Vor drei Jahren war das, da wurde das Pilotprojekt für das erste autonome Fahrzeug für die LVB auf der Neuen Messe gestartet. Die drei Jahre hat es auch gebraucht, die nötige Technik zu entwickeln, damit im Leipziger Norden demnächst der erste autonom fahrende Kleinbus pendeln kann. Aber bevor es so weit ist, wird das Ganze erst einmal mit einem Testfahrzeug unter Normalbedingungen erprobt.
ABSOLUT klingt zwar erst mal nach einem alkoholischen Getränk, meint aber einen Automatischen Busshuttle – Selbstorganisierend zwischen Leipzig Und dem BMW-Terminal. 15 Millionen Euro lassen sich die Projektpartner das Ganze kosten, der Bund gibt 10 Millionen davon als Förderung. Und eigentlich lief der Förderzeitraum im Dezember aus. Aber das Projekt war dann doch etwas zeitaufwendiger. Denn eins wollte man auf gar keinen Fall: Autonome Steuersysteme einfach nachbauen, wie sie von amerikanischen Konzernen schon verwendet werden. Auch die dabei erfolgten Fehler wollte man vermeiden.
Also hat man das ganze System auch mit Leipziger IT-Partnern von Grund auf selbst entwickelt. Und ist jetzt tatsächlich so weit, mit dem ersten Fahrzeug auf öffentliche Straßen zu gehen.
Fahrerlaubnis für den ersten autonom fahrenden Kleinbus
Nach Abschluss aller Um- und Ausbauarbeiten am ersten Versuchsfahrzeug – einem VW eCrafter – im September 2021 erteilte die zuständige Behörde, das Landesamt für Straßenbau und Verkehr Sachsen, eine Erprobungsgenehmigung für automatisierte Fahrfunktionen im öffentlichen Straßenraum. Diese ermöglichte nach Freigabe durch die DEKRA im Januar 2022 nun den Applikationsstart der Fahrautomatisierung.
Erste Manöver konnten Ende Januar bereits auf dem Rundkurs um den Messesee vor der Leipziger Messe getestet werden. Weitere Anwendungstests laufen bis zum Sommer. Dann startet der Pilottest mit Fahrgästen.
Wenn so ein Fahrzeug im ÖPNV fahren will, braucht es freilich mehr als nur einen Kleinbus, der sich im Straßenverkehr orientieren kann. Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) müssen umlernen, insbesondere die Leitstelle, die künftig auch diese autonomen Fahrzeuge aus der Ferne überwachen muss. Man „spart“ zwar Fahrer im Fahrbetrieb und kann so das Angebot in den Leipziger Randlagen deutlich ausweiten, wie LVB-Geschäftsführer Ronald Juhrs erklärt. Dafür werden neue Arbeitsplätze in der Leitstelle entstehen, wo künftig Dispatcher zehn und mehr solcher autonomen Fahrzeuge überwachen müssen.
Dazu kam die durchaus aufwendige Zulassung des Fahrzeugs für den Betrieb im öffentlichen Verkehrsraum, wo er nicht in Schrittgeschwindigkeit, sondern mit Höchstgeschwindigkeiten bis 70 km/h unterwegs sein muss. Und in den öffentlichen Personennahverkehr muss das Fahrzeug ja auch integriert werden, was unter anderem die Anschlüsse an andere Bus- und Straßenbahnlinien betrifft. Und wie sich das anhört, dürfte das für Fahrgäste ein echter Qualitätssprung werden, wenn diese autonomen kleinen Busse es fertigbringen, mit der wartenden Straßenbahn zu kommunizieren und man tatsächlich noch seinen Anschluss bekommt.
Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit den oben erwähnten 10 Millionen Euro. Aufgrund der Verzögerung wurde der Förderzeitraum jetzt bis September 2022 verlängert. Und wenn das Ganze sich jetzt auch im Straßenverkehr bewährt, hat Sachsen tatsächlich mal wieder ein Stück Spitzentechnologie, die auch für Andere interessant ist.
„ABSOLUT hat einen technologischen Meilenstein erreicht, der weit über dieses Projekt hinausreicht und Deutschland beim wichtigen Zukunftsthema automatisiertes Fahren weiter voranbringen wird”, meint Christian Liebich, Referent im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Neue Anwendungstestphase startet
Parallel zu den Arbeiten am Fahrzeug ist auch ein Großteil der Lichtsignalanlagen auf der Strecke fertig von der Messe bis zum BMW-Werk ertüchtigt. Dazu gehört der Umbau von elf Ampelanlagen, um die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Lichtsignalanlage sicherzustellen.
Die neu geschaffene ABSOLUT-Leitstelle konnte ebenfalls erfolgreich mit den Fahrzeugen, der LVB-Betriebsleitstelle sowie den Mobiltelefonen der Testkunden (Handy-App) verbunden werden.
„Mit dem Entwicklungs- und Forschungsprojekt ABSOLUT ist es uns gelungen, zahlreiche Innovationspartner zu vernetzen, um für Kunden effizient Neues auf die Straße zu bringen. Dadurch wollen wir für die Menschen in Leipzig neue Angebote möglich machen und die Leipziger Verkehrswende nachhaltig gestalten”, so Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe.
„Hier werden die Schlüsselworte für eine erfolgreiche und nachhaltige Mobilitätswende – Klimaschutz, Digitalisierung, Dekarbonisierung und innovative Technologien – miteinander verknüpft und ganz real Elektromobilität mit neuesten Erkenntnissen der Automatisierung von Fahrzeugen vereint“, betont Ines Fröhlich, Staatssekretärin im Sächsischen Ministerium für Wirtschaft und Arbeit.
„Durch Verknüpfung von Angebot und Nachfrage kann mit einem bedarfsgerechten 24/7 On-Demand-Angebot erstmals öffentlich-individuelle Mobilität entstehen, die sich viel stärker als bisher auf individuelle Bedürfnisse ausrichtet. Das sind die Grundvoraussetzungen, um mehr Menschen eine wirkliche Alternative zum Individualverkehr zu bieten und damit den Modal Split zugunsten des öffentlichen Personenverkehrs zu verbessern. Dieser Komfortgewinn wird zu einer Steigerung der Attraktivität des ÖPNV führen.“
Zielsetzung des Projekts
Mehr Klimaschutz, weniger Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und neue Technologien werden die Mobilität und ihre Player stark verändern, ist man sich bei den LVB sicher. Die Weiterentwicklung der Elektromobilität und der künstlichen Intelligenz sind zukunftsweisende Themen der deutschen Industrie. In diesem Kontext wird im Rahmen des Leipziger Nordraumprojekts ABSOLUT die Entwicklung von Fahrzeugen und deren exemplarische Nutzung für die Teststrecke S-Bahnhof Messe bis BMW Group Werk Leipzig mit ortsüblicher Fahrgeschwindigkeit und hoher Automatisierung vorangetrieben. Die dabei entstehende innovative Verkehrsdienstleistung soll perspektivisch in das Angebot der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) integriert werden.
Das heißt: Wenn sich der Einsatz des fahrerlosen kleinen Shuttle-Busses auf der Teststrecke zwischen Messe und BMW-Werk bewährt, werden die LVB darangehen, auch andere Stadtrand-Gebiete von Leipzig mit diesen fahrerlosen Shuttles auszustatten. Der heutige Betrieb flexibler Flexa-Fahrzeuge in einigen Ortsteilen ist dazu nur der Auftakt. Denn diese Fahrzeuge brauchen ja allesamt noch einen Fahrer und der Aufbau eines Flexa-Netzes ist entsprechend teuer.
Wenn man aber das Netz gerade am Stadtrand verdichten und den in Leipzig üblichen Grundtakt von 10 Minuten (Ronald Juhrs) einführen möchte, bietet sich ein autonomes Fahrzeug-Netz geradezu an. Denn durch den Verzicht auf den Fahrer spart man vor allem im laufenden Betrieb.
„Das haben wir auch schon in unsere Strategie 2030 so aufgenommen“, sagt Juhrs. „Auf unseren innerstädtischen Bussen und Bahnen werden wir freilich weiter mit Fahrern unterwegs sein.“
Das heißt: Eine bessere Erschließung der Stadtrandbereiche werden wir in den nächsten Jahren mit solchen autonomen Kleinbussen erleben.
„Entwicklungsgegenstand ist neben der Erprobung und Zulassung der Fahrzeuge auch der Pilotbetrieb im öffentlichen Raum zum Testen verschiedener Einsatzkonzepte. Dies beinhaltet ein flexibel verfügbares Angebot, ein mit den Nutzern entwickeltes Buchungs- und Informationsinterface sowie den Aufbau und die Vernetzung mit einer Leitstelle“, erklärt Mario Nowack, ABSOLUT-Projektleiter für die LVB.
Ab Spätsommer auch die ersten Fahrgäste
Begleitend erfolgt die Untersuchung der Nutzerakzeptanz von automatisierten Busverkehren. Ab Ende des zweiten Quartals 2022 soll das Fahrzeug dann das automatisierte Fahren auf der gesamten Strecke „erlernt” haben, sodass im letzten Projektquartal auch die Tests mit ausgewählten Fahrgästen durchgeführt werden können.
Das ABSOLUT-Partner-Konsortium aus Industrie, Kommune und Forschung: EASY ApiOmat GmbH, BitCtrl Systems GmbH, BMW Group, DB Schenker, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH, glts-cotech GmbH, INAVET GmbH, IAV GmbH, Leipziger Messe GmbH, Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH, Sedenius Engineering GmbH, Stadt Leipzig, Technische Universität Dresden, Virtence GmbH.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Keine Kommentare bisher