Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über die zunehmenden Verspätungen der Deutschen Bahn berichtet wird, über Dauerbaustellen, ausfallende Züge, Lokführermangel. Ein einst stabil arbeitendes Unternehmen hat sich binnen dreier Jahrzehnte zu einem Sanierungsfall entwickelt. Eine der größten Reformen in der jüngeren Bundesrepublik erweist sich als vollkommener Fehlschlag. Doch die Politik druckst herum. Die Eisenbahnergewerkschaft sagt es nun öffentlich: Diese Reform war Bockmist von Anfang an.

„Wir Lokführer in der EVG sind stinksauer über diese kaputte Eisenbahn. Nichts funktioniert mehr, die Belastungen der Belegschaft werden immer höher und das Ansehen auf das Berufsbild nimmt Tag für Tag weiter ab“, beschreibt ICE-Lokführer Karsten Ulrichs, Vorsitzender der Zentralen Fachgruppe Lokfahrdienst bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die aktuelle Krisensituation der DB aus der Sicht der Beschäftigten.

„Politik und Management haben mehr als versagt und die einst stolze und zuverlässige Bahn nicht saniert, sondern an den Abgrund gestellt. Die Bahnreform, die vor 30 Jahren die DB aus den roten Zahlen führen sollte, ist gescheitert und ein Neustart notwendiger denn je.“

Eine Bahnreform im Windschatten der deutschen Einheit

Mit der Bahnreform von 1994, die im Schatten der ostdeutschen Transformation stattfand und aus der zuvor sehr verlässlichen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG als privatrechtlich organisierte Eisenbahngesellschaft machte, entstand ein Unternehmen, das seine „Gewinne“ vor allem dadurch „erwirtschaftete“, dass es Strecken stilllegte, wichtige Redundanzen im Netz abbaute und vor allem dringend notwendige regelmäßige Sanierungen unterließ und verschob, sodass sich heute ein mehrere Milliarden Euro teurer Sanierungsstau aufgebaut hat.

Das kennen die Leipziger und alle anderen Großstädter aus ihrer eigenen Stadt: Der Bund senkte – mitten in der teuren Ost-West-Angleichung – die Steuern, zwang sämtliche staatlichen Ebenen zum Sparen und verkaufte das den Wahlbürgern als einen Gewinn an Qualität, Effizienz und Mitteleinsatz. Doch genau diese – durch und durch neoliberale Haltung – führte auf allen Ebenen dazu, dass die drängendsten Investitionen nicht abgearbeitet wurden. Straßen und Brücken verschleißen.

Und die Bahn ist längst zum allgegenwärtigen Beispiel dafür geworden, wie man das Funktionieren eines großen staatlichen Unternehmens regelrecht sabotieren kann, indem man ihm die nötigen Investitionsgelder vorenthält und stattdessen den falschen Traum davon träumt, dass das Unternehmen nun den Staatshaushalt mit Gewinnausschüttungen füttert.

Jetzt fehlen auch noch die Leute

Aber mittlerweile findet das einst renommierte Unternehmen nicht einmal mehr das nötige Personal, um die Züge fahren zu lassen.

„Wer mehr Verkehr auf der Schiene will, der braucht dafür erst mal gutes Personal. Wir können nur so viele Züge fahren, wie Personal vorhanden ist und nicht umgekehrt“, benennt Karsten Ulrichs das Dilemma. „Wenn wir Lokführer über mehr Personal sprechen, dann meinen wir qualifiziertes, hoch ausgebildetes Personal mit bester Eignung und Befähigung für diesen sicherheitsrelevanten Beruf. Lokführer bekommt man nicht durch Rekrutierungen aus allen Ländern dieser Welt oder durch Schmalspurausbildungen der vielen unkontrollierten Ausbildungsschulen.“

Was die Bundesagentur für Arbeit dann über Bildungsgutscheine zustande bringe, sei nicht das, was im Dienst auf der Lok gebraucht wird: „Da stehen oft die Eignung und Befähigung hinten an – das ist ein Bärendienst für die Qualität des Berufsbildes Lokführer und auch für die Sicherheit der Bahn.“

Der Personal-Trichter

Außerdem müsse die Arbeitsorganisation auf neue Füße gestellt werden, sagt Ulrichs: „Wir brauchen die verlässliche Basis für einen stabilen Eisenbahnverkehr im Interesse der Allgemeinheit. Unter einem Neustart verstehen die Lokführer schlanke Strukturen. Der Personal-Trichter bei der DB AG steht auf dem Kopf! Es fehlt Geld, die Berufsbilder attraktiv zu machen und wertzuschätzen – dazu gehören gute Bezahlung und gute Beschäftigungsbedingungen.

Die Zuordnung der Lokführer in die Unternehmensbereiche der DB AG Cargo, DB Fernverkehr und DB Region ist starr und undurchlässig – wie das gesamte Konstrukt der DB AG. So geht es nicht weiter!“

Und auch Martin Burkert, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), sieht die aktuelle Situation der Deutschen Bahn AG äußerst schwierig: „Verunsicherte Belegschaft, unzufriedene Kunden und ungeklärte Finanzierung – das ist das aktuelle Krisen-Szenario bei DB.“

Und nun wird auch noch über die Trennung von Fahrweg und Betrieb diskutiert. Das aber – so Ulrichs – „lehnen die Lokführer ab, weil dadurch die Türen für einen konzernweiten Einsatz noch weiter zugeschlagen werden. Die Bahn muss gemeinwohlorientiert betrieben werden und braucht ihren staatlichen Einfluss mit mehr Kompetenzen und vernünftigen Strukturen.

Hilfreich wäre beispielsweise eine eigene Eisenbahnbehörde, zuständig für allen Eisenbahnen in Deutschland, und einen echter Bahnbeauftragter, der mit laut Relevanz und mit Entscheidungsbefugnis ins Kanzleramt gehört. Es ist Zeit zu handeln. Worte sind genug gewechselt – jetzt zählen nur noch Taten.“

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“Politik und Management haben mehr als versagt….” und arbeitgeberfreundliche Gewerkschaften wie die EVG? Die haben schließlich so ziemlich alles mitgetragen. Wenig hilfreich.

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