Es ist nicht nur ein sächsisches oder Leipziger Problem: Deutschlandweit erleben arme Haushalte, was es bedeutet, wenn man die Stromrechnung nicht mehr bezahlen kann. Dann dreht der Stromversorger den Saft ab und es wird zappenduster. Wie die „Zeit“ am 22. Oktober berichtete: 2016 wurde rund 330.000 Mal in Deutschland der Strom abgestellt, weil die Rechnung nicht beglichen worden war.

Die „Zeit“ berief sich auf die Bundesnetzagentur und das Bundeskartellamt. Dazu kamen dann noch „6,6 Millionen Sperr-Androhungen gegen säumige Zahler“. Die „Zeit“ vermutete die hohen Strompreise als einen Grund.

Aber es ist wohl richtiger, die schlichte Armut der betroffenen Haushalte als Grund zu nennen.

Eine Androhung einer Sperrung gab es 2015 zu Beispiel im Schnitt bei 119 Euro Zahlungsrückstand. Nicht alle Drohungen münden dann auch in eine Sperrung. Aber auf 6,3 Millionen Androhungen kamen 2015 dann auch 1,55 Millionen Sperr-Anweisungen. „Bei knapp sechs Prozent der 6,3 Mio. Sperrandrohungen wurde die Sperrung vom Netzbetreiber tatsächlich durchgeführt. Dies entspricht einer Quote von 0,8 Prozent aller Zählpunkte von Haushaltskunden in Deutschland“, heißt es im Monitoringbericht der Bundesnetzagentur 2016. Damals waren das 359.000 Sperrungen.

Die saftig gestiegenen Strompreise zahlen auch die Haushalte mit Niedrigsteinkommen, stellt Susanne Schaper, die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, fest: „Obwohl sich die Strompreise seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt haben, sind weder Hartz-IV-Regelsätze noch das durchschnittliche Realeinkommen im selben Zeitraum angemessen gestiegen. Der für Energie vorgesehene Anteil in den Hartz-IV-Regelsätzen deckt die Kosten nicht. Daran wird auch die Erhöhung des Regelsatzes ab 2018 nichts ändern. Unsere Forderung, dass sich die Staatsregierung für höhere Regelsätze, ein Sanktionsmoratorium und eine Neuausrichtung der Sozialpolitik weg von Hartz IV einsetzen soll, bleibt aktuell.“

Ihre Anfragen an die sächsische Staatsregierung betreffen zwar nicht die einzelnen Sperrungen, sondern die betroffenen Haushalte. Aber sie machen jedes Mal deutlich, dass das Armutsproblem in der Boomstadt Leipzig nach wie vor akut ist.

„In Sachsen waren im vergangenen Jahr fast 8.000 Haushalte von Stromabschaltungen betroffen, weil offene Rechnungen nicht bezahlt werden konnten (Drucksache 6/8336). Der Schwerpunkt lag mit 4.377 Fällen in Leipzig, in Dresden gab es 1.900 und in Chemnitz 1.685 Abschaltungen“, stellt Schaper dazu fest. Es ist also in Leipzig wie auch anderswo in der Bundesrepublik: Die Armut hat sich in einem Teil der Gesellschaft regelrecht festgefressen. Und der Sockel jener Haushalte, die immer wieder mit Geldproblemen zu kämpfen haben, schmilzt nicht mehr wirklich ab.

„Im Durchschnitt blieben die Betroffenen vier Tage lang im Dunkeln sitzen“, stellt Schaper fest. „Zu den Strom-Zahlungsrückständen von mindestens 100 Euro kommen dann die Kosten für die Sperrung und den späteren Wiederanschluss sowie die Kosten für die verderbenden Lebensmittel. Dabei kann niemand davon ausgehen, dass Menschen freiwillig eine Stromabschaltung riskieren. Oft führen Sanktionsmaßnahmen oder der ohnehin viel zu niedrige Hartz-IV-Regelsatz zur Zahlungsunfähigkeit, wegen der die Betroffenen dann in die Steinzeit rückversetzt werden. Diese unsoziale Praxis muss ein Ende haben – das Existenzminimum muss gewährt werden!“

Die Auskunft von Wirtschaftsminister Martin Dulig zu Stromabschaltungen 2016. Drs. 8336

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Es gibt 2 Kommentare

Kathrin, wie meinst du das genau? Er soll fest in der Miete enthalten sein? Er darf nicht abgestellt werden?

Prinzipiell gehe ich mit, Strom ist ein Grundbedürfnis und das Abstellen von selbigen führt zu immensen Folgekosten. Einerseits die Gebühren des Netzbetreibers, anderseits Kühlschrank UND gleichzeitig nicht mehr Kochen können.

Aber wenn der Strom “All inclusive” ist, wie bringt man die Leute dazu, sorgsam damit umzugehen? Und nicht mit Strom statt Färmwäre/Gas zu heizen oder das Licht auch ab und an mal auszuschalten?

Strom muss endlich existenzsichernd als Teil der Kosten der Unterkunft berechnet werden. Strom ist ein Grundbedürfnis des Wohnens.
Ich weiß nicht mehr wer es mal sagte, aber sinngemäß etwa: ohne Strom ist eine Wohnung unbewohnbar und eine Stromabschaltung ist schon fast einer Obdachlosigkeit vergleichbar.

Und was ebenfalls auf den Prüfstand gehört: die exorbitanten “Gebühren” für Sperrung und Entsperrung! Hier wird auf Kosten der Ärmsten noch mal richtig Kasse gemacht.

Hinzuzufügen ist noch: Wenn das Sozialamt nach viel Hin und Her endlich die Stromschulden als Darlehen übernimmt, muss man die ohnehin hohen Abschläge zahlen und noch die Raten ans Sozialamt. Man ist also doppelt bestraft.

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