Es gärt in der Belegschaft der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB). Am Mittwoch, dem 9. November, mussten die LVB einen Teil ihres Fahrbetriebes einstellen, weil viele Fahrerinnen und Fahrer an der angesetzten Betriebsversammlung teilnehmen wollten. Es geht um bessere Bezahlung, möglicherweise, wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ankündige, um „heftige Tarifauseinandersetzungen“ ab Januar 2023. Arme LVB, könnte man sagen.

In den beiden Corona-Jahren 2020 / 2021 musste das Leipziger Verkehrsunternehmen schon massiv mit Geldern des Bundes gestützt werden, weil die Fahrgastzahlen eingebrochen sind. 2022 werden sich diese wieder etwas erholen. Aber die LVB bleiben ein Zuschussunternehmen, hauptsächlich gegenfinanziert durch den Querverbund im LVV-Konzern, aber auch durch Zuschüsse aus dem städtischen Haushalt.

Was jetzt so klingt, als wäre ÖPNV eine einzige Bettelei. Aber das würde nur vom falsche Denken erzählen, das seit 1990 Einzug gehalten hat – nicht nur in Ostdeutschland. Als bräsige Parteien meinten, man könne ÖPNV auch privatisieren und private Unternehmen könnten das Ganze dann billiger anbieten. Ganz so, als wären Private cleverer dabei, die Kosten zu drücken.

Sparschwein ÖPNV

Im Gegenzug wurden die Zuschüsse an kommunale Unternehmen gedeckelt, wurden diese sogar – wie in Leipzig passiert – massiv reduziert, sodass einem Unternehmen wie den LVB jahrelang Millionensummen entzogen wurden. Das Unternehmen war zum Sparen verdonnert. Und sparte vor allem beim Personal, schuf gar erst eine Tochterfirma, in der das Fahrpersonal schlechter bezahlt wurde als im Stammbetrieb. Fahrer 2. Klasse, könnte man sagen. Und so fühlten sich die dort Abgeschobenen auch über Jahre.

Und wirklich üppig sind die Gehälter für das Fahrpersonal bis heute nicht. Was einer der Gründe dafür ist, warum die LVB trotz immer neuer Recruiting-Veranstaltungen Schwierigkeiten haben, genügend neue Fahrerinnen und Fahrer zu bekommen. Spürbar wird das für die Fahrgäste immer dann, wenn mal wieder eine Corona- oder Erkältungswelle durch das Fahrpersonal rauscht – dann gibt es auch in normalen Zeiten einen ausgedünnten „Ferienfahrplan“. Und in den Bahnen lästern die Fahrgäste: „Das bekommen die nie auf die Reihe. So wird der Laden niemals attraktiv.“

Recht haben sie, auch wenn sie die Falschen meinen – die LVB-Geschäftsführung.

Denn einer der wesentlichen Gründe dafür, dass der ÖPNV – nicht nur in Leipzig – derart unterfinanziert ist, liegt auf einer ganz anderen Ebene. ÖPNV ist nämlich eine Gemeinschaftsaufgabe, die auch durch die Gemeinschaft finanziert werden muss. Er sichert Mobilität für alle – möglichst zu bezahlbaren Preisen. Finanziert wird er durch den Bund, die Länder und die Kommunen. Anteilig eigentlich.

Denn eigentlich ist ÖPNV-Finazierung Ländersache. Nur sehen das die meisten Landesregierungen nicht so.

„Sparsame“ Länder

Wenn man genauer hinschaut, dann ist es mit dem „anteilig“ nicht weit her. Dann tun nämlich einige Player so, als ginge sie das Ganze nichts an. Ein Thema, mit dem sich der Bundesrechnungshof in einer Veröffentlichung vom 8. August einmal näher beschäftigt hat. Denn auch der Bund findet die Kostenteilung mittlerweile ungerecht. 8,4 Milliarden Euro gab der Bund im Jahr 2017 an Regionalisierungsmitteln aus, Geld, das er direkt an die Bundesländer ausreichte, die sich dann gern als Weihnachtsmann betätigten, wenn sie diese Gelder an die Zweckverbände weiterreichten.

Eigentlich müssten die Länder noch einmal dieselbe Summe drauflegen. Dann käme man zu einer ausreichenden Finanzierung des ÖPNV. Aber 2017 schossen sie nur 2,7 Milliarden Euro zu. Und die Löwenanteile dieser 2,7 Milliarden Euro zahlten Berlin, Niedersachsen, Baden-Württemberg und NRW an ihre Verkehrsunternehmen. Und dazu kommt, wie der Bundesrechnungshof rügte: „Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass die Länder die ausgezahlten Regionalisierungsmittel meist nicht vollständig ausgeben.

Seit dem Jahr 2008 sind die so entstandenen Reste bei den Ländern von 338 Mio. auf 4 Mrd. Euro zum Ende des Jahres 2017 angewachsen. Für die Jahre 2018 und 2019 zeichnet sich aufgrund der Angaben in den Verwendungsnachweisen der Länder ein weiterer Anstieg um insgesamt einen großen dreistelligen Millionenbetrag ab.“

Viele Bundesländer hielten sich deutlich zurück, ihren Anteil an den ÖPNV-Kosten zu tragen. Das griff am 10. August der „Tagesspiegel“ in einem Beitrag auf, in dem er insbesondere zeigte, wie sich die ostdeutschen Bundesländer beim ÖPNV gesund sparen. Auch Sachsen, das von rund 580 Millionen Euro für den ÖPNV selbst nur rund 40 Millionen Euro beisteuerte. Gerade einmal 7 Prozent.

Wobei zu berücksichtigen ist, dass die vom Bund ausgereichten Regionalisierungsmittel fast ausschließlich in den Schienenpersonennahverkrehr (SPNV) fließen, nicht in die kommunalen ÖPNV-Unternehmen. Die bekommen fast ausschließlich Förderung für Investitionen – also Schienenbau und Fahrzeugbeschaffung.

Bitte mehr Regionalisierungsmittel?

Auf den steigenden Personal- und Energiekosten bleiben die kommunalen Unternehmen allein sitzen bzw. müssen diese Kosten auf die Fahrpreise umlegen. Was die LVB jahrelang getan haben – bis zu dem Punkt, an dem auch der Leipziger Stadtrat sagte: „Es reicht. Man kann die Fahrgäste nicht immer weiter belasten, sonst wird das Angebot völlig unattraktiv.“ Und die beiden letzten Bürgerumfragen haben bestätigt: Der Fahrpreis entscheidet ganz zentral mit darüber, ob Menschen auf den ÖPNV umsteigen oder lieber nicht.

Aber wer bezahlt dann das Fahrpersonal?

Eine Frage, die auch in Sachsen steht. Am 13. Oktober begrüßte Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) zwar die Ergebnisse der Verkehrsministerkonferenz und die geplante Einführung des 49-Euro-Tickets 2023. Aber dass Sachsen stärker in die ÖPNV-Finanzierung in sächsischen Kommunen einsteigen würde – davon kein Wort.

„In einer sehr intensiven Diskussion haben sich heute die Länder mit einer gemeinsamen Positionierung mit dem Bund auf die weiteren Grundsätze der Regionalisierungsmittel geeinigt. Diese beinhalten die Einführung eines bundesweit geltenden ÖPNV-Tickets für 49 Euro. Dieses Ticket soll papierlos sein und eine monatliche Kündigung ermöglichen. Der Bund stellt dafür ab 2023 1,5 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung“, sagte Dulig.

„Die Länder sind zur Kofinanzierung bereit. Als Bedingung für die Einführung des Tickets wird auch weiterhin die Sicherstellung einer Grundfinanzierung durch eine auskömmliche Ausstattung mit Regionalisierungsmitteln vonseiten der Länder gesehen. Die Verkehrsministerkonferenz erwartet von der anstehenden Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundesregierung, dass sie die dafür erforderlichen Beschlüsse fasst.“

Was dann die Frage im Raum stehen lässt: Woher soll das Geld kommen, mit dem die LVB dann die steigenden Gehälter ihres Fahrpersonals bezahlen sollen? Irgendjemand hat ja schon in den Raum geworfen: Dann wird das Fahrplanangebot eingeschränkt.

Was dann die Leipziger Mobilitätswende komplett torpedieren würde.

Es sei denn, die Bahnen fahren dann fahrerlos. Womit innerhalb der LVB ja ab den 2030er Jahren sowieso gerechnet wird.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 3 Kommentare

In Leipzig muss sich vieles Ändern, zuerst bei den Parteien. Wenn sogar die Grünen einen Rückbau einen Straßenbahnteilstückes zustimmen, stimmt etwas nicht.
Viele reden von der realen Kosten des individuellen Autoverkehr, die man in Rechnung stellen sollte, warum redet keiner davon diese Mittel in den ÖPNV zu stecken.

“Eigentlich müssten die Länder noch einmal dieselbe Summe drauflegen. ”

Ist das eine Pflicht und steht irgendwo geschrieben oder ein ‘so müsste es am besten sein?’

* Wäre es eine Pflicht, dann: warum wird diese nicht kontrolliert und sanktioniert?
* Wäre es keine Pflicht, müsste es eine werden. Beantragt Bürger X irgendwelche Zuschüsse und Fördermittel, muss peinlich genau nachgewiesen werden, dass der Eigenanteil auch erbracht wird. Warum sollte das nicht genau so sein, wenn der Bund Geld dazu schießt?

“Der Nahverkehr ist scheiße” ist so ein Satz, den man komischerweise auch aus Städten hört, wo es aus Leipziger Sicht gut läuft. Man hört das aus Berlin und auch aus Stuttgart. Wo die Bahnen seit langen Jahren im Wesentlichen Stadtbahnen sind, leise und breit, klimatisiert und schnell. Und wer sich das in Stuttgart mal angesehen hat, der sieht ganz gut, wie viel Kohle die in ihren Nahverkehr pumpen. Aktuell wird die S-Bahn ausgebaut, also auch dort investiert. Ich bin mir daher nicht sicher, wie viel man mit mehr Geld an Zufriedenheit erreicht. Klar ist dennoch, dass mehr Geld her muss. Wir brauchen nicht an jeder Ecke eine Apotheke, einen Bäcker oder eine kleine Konsumfiliale. Wir brauchen aber definitiv Fahrpersonal, damit in einer Großstadt Busse und Bahnen fahren. Mit dem Lohngefüge kann man da sicher einiges machen.

Einiges der (un)Zufriedenheit kommt aber auch aus den LVB selbst. Die Fahrgäste geben in Dresden jedes Jahr ihren Verkehrsbetrieben eine hohe Zufriedenheitsquote ab. Und in vielen Details werden in Dresden einfach die besseren Entscheidungen getroffen, die im Laufe von Jahrzehnten dann doch zu einer bestimmten Einstellung und Grundstimmung zu den eigenen Systemen führen. Das beginnt bei optisch lieblosen, fragwürdigen Gestaltungen der Tatra-Modernisierung in den frühen 90ern, dazukommend mit dem völlig unpassenden, rumpeligen Niederfluranhänger, den die Ewigkeiten hinter sich herzogen. Das geht weiter mit dem sparsamkeitsgetriebenen “Eigenbau” des Leoliners, der sowohl ein komisches Platzkonzept im Inneren hat, als auch unbequem und laut-dröhnig ist.
Wenn man beim Straßenbahnbetrieb bleibt, kommt dazu noch wenig Engagement beim Thema Rasengleis (warum man bis heute durch den Bogen vorm Gewandhaus rumpelt und quietscht, obwohl das alles gut gedämmt sein könnte, frage ich mich jedes Mal) und auch örtliches Museum. Sowohl Dresden als auch Stuttgart, um bei den Beispielen zu bleiben, investieren auch zur Steigerung der Identifikation der Bevölkerung mit den örtlichen Betrieben mehr Geld in ihre Straßenbahnmuseen als Leipzig.

Kurzum: Es gibt viel zu tun bei den LVB, angefangen bei mehr Geld für den laufenden Betrieb (das natürlich als Aufgabe des Staates), über bessere Zusammenarbeit mit der Stadt und ihren lange geplanten Projekten, bis hin zu einem Umdenken bei mancher Eigenartigkeit, die man sich traditionell bewahrt, weil man eben Leipzig ist.
Und auch die Qualität / Ausführung der Bauleistungen würde ich mir mal von extern evaluiert wünschen. Es rumpelt an so vielen Kreuzungen und Weichen, die gefühlt vor Kurzem neu gebaut wurden, da frag ich mich schon, ob man die Haltbarkeit noch steigern könnte.

Schreiben Sie einen Kommentar