Während die halbe Republik zu wüten scheint, weil mutige Menschen in orangen Westen sich auf ihre Straßen kleben, hat das Jahr 2022 bei vielen anderen ein Umdenken ausgelöst. Das 9-Euro-Ticket spielte dabei ganz gewiss eine Rolle. Der Regionalverkehr wurde auf einmal zu einer entdeckenden Möglichkeit. Und der Trend hält 2023 an, wie Abellio meldet. Immer mehr Menschen in Mitteldeutschland entscheiden sich für den Zug als Verkehrsmittel ihrer Wahl.
Das zeigen die Fahrgastzahlen der Abellio Rail Mitteldeutschland für das erste Halbjahr des Jahres 2023. Das Unternehmen konnte auf seinen insgesamt 26 Linien in diesem Zeitraum 20 Prozent mehr Fahrgäste an Bord seiner Züge begrüßen als im Vorjahreszeitraum. Die Züge des Unternehmens fahren überwiegend durch Sachsen-Anhalt und Thüringen und verbinden die Region mit angrenzenden Großstädten.
Insgesamt nutzten an die 10,5 Millionen Fahrgäste in den ersten sechs Monaten des Jahres das Angebot, das Abellio im Auftrag der mitteldeutschen Bundesländer erbringt. Im ersten Halbjahr 2022 waren es ca. 8,7 Millionen Fahrgäste. Damit stieg die Zahl der Fahrgäste um knapp ein Fünftel.
Der Zuwachs ist nachhaltig
Dabei zeigt sich, dass der Fahrgastzuwachs ein nachhaltiger Trend ist. Bereits der Januar brachte auf einigen Linien Zuwächse von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, und der Trend hält seither an, betont das Unternehmen. Lediglich im Juni sanken die Zahlen gegenüber 2022, was allerdings dem massiven Ansturm durch das 9-Euro-Ticket im vergangenen Jahr geschuldet sei. Mit dem seit Mai dieses Jahres geltenden Deutschlandticket setzt die Politik nun auf ein nachhaltigeres Wachstum der Fahrgastzahlen.
„Wir freuen uns sehr, dass mehr Menschen in der Region die Vorzüge des Schienenverkehrs für sich entdecken“, so Rolf Schafferath, Vorsitzender der Geschäftsführung der Abellio Rail Mitteldeutschland. „Das Ende der Corona-Maßnahmen und die wachsende Bedeutung des Klimaschutzes spielen dabei sicherlich eine Rolle. Dazu kommt das attraktive Angebot des Deutschlandtickets, und dass der Öffentliche Personennahverkehr seit dem 9-Euro-Ticket endlich Thema in der breiteren Öffentlichkeit geworden ist.“
Allerdings verweist Rolf Schafferath darauf, dass dieser Erfolg nur dauerhaft sein kann, wenn massiv in die Infrastruktur investiert wird. „Die positive Entwicklung wird immer wieder durch den schlechten Zustand der Infrastruktur und Probleme beim Schienennetzbetreiber ausgebremst. Nicht besetzte Stellwerke, schadhafte Schwellen und Verzögerungen bei Baustellen werfen uns immer wieder zurück und sorgen für Frustration bei den Fahrgästen. Das muss sich ändern.“
Zuwachs auf allen Linien
Ein etwas detaillierterer Blick auf die Zahlen zeigt, dass das Wachstum im Dieselnetz Sachsen-Anhalt (DISA), das u. a. Magdeburg und Halle (Saale) mit dem Harz sowie Magdeburg und Stendal mit Wolfsburg verbindet, mit 31,5 Prozent höher ausfiel als im südlichen Saale-Thüringen-Südharz-Netz (STS). Im STS, das unter anderem Halle und Leipzig mit Erfurt und Jena sowie Halle mit Kassel verbindet, und in dem deutlich mehr Fahrgäste unterwegs sind, lag das Wachstum im ersten Halbjahr 2023 immerhin bei 14 Prozent. Der Fahrgastzuwachs verteilt sich auf alle Linien der beiden Netze, wobei der Zuwachs bei den grundsätzlich höher ausgelasteten Linien in der Regel auch etwas spürbarer ausfällt.
Deutschlandticket wirkt sich am stärksten in Richtung Wolfsburg aus
Der Blick auf den Mai 2023, in dem das Deutschlandticket erstmals gültig war, zeigt einen weiteren Schub in der Nachfrage. Allerdings sei der Mai dank des Frühlingswetters und vieler Veranstaltungen traditionell ein Monat mit hoher Nachfrage, so Abellio. Für belastbare Aussagen zur Wirkung des Deutschlandtickets sei es sicherlich noch zu früh, auch weil der Vergleich zum Vorjahr im Juni durch die Effekte des 9-Euro-Tickets wenig aussagekräftig sei.
Dennoch liefert der Mai 2023 bereits Hinweise auf die Auswirkungen des Angebots, für 49 Euro im Monat bundesweit den ÖPNV nutzen zu können. Denn während der Zuwachs im Mai auf vielen Strecken dem anderer Monate entsprach, sind die Fahrgastzahlen auf den Regionalbahnlinien RB 36 zwischen Magdeburg und Wolfsburg und RB 35 Stendal-Wolfsburg sehr stark angestiegen. So verzeichnete die RB 36 einen Zuwachs von 130 % gegenüber dem Vorjahr, auf einzelnen Fahrten waren fünfmal so viele Fahrgäste unterwegs wie im Vorjahr.
Das lässt den Schluss nahe, dass viele Berufspendlerinnen und –pendler in der Region das Deutschlandticket nutzen und auf die Bahn umgestiegen sind.
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