegel-Zuständigkeitsgesetz in Kraft. Ein halbes Jahr zu spät. Welche Folgen das hat, war dann am Amtsgericht kürzlich zu erleben. Ein Bericht der LVZ vom 26. April über eine Verhandlung einer Klage des Vermieters Brack Capital Real Estate (BCRE) gegen einen Mieter, der die im Frühjahr 2023 versandte Mieterhöhung nicht akzeptieren wollte, sorgte für Wellen und Unverständnis. Bis in die Rathausspitze hinein.

Das war auch Thema in der Pressekonferenz zum Wohnungspolitischen Konzept am Dienstag, dem 30. April. Denn dass die Richterin den von der Stadt erstellten qualifizierten Mietspiegel so rigoros infrage stellte, fand auch OBM Burkhard Jung unverständlich. Da es aber kein Urteil gibt, fehlen der Stadt die Anhaltspunkte, wie sie mit der Haltung des Gerichts umgehen soll.

Denn ganz so, wie es die LVZ in ihrem Artikel gleich zum Einstieg behauptete, ist es nicht: „Es braucht genau 60 Minuten, um den Leipziger Mietspiegel zu vernichten. Dieses wichtige Dokument ist nun weitgehend bedeutungslos. Niemand in der Messestadt kann sich mehr auf die dort festgeschriebenen Kriterien und Werte verlassen …“

Ein gesetzliches Mittel für angespannte Wohnungsmärkte

Denn der qualifizierte Mietspiegel ist sehr wohl ein Instrumentarium, das beachtet werden muss bei möglichen Mieterhöhungen. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen formulierte es so: „Das Hauptanwendungsfeld für Mietspiegel ist das gesetzliche Mieterhöhungsverfahren, mit dem der Vermieter die Zustimmung des Mieters zu einer Erhöhung der vereinbarten Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen kann.

Zudem ist der Mietspiegel eine wichtige Informationsquelle bei der Anwendung der sog. Mietpreisbremse. Dies gilt in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt, die im Einzelnen von den Ländern festgelegt werden. In diesen Gebieten darf die zulässige Wiedervermietungsmiete die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens 10 Prozent überschreiten.“

Das Gesetz findet man auf der Homepage des Bundesjustizministeriums.

Doch das Problem ist: Im Vertrauen auf die Bundesgesetzgebung und die schnelle Umsetzung in Sachsen startete Leipzig die Erhebung zum neuen Mietspiegel schon 2022. Doch trotz Mahnungen im Landtag fehlte die Landesgesetzgebung, die festlegte, wer für die Mietspiegelerarbeitung zuständig war. Der Bund hatte die Kompetenzen zwar an die Länder weitergegeben, die sollten das regeln.

Es war also eigentlich nur ein Verwaltungsakt, die Kommunen (wieder) in die Zuständigkeit der Mietspiegelerhebung zu setzen. Doch der Sommer 2022 verging. Erst mit Mietspiegel-Zuständigkeitsgesetz aus dem Dezember 2023 wurden die Kommunen wieder gesetzlich mit der Mietspiegelerhebung beauftragt. Für Leipzig zu spät.

Was natürlich für Vermieter ein regelrecht offenes Tor ergab, wie auch Mathias Weber, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat, feststellt: „Die Verantwortung des Leipziger Mietspiegeldesasters liegt zu 100 % bei der schwarz-rot-grünen Landesregierung in Dresden. Mit der Novelle des Mietspiegelgesetzes durch den Bund im August 2021 hatten die Länder ausreichend Zeit, die Zuständigkeiten zu regeln.

CDU, Grüne und SPD haben es in Sachsen nicht vermocht, rechtzeitig das Mietspiegel-Zuständigkeitsgesetz zu beschließen. Damit fehlte der Stadt Leipzig laut Amtsgericht im Oktober 2022 die Grundlage zur Erhebung von Daten zur Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels. Dieses eklatante politische Versagen nutzen Immobilienkonzerne nun aus, um auf Kosten vieler Mieterinnen und Mieter in Leipzig die Miete jenseits des Mietspiegels zu erhöhen.

Warum das Amtsgericht den Mietspiegel, dessen sachliche Qualität evident ist, nicht wenigstens als einfachen Mietspiegel anerkennt, können wir nicht verstehen. Wir fordern den Oberbürgermeister auf, dem Stadtrat schnellstmöglich einen qualifizierten Mietspiegel zur Beschlussfassung vorzulegen. Ein eventuelles Berufungsverfahren würden wir sehr begrüßen und unterstützen.“

Superwahljahr sorgt für Verzögerung

Doch so schnell wird es nicht gehen, wie Burkhard Jung am Dienstag sagte. Denn das für Befragungen zuständige Amt für Statistik und Wahlen ist im Superwahljahr 2024 bis weit in den Herbst komplett mit Wahlorganisation und Auswertung beschäftigt. Erst nach Abschluss der Landtagswahlen ergeben sich ab Spätherbst wieder Spielräume, neue Fragebögen zu verfassen und zu verschicken, sodass frühestens 2025 qualifizierte Daten für einen aktuellen qualifizierten Mietspiegel vorliegen.

Qualifiziert heißt übrigens – anders als bei früheren Mietspiegeln – dass nicht nur die freiwillig ausgefüllten Fragebögen berücksichtigt werden dürfen, sondern alle angeschriebenen Adressaten ihre Mietangaben machen müssen. Was aus Gesetzgebersicht erst die tatsächliche Qualifikation eines Mietspiegels ergibt.

Wobei nicht nur die Linke befürchtet, dass private Vermieter auch dann wieder mögliche Wege suchen werden, um den Mietspiegel erneut zu Fall zu bringen.

„Das Vorgehen von BCRE ist mieterfeindlich und belastet die Justiz. Wir hatten gehofft, dass das Gericht den Mietspiegel bestätigt. Stattdessen ist der Weg freigemacht worden für eine weitere dramatische Mietaufwärtsspirale im Bestand“, befürchtet Juliane Nagel.

„Seit seinem Inkrafttreten versuchen Immobilienlobbyisten wie Haus und Grund und Unternehmen wie BCRE deshalb den qualifizierten Mietspiegel anzufechten. Wir befürchten, dass auch bei der Erstellung zukünftiger Mietspiegel kein Einvernehmen mit der Eigentümerseite zu erzielen ist – diese lehnt in Gestalt von Haus und Grund den qualifizierten Mietspiegel grundsätzlich ab.“

Aus Sicht der Stadt ist der Mietspiegel 2022 trotzdem weiterhin ein Instrument für Mieter, die Sinnhaftigkeit von angekündigten Mieterhöhungen einschätzen zu können.

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