Der Anbau von gentechnisch verändertem Mais ist in der gesamten EU verboten, dennoch ist es in diesem Frühjahr zu einem massiven Verstoß gegen dieses Verbot gekommen, wurde in Baden-Württemberg, NRW und Brandenburg die gentechnisch-verunreinigte Maissorte „Sweet Wonder“ aufs Feld gebracht. Ob auch sächsische Landwirte betroffen sind, ist noch offen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit veröffentlichte seine Meldung am 17. Juni. Ziemlich spät.

Denn dort weiß man schon seit dem 20. Mai, dass die gentechnisch verunreinigte Maissorte aus den USA in Europa als Saatgut vertrieben wurde. Aufgefallen war das freilich erst den ungarischen Behörden. In Deutschland ist das Produkt den Landesbehörden augenscheinlich völlig durch die Lappen geschlüpft.

Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, sieht massives Kontrollversagen des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Die in Deutschland wegen der Risiken für Mensch und Umwelt verbotene gentechnisch veränderte Maissorte wurde unbemerkt verkauft und auch bereits auf Feldern ausgesät.

Zunächst wurde der Gen-Mais nur auf einem Acker in Baden-Württemberg entdeckt. Wie die „Schwäbische Zeitung“ berichtete, vernichtete der Landwirt daraufhin etwa 2.000 Pflanzen und darf auf dem Feld nun ein Jahr lang keinen Mais mehr anbauen. Damit soll das Risiko verringert werden, dass es zu Kreuzungen mit natürlichen Pflanzen kommt.

Inzwischen weitet sich der Fall jedoch bedenklich aus. Die Gen-Saat, die nach Informationen des „Informationsdienstes Gentechnik“ vom US-Hersteller Illinois Foundation Seeds stammt und über einen Händler in Niedersachsen vertrieben wurde, wurde auch in andere Bundesländer ausgeliefert. Unter anderem in Brandenburg, NRW und Norddeutschland wurde Saatgut der gentechnisch-verunreinigten Maissorte „Sweet Wonder“ entdeckt.

Behörden in ganz Europa sind alarmiert und haben bereits rund 13 Millionen verunreinigte Maissamen identifiziert. Demnach handelt es sich bei den gentechnisch veränderten Samen um Produkte der Firma Bayer/Monsanto. Aufgefallen war das gepanschte Saatgut Ende Mai bei einer Kontrolle in Ungarn. Auch dorthin hatte der deutsche Händler „Sweet Wonder“-Saat geliefert.

Der Fall nimmt inzwischen solche Dimensionen an, dass Forderungen nach einer Aufklärung des Skandals auf Bundesebene immer lauter werden. Ernährungsministerin Julia Klöckner, zuständig für die Sicherheit von Lebensmitteln, und das Bundesamt für Verbraucherschutz sollen aufklären, wie es zu dem Verstoß gegen deutsches und EU-Recht kommen konnten.

So fordert Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik der Grünen-Bundestagsfraktion, „dezidierte Aufklärung im Genmais-Gate-Fall“: „Erst Baden-Württemberg, dann NRW, jetzt immer mehr Bundesländer. Es handelt sich um ein massives Kontroll-Versagen.“ Auch wenn Ministerin Klöckner anders als die Verbraucher Gentechnik in Pflanzen und Lebensmittel nach eigener Aussage „nicht einfach abtun“ wolle. „Die große Mehrheit der Verbraucher will keine Gentechnik auf den Feldern und den Tellern“, betonte Ebner.

Tweet von Harald Ebner zum "Genmais-Gate". Screenshot: Harald Ebner
Tweet von Harald Ebner zum „Genmais-Gate“. Screenshot: Harald Ebner

Der Gentechnik-Experte der Grünen fügte hinzu: „Die Kennzeichnungspflicht sichert uns die Wahlfreiheit. Das hat auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zur neuen Gentechnik im Juli 2018 noch einmal betont.“ Die Bundesregierung und die zuständigen Behörden seien „dafür verantwortlich, dass diese Kennzeichnungspflicht durchgesetzt wird, also auch entsprechend streng kontrolliert wird“.

Ebner forderte: „Es muss jetzt dezidiert aufgeklärt werden, wohin die gentechnisch veränderte Maissaat geliefert, und wo sie ausgesät wurde. Offenbar sind die Behörden mit den Kontrollen überfordert. Oder wie muss man sich erklären, dass die Hinweise auf den Verstoß von außen kommen?“

Das Umweltministerium in Niedersachsen bestätigte der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ), dass etwa 13 Millionen Körner nach Belgien, Frankreich, Litauen, Polen, Portugal, Spanien und Russland exportiert worden seien. Auch nach Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern, Hessen sowie Brandenburg wurde offenbar kontaminierte Ware geliefert.

Der niedersächsische Händler wiederum, mit Sitz in Bad Essen, teilte laut NOZ mit, bei den eigenen Untersuchungen durch unabhängige Labore sei die Verunreinigung nicht aufgefallen. Man informiere nun alle Kunden, auch, um eine Aussaat noch zu verhindern. In einer Stellungnahme hieß es weiter: „Wir gehen derzeit davon aus, dass europaweit gegebenenfalls 100 bis 120 Hektar von behördlichen Vernichtungsanordnungen betroffen sein könnten.“

Entsprechend den europäischen Gentechnik-Regeln dürften die laut „Informationsdienst Gentechnik“ nachgewiesenen und von Bayer/Monsanto genetisch veränderten Zuckermaise in Europa zwar verkauft, nicht aber angebaut werden. Deswegen müssen nun sämtliche Körner vernichtet werden.

Augenscheinlich hat der amerikanische Verkäufer jene Grauzone genutzt, die in der EU dadurch entstanden ist, dass gentechnisch veränderter Mais zwar nicht angebaut, aber trotzdem verkauft werden darf.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit formuliert es so: „Die nachgewiesenen gentechnisch veränderten Mais Events MON88017 und MON89034 sowie das Ergebnis einer Kreuzung beider Events (MON88017 x MON89034) wurden bereits 2009 bzw. 2011 in der EU als Lebensmittel und Futtermittel zugelassen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte festgestellt, dass diese Events für den Verzehr bzw. die Verfütterung sowie hinsichtlich der Folgen des versehentlichen Verbringens in die Umwelt bei Transport und Verarbeitung genauso sicher zu bewerten sind wie konventioneller Mais. Der Anbau dieses gentechnisch veränderten Mais ist in der EU jedoch nicht genehmigt.“

Laut der Neuen Osnabrücker Zeitung sieht der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) die Schuld beim Saatgut-Verkäufer in den USA. Es sei „von skandalöser Chuzpe, wie amerikanische Exporteure versuchen, gengepanschten Mais in Europa unter die Leute zu bringen und damit deutsche Landwirte und Verbraucher zu täuschen.“

 

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