Es sieht so aus, als sei Radfahren in Leipzig gefährlicher geworden und habe sich die Zahl der tödlich verunfallten Radfahrer vermehrt. Was auch damit zu tun hat, dass immer mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs sind. Die Nachrichten über die Unfälle erschüttern auch Ute Elisabeth Gabelmann, Stadträtin der Piraten und am Sonntag auch Kandidatin bei der Stadtratswahl. Im April hatte sie einen Antrag gestellt, der den OBM zu zügigem Handeln aufforderte, insbesondere an gefährlichen Kreuzungen.
Gabelmann hatte mit diesem Antrag auf die tragischen und vermeidbaren Unfälle der Vergangenheit reagiert: „Auf dem Weg zum Rathaus immer wieder an einer der Unfallstellen vorbeizulaufen, wo eine 16-Jährige tödlich verletzt wurde, den Abschiedsbrief ihres Freundes dort am Laternenmast gelesen zu haben – das hat mich tief berührt. Ich hatte gehofft, dass mein Antrag fraktionsübergreifend und ohne Parteiengeschacher umgesetzt werden kann.“
Bis jetzt hat sich die Stadtverwaltung noch nicht positioniert, weswegen Gabelmann nun nach den neuesten Ereignissen auf Eile drängt: „Wir erleben dauernd Eilentscheidungen des Oberbürgermeisters und zwar in Fragen, in denen es nicht um Leben und Tod geht. Ich erwarte hier endlich ein Umdenken in der Stadtverwaltung. Verkehrssicherheit – gerade der schwächeren Teilnehmer – ist keine Privatsache.“
Aber was meint sie mit „unfallfreien Kreuzungen“. Gibt es so etwas überhaupt?
In ihrem Antrag vom April liest sich das so: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, in einem Modellprojekt die drei Kreuzungen, die am häufigsten von Unfällen zwischen PKW/LKW einerseits und Fußgängern/Radfahrern andererseits betroffen sind, als Kreuzungen für das Diagonalqueren (‚Alle-gehen-Kreuzung‘) auszuweisen. Nach einer Testphase von mindestens 18 Monaten ist eine Evaluation des Modellprojekts vorzunehmen.“
Solche Kreuzungen gibt es besonders im Japan: Sie haben eine dritte Ampelphase, bei der alle Fahrbahnen auf „Rot“ gesetzt werden und die Fußgänger während dieser Phase die Kreuzung in alle Richtungen überqueren können – auch diagonal. Das ist besonders bei sehr hohem Fußgängeraufkommen hilfreich. In Deutschland gibt es einzelne solcher Kreuzungen in Berlin, Köln und Wuppertal.
Wikipedia verlinkt dazu freilich auch eine Studienarbeit des Verkehrsplaners Holger Kuhlmey von der TU Dresden, der mehrere Aspekte so einer Kreuzung untersucht hat – von den Rotlichtphasen bis zur Akzeptanz und der Verkehrssicherheit.
Doch ausgerechnet die Verkehrssicherheit für Radfahrer erhöht sich an so einer Kreuzung nicht. Kuhlmey: „Eine Diagonalquerung kann eine hohe Verkehrssicherheit gewährleisten. Die Radverkehrssicherheit kann durch eine Diagonalquerung nicht verbessert werden, da diese weiterhin bedingt verträglich zum parallelen Kfz-Verkehr geführt werden.“
Womöglich grübeln Leipzigs Verkehrsplaner genau über diesen Punkt. Bis hin zu der Frage, welche Kreuzung überhaupt in kurzer Frist auf diese Weise umgebaut werden könnte. Oder ob man nicht lieber schnellstmöglich das seit Ewigkeiten ausstehende Radverkehrskonzept fertigmacht und dann auch schnellstmöglich baulich in die Tat umsetzt. Denn viele Unfälle passieren eben auch, weil sichere Radverkehrsanlagen fehlen oder Kreuzungen unübersichtlich gestaltet sind.
Die Stadt ist nach wie vor übersät mit Konfliktstellen, in denen man als Radfahrer lieber von sich aus auf Sicherheitsabstand geht oder auf Vorfahrt verzichtet, um nicht (im toten Winkel) unter die Räder zu kommen, was gerade erst Leipzigs Polizeisprecher Andreas Loepki empfahl. Dieser hatte gesagt, „dass Radfahrer unter Umständen auf ihr Vorfahrtsrecht verzichten müssten, um Schäden für ihre Person zu vermeiden.“
Was Ute Elisabeth Gabelmann inakzeptabel findet: „Solche Äußerungen sind nicht entschuldbar. Sie verschieben die Verantwortung hin zu den Opfern. Wenn diese das Fehlverhalten der Unfallverursacher geahnt hätten, hätten sie sicher auf ihr Recht verzichtet, wie Herr Loepki es einfordert. Vor diesem Hintergrund ist eine solche Aussage einfach nur zynisch.“
Aber wer mit dem Rad in Leipzig unterwegs ist weiß, dass man lieber mit rücksichtsvollem Verhalten motorisierter Verkehrsteilnehmer nicht rechnet, wenn einem das Leben lieb ist. Nicht nur Lkw-Fahrer nehmen Radfahrern an Kreuzungen die Vorfahrt oder biegen ohne zu Bremsen in Straßen ein, die sie nicht überschauen können.
Das alles wird sich erst ändern, wenn Radfahrer auf Leipzigs Straßen wirklich mehr und deutlich markierten Raum bekommen, sodass sie nicht mehr übersehen werden können. Bis hin zum Innenstadtring, zur Jahnallee und allen Magistralen. Der Weg dahin scheint lang zu sein. Seit 2012 läuft Leipzigs Radwegeplanung mit angezogener Handbremse. Wenn das Tempo so bleibt, wird es noch Jahrzehnte dauern, bis Leipzig ein belastbares Radwegesystem bekommt.
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