In der vergangenen Woche bereiste Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig die Niederlande und Dänemark. Begleitet wurde er nicht nur von Wirtschaftsvertretern, sondern auch vom Radverkehrsbeauftragten der Stadt Leipzig. Da überrascht es dann nicht, dass er sich dann in Kopenhagen aufs Rad schwang und selbst einmal sehen wollte, wie eine richtige Radfahrerstadt funktioniert.
Die Fragen, die Dulig bewegten: Wie schafft es Kopenhagen, innerhalb von nur wenigen Jahren, sich von einer automobillastigen Industriestadt zu einer modernen fahrradfreundlichen Metropole zu wandeln?
Unter dieser Hauptfrage verlief das Gespräch mit den Verkehrsexperten Kopenhagens. Das Ziel ist – aus sächsischer Sicht – geradezu verwegen: Bis zum Jahr 2025 will Kopenhagen CO2-neutral sein – dafür wird vor allem das Verkehrssystem grundlegend reformiert. 49 Prozent der Einwohner fahren bereits mit dem Fahrrad auf Arbeit – es sollen deutlich mehr werden. Um dies zu erreichen, werden Fahrspuren für Autos zugunsten von Radwegen gestrichen.
Auch werden für Autos Durchfahrtssperren verhängt – für Radwege hingegen neue Brücken über die Kanäle der Stadt gebaut. Fußwege und Parks werden neu angelegt oder verbreitert – die Stadt soll so systematisch grüner und lebenswerter werden. Zudem soll der Recycling-Anteil von heute 35 Prozent auf 70 Prozent gesteigert werden. Die Energie soll schrittweise auf regenerative Formen umgestellt werden – riesige Offshore-Windkraftwerke werden dafür vor den Küsten Dänemarks errichtet.
Leipzig zum Vergleich hat noch nicht einmal die CO2-Neutralität zum Ziel, sondern peilt bis zur Mitte des Jahrhunderts nur die Senkung des CO2-Aufkommens pro Einwohner von über 6 auf 2,5 Tonnen im Jahr an. Und selbst das ist eine echte Herausforderung, wenn man sieht, wie schwer sich die Stadt mit der „Verkehrswende“ tut.
„Es ist beeindruckend zu sehen, wie in Kopenhagen bei der Städteplanung diese neuen Ansätze verfolgt werden“, sagte Martin Dulig am Freitag, 7. Juni. „Hier ist die Ausgangslage völlig anders als bei uns: Die Städte sehen sich als Treiber, reformieren ihre Verkehrssysteme aus eigenem Antrieb heraus. Städte wie Kopenhagen befördern die Reformen Dänemarks, indem sie selbst Tatsachen schaffen. Der Wille, die Stadt für Radfahrer umzugestalten, kam aus der Bürgerschaft – alle Parteien waren sich einig, dies zu unterstützen. Entsprechend konnten dann die Herausforderungen angegangen werden. Von diesem Konsens, Verständnis und der optimistischen Herangehensweise können wir uns im Freistaat Sachsen viel abschauen.“
Damit erwartet er freilich von den Städten in Sachsen etwas, was sie so nicht leisten können. Das liegt an den Steuersätzen. Die Dänen zahlen deutlich höhere Steuersätze, Besserverdienende beteiligen sich also deutlich stärker an der Staatsfinanzierung. Und das verschafft Städten wie Kopenhagen einen Spielraum, den sächsische Städte nicht haben. Logisch, dass dann selbst vorsichtige Vorstöße aus den Städten von einer aufs Sparen fixierten sächsischen Regierung ausgebremst werden. Städte wie Leipzig sind nicht Herr ihrer eigenen Entscheidungen.
Auf dem Fahrrad sah sich die Sachsen-Delegation die Umsetzung vor Ort in der Stadt und entlang der Kanäle an. Und der Unterschied war augenfällig: Was in Deutschland für Autos Alltag ist, ist in Dänemark für Fahrräder inzwischen selbstverständlich: Volle Radwege, kleine Staus, großer Andrang in den Fahrradstationen und Parkhäusern. Die Stadt will daher ihre Infrastruktur weiter ausbauen, plant zusätzliche Brücken und Schnellwege („Super Cycle Highways“) für Radfahrer. Dafür startete die Kommune eine Onlineumfrage via Facebook, wo die Bürger ihre Wünsche für eine bessere Infrastruktur konkret äußern konnten.
Ein erstes Fazit von Martin Dulig zu dieser Reise: „Reisen bildet ja bekanntlich. Und genau das war das primäre Ziel unserer Reise. Wir haben sowohl in den Niederlanden als auch in Dänemark viel Neues erfahren und nehmen Anregungen mit zurück nach Sachsen. Auch in dem Wissen, dass man nicht alles 1:1 übertragen kann. Aber darum geht es nicht, wir wollen Anregungen, die wir nun im Land, in den Kommunen und in der Politik diskutieren können. Beide Länder sind ein Vorbild dafür, wie Mobilität in Zukunft aussehen kann und funktioniert.”
Dabei seien schon die Entwicklungen in Städten wie Amsterdam, Eindhoven, Utrecht oder Kopenhagen völlig verschieden, da sich die Ausgangslagen und infrastrukturellen Voraussetzungen unterscheiden. Aber eines eint alle, so Dulig weiter: “Sie haben keine Furcht davor, einen Wandel in der Mobilität zu vollziehen. Die Menschen in den Ländern unterstützen diesen Kurs, haben nach anfänglichen Bedenken die Vorteile der Verkehrswende erkannt und nutzen etwa das Fahrrad inzwischen völlig selbstverständlich. Wir reden häufig über den demographischen Wandel, Digitalisierung, Globalisierung. Aber wir müssen diese abstrakten Begriffe ganz praktisch erklären und aufzeigen, welche Möglichkeiten es für die Menschen künftig geben wird. Und klar ist auch: Wir müssen und werden innerhalb Europas stärker mit Regionen zusammenarbeiten, die die gleichen Themen, Herausforderungen und Strukturen haben wie wir.“
Aber auch Dulig versucht immer wieder den Spagat und treibt seine eigenen Großprojekte voran.
Und so stand denn auch der Besuch der Delegation bei einem sehr umstrittenen Projekt auf dem Programm, bei Femern A/S. Das Unternehmen ist als staatliche Projektgesellschaft verantwortlich für Planung und Bau des 18 Kilometer langen Tunnels der neuen Fehmarnbeltquerung zwischen Dänemark und Deutschland.
Erst am 6. Juni hatte der Beltretter e. V. die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die zum Ergebnis hatte, dass knapp 64 Prozent der Menschen in Nordrhein-Westfalen, 60 Prozent der Menschen in Süddeutschland und 59 Prozent der Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die vom geplanten Tunnelbau durch die Ostsee wissen, dagegen sind. Ihre größte Sorge: Das Projekt könnte wichtigen Naturschutzräumen und den Tieren in der Ostsee Schaden zufügen.
„Menschen in allen Bundesländern haben Bedenken, dass der Tunnel wertvollen Naturschutzräumen erheblichen Schaden zufügt sowie die Tiere, die in der Ostsee leben, gefährdet. So haben in Süddeutschland 71 Prozent derer, die vom Tunnelbau wissen, Sorge, dass er der Natur schadet, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind es fast 76 Prozent, auch in NRW sorgen sich knapp 70 Prozent um die Auswirkungen auf die Naturschutzräume an und in der Ostsee“, so der Beltretter e. V.
Der Geschäftsführer von Femern A/S, Claus F. Baunkjaer, berichtete dann auch, wie man daran arbeitet, breite Akzeptanz für solch ein Großprojekt in der Bevölkerung zu schaffen.
Und das interessierte dann wieder Martin Dulig, der ja selbst so ein Großprojekt vorantreibt: das Eisenbahn-Großprojekt Dresden-Prag.
„Die Fehmarnbeltquerung ist ein europäisches Generationenprojekt, das Dänemark und Deutschland enger zusammenwachsen lässt“, erklärte der Wirtschaftsminister. „Sie sind von der EU in einen sogenannten TEN-Korridor eingeordnet worden, so wie wir mit unserer geplanten Neubaustrecke von Dresden nach Prag. Im Jahr 2008 wurde der Staatsvertrag unterschrieben, wohl kommendes Jahr soll der Bau beginnen. Es war spannend zu erfahren, wie die Abstimmungsprozesse verliefen, welche Probleme es im Vorfeld gab. Die Mentalitäten von Dänen und Deutschen scheinen sich arg zu unterscheiden. So gab es in Dänemark 1.600 eingereichte Vorschläge, davon 43 Beschwerden – inzwischen ist das Projekt akzeptiert. Auf deutscher Seite gab es 10.000 Beteiligungen, 3.100 Einsprüche und inzwischen sind 13 Klagen beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig anhängig. Uns ging es deshalb darum, zu lernen, wie wir Verfahren beschleunigen und Fehler vermeiden können.“
„Verkehrswende soll bis 2025 vollzogen werden“, hatte das Wirtschaftsministerium getitelt. Aber das gilt eben nur für Kopenhagen, nicht für Sachsen und auch nicht für Leipzig, das mit seinem Nachhaltigkeitskonzept aber zumindest schon mal eine Vision beschlossen hat, das Verkehrsgeschehen in Leipzig zu ändern. Da kann man gespannt sein, ob kommende sächsische Verkehrsminister Leipzig dann auch die Förderung geben, die ein solcher Umbau von ÖPNV- und Radnetz braucht.
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