Leipzig geht’s gut? Leipzig ist im Aufwind? Nicht wirklich. Trotz steigender Erwerbstätigenzahlen und sinkender Arbeitslosenzahlen, tragen nach wie vor zehntausende Haushalte an der Last unzureichender Einkommen. Im Ergebnis bleibt Leipzig in Sachsen die Hauptstadt der Schuldner, Wohnungskündigungen und Stromabschaltungen.

Denn wenn das Geld nicht mal zur Abdeckung der alltäglichen Kosten reicht, dann erleben nach wie vor tausende Familien, wie das ist, wenn man in die Mühle gerät, die Mahnungen in immer dichterer Abfolge ins Haus flattern, Behörden und Lieferanten nicht mehr mit sich diskutieren lassen und die Mahngebühren steigen.

In der Bundesrepublik Deutschland regiert nicht die Gerechtigkeit. Das hat der mögliche SPD-Kanzlerkandidat sehr gut erkannt: Es regieren die Gläubiger. Und der grimmigste und radikalste ist in der Regel der Staat selbst, der – man denke nur an die peinliche „Agenda 2010“ – erst selbst dafür gesorgt hat, dass für Millionen Erwerbstätige der prekäre Lebenszustand zum Dauerzustand wurde – und dann gewaltige Antragshürden aufgebaut hat, die verhindern, dass die so ins Bedürftige Abgeschobenen doch noch ausreichend versorgt sind. Von den Sanktionen der bürokratisch leerlaufenden Jobcenter muss man da gar nicht reden.

Ergebnis: Je niedriger die Durchschnittseinkommen in einer Stadt sind und je höher die ganz faktische Armutsquote, umso mehr Menschen bekommen es mit Gerichtsvollziehern, Wohnungskündigungen und Stromabschaltungen zu tun.

Die Zahl der Stromabschaltungen sagt so einiges aus über den Abbau von Armut in Sachsen. Die Zahl konterkariert all die falschen Gesänge davon, dass es Langzeitarbeitslosen und schlechter Qualifizierten mit „Hartz IV“ leichter gelingt, in einen vollwertigen Job zu kommen. Tatsächlich haben sich die Integrationshürden für Menschen, die eh schon hohe Handicaps haben, mit Einführung von „Hartz IV“ noch erhöht.

Und eine Vermutung steht im Raum: dass dieses hochgepriesene Agenda-2010-System in Wirklichkeit die Integration von Menschen mit Vermittlungs-Handicaps noch zusätzlich erschwert hat. Es hat ihnen die Freiräume genommen, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Das Vermittlungssystem der Jobcenter selbst ist hochgradig unflexibel und kaum hilfreich. So dass sich der Status von Langzeit-Bedürftigen eher verfestigt hat. Und kriminalisiert. Denn nichts Anderes ist es, wenn dieser Aussortiermechanismus dazu führt, dass Familien immer wieder in richtige Geldnöte geraten und dann irgendwann das Licht ausgeht.

Und die Leipziger Zahlen zu den Stromabschaltungen zeigen, dass der Sockel der Bedürftigkeit hier nur sehr, sehr langsam sinkt. Von 2013 bis 2015 gab es noch einmal einen spürbaren Rückgang. 2013 verzeichnete Leipzig 5.763 Stromabschaltungen, im Folgejahr waren es 5.415 und 2015 dann 4.421. Was immer noch doppelt so viel war wie in der Landeshauptstadt Dresden.

Aber die „Arbeitsmarktbelebung“, die auch den Niedriglöhnern zugute kam, hat sich schon 2016 wieder abgeschwächt. Auf Anfrage der linken Landtagsabgeordneten Susanne Schaper teilte Wirtschaftsminister Martin  Dulig nun mit: „Nach Informationen der jeweiligen Stromnetzbetreiber kam es im Jahr 2016 in der kreisfreien Stadt Chemnitz zu 1.695, in Dresden zu 1.900 und in Leipzig zu 4.377 Stromabschaltungen.“

Da ist, wie man sieht, in Leipzig der Wurm drin. Die Gruppe der Haushalte, die am Minimum entlangschrammen, schmilzt nicht wirklich. Und das trotz tausender offener Stellen. Da eine belastbare Analyse der Arbeitsagentur zu Qualität, Bezahlung und Qualifikationsanforderungen dieser Stellen fehlt, kann man nicht mal sagen: Es sind die Alleinerziehenden, die schwer in gute Beschäftigung kommen, oder die Niedrigqualifizierten oder die weniger Mobilen.

All das wird eine Rolle spielen. Die neoliberale Starrheit dessen, was man so gern Arbeitsmarkt nennt, verhindert geradezu die Integration von Menschen, die eben nicht vollumfänglich flexibel, mobil und rund um die Uhr einsatzbereit sind. Und was in Leipzig an neuen Jobs entstanden ist, fällt zumeist in den Bereich der kompletten Flexibilität – ob das die DHL-Jobs am Flughafen sind, die Packer-Jobs bei Amazon oder die Telefonisten-Jobs in jener mittlerweile riesigen Branche der Callcenter.

Schaper hatte auch nach den Rückständen der Betroffenen gefragt, eine Zahl, die vielleicht Auskunft darüber geben könnte, ob die Betroffenen nun einfach zu verschwenderisch mit Strom umgingen oder eher mit Bettelbeträgen in die Zahlungsunfähigkeit rutschten. „Die nachgefragten Angaben werden statistisch nicht erfasst“, teilte der Minister mit. „Der Sächsischen Staatsregierung liegen daher keine Informationen im Sinne der Fragestellung vor.“

Die Auskunft von Wirtschaftsminister Martin Dulig zu Stromabschaltungen 2016. Drs. 8336

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