Ich bin ja gemein. Ich liebe Zahlen. Und als ich jüngst mal wieder in so einem hübsch vollbesetzten Bus unterwegs war, kam mir da so ein nerviger Gedanke – natürlich zu den jüngst vorgestellten Mobilitätsszenarien der Stadt. Sechs an der Zahl. Das siebente fehlte leider. Obwohl ich mir sicher bin, dass über dieses siebente Szenario in 20 Jahren heftig diskutiert werden wird. Es lautet schlicht: Wie funktioniert eine Großstadt ohne Pkw?

Wahrscheinlich sehr gut. Sogar richtig flott. Denn das ist das radikalste und sinnvollste aller Modelle. Denn es räumt mit einem Schlag alles herunter von unseren Straßen, was jetzt für Staus, Stocken, Behinderung und Parkplatznot sorgt. Und die meisten Unfälle sowieso.

So wie im Bild zu sehen: Ganz vorn vor dieser Straßenbahnschlange in Connewitz steht ein etwas zerbeulter Pkw, der unbedingt nach links abbiegen wollte, als die Straßenbahn freie Fahrt bekam. Ein eiliger Autofahrer hat fünf Straßenbahnen einfach mal so außer Gefecht gesetzt.

Ich sag’s ja ungern, aber es ist wahr: Eine Stadt ohne Pkw wäre die idealste Lösung für den Wirtschaftsverkehr. Der würde dann faktisch fast ohne Behinderungen fahren können, denn die Leipziger würden – wenn sie nicht mit dem Rad führen oder zu Fuß gingen – alle mit Bus und Bahn unterwegs sein. Natürlich in einem deutlich besser ausgebauten System. Das ist die Voraussetzung.

Klar: Das würde das jetzige ÖPNV-System nicht leisten können. Das hat schon bei 180 bis 190 Millionen Fahrgästen seine Grenzen.

Aber ich drehe das Ganze einmal herum. Das war ja so mein Gedanke im Bus, der nicht nur schön vollgestopft war, sondern auch nicht wirklich vorwärts kam, denn vor der nächsten Ampel verstopften so ungefähr 30, 40 Pkw die Fahrbahn.

Das war der Rechenansatz: Wie viele zusätzliche Busse würde es brauchen, die ganzen Autofahrer da vorn zu transportieren und die Straße freizuräumen?

War natürlich nicht schwer: einen.

In so einen Gelenkbus passen 40 Autofahrer ohne Probleme.

Ich will nicht schummeln: Auch diese Karossen sind nicht immer nur mit einem Fahrer besetzt. Meistens aber schon.

2015 haben das die Leute, die die repräsentativen Verkehrserhebungen für Leipzig machen, auch wieder gezählt und ausgerechnet. Sie kamen auf 1,3. 1,3 Personen fahren im Durchschnitt in einem Auto mit, wenn es mal bewegt wird. Meistens steht es ja nur völlig sinnfrei am Straßenrand herum.

Ich müsste also nicht mit 40, sondern mit 52 Auto-Insassen rechnen.

Darüber lacht der Busfahrer dann mal kurz. Die passen locker in seinen Bus.

Die Frage lautet also: Ersetzt ein Bus 40 Pkw? Oder mehr?

Tatsächlich würden die oben genannten 52 Autoinsassen in einem normalen Gelenkbus allesamt sogar einen Sitzplatz bekommen. Wer Leipzigs Hauptlinien kennt, weiß, dass so ein Bus dann regelrecht leer aussieht. Alle Leute sitzen, keiner steht. Im Schnitt kommen auf 50 Sitzplätze noch 100 bis 110 offizielle Stehplätze.

Der Bus könnte also locker noch die Insassen von 80 weiteren Pkw mitnehmen. Die würden dann zwar stehen. Aber die meisten Strecken, die man motorisiert in Leipzig zurücklegt, kann man problemlos im Stehen zurücklegen, wenn man nicht schon älter und etwas lädiert ist.

Ersetzt der Bus also 80 Autos?

Nein.

Denn die 80 Autos werden dann, wenn sie aufgehört haben, vor der roten Ampel herumzustehen, bald anderswo herumstehen und wertvollen Straßenraum blockieren. Der Bus aber fährt weiter. Den ganzen Tag. Leute steigen ein, steigen aus, an der Wendeschleife fährt er zurück auf die Strecke.

Also hab ich mir mal die offiziellen Transportzahlen von 2016 rausgesucht und nachgerechnet.

Die LVB verfügten da noch über 157 Busse, die zusammen 27,858 Millionen Fahrgäste beförderten.

Das kann man alles hübsch dividieren, und dann auch noch auf den Tag herunterbrechen. Und das Ergebnis lautet: 486 Fahrgäste pro Bus pro Tag. Das schafft ein Leipziger Bus – auf den Hauptlinien (Linie 60 oder 70 zum Beispiel) bestimmt mehr – auf Nebenlinien weniger.

Aber das Ergebnis besagt: Ein einziger Bus der LVB ersetzt 373 Pkw.

Bei Straßenbahnen ist die Sache natürlich noch deutlicher. Auf die 245 Triebwagen der Straßenbahn kamen 2016 insgesamt 120,382 Millionen Fahrgäste. Macht pro Fahrzeug: 1.346 Fahrgäste am Tag.

Oder so: Eine Leipziger Straßenbahn macht 1.035 Pkw überflüssig.

(Ein ganz irrer Nebengedanke: Rechnet sich die Anschaffung? – Eine Straßenbahn kostet knapp unter 3 Millionen Euro. Bei einem Stückpreis für Autos von – mal bescheiden gerechnet – 40.000 Euro kostet die Anschaffung der 1.035 Pkw über 40 Millionen Euro. Die Straßenbahn ist also auch noch mehr als zehnmal preiswerter in der Anschaffung.  Und sie hat auch noch eine höhere Lebensdauer. 25 oder 30 Jahre sind für sie das Mindestmaß. Sie ist also eigentlich 30 bis 40 Mal preiswerter als die zugehörige Pkw-Zahl.)

Ich will ja niemandem etwas einreden, aber wenn ich die Passagierzahl auf die 220.000 Pkw rechne, die 2016 in Leipzig registriert waren, dann sagt mir das: mit 220 zusätzlichen Straßenbahnen könnte man sämtliche Autofahrer zu ÖPNV-Nutzern machen. Da ja mittlerweile auch Schätzungen existieren, die 30.000 zusätzliche Pkw in Leipzig vermuten, die nicht in Leipzig gemeldet sind, müsste ich die Zahl 250.000 ansetzen. Dann wären es 250 zusätzliche Straßenbahnen.

Logisch, dass dann nicht nur zusätzliche Linien, sondern auch zusätzliche Gleise kommen müssten. Zuallererst natürlich in den Leipziger Norden. Plus ein Ringsystem für die Straßenbahn, was bei einem 100-prozentigen Rückgang des Pkw-Verkehrs problemlos möglich wäre. 400 Straßenbahnen nehmen deutlich weniger Platz weg als 250.000 Pkw.

Schon die Zahlen zeigen, was für ein logistischer Unfug das heutige Verkehrssystem ist.

Natürlich werden auch Busse anteilig mehr Fahrgäste aufnehmen müssen. Wenn die LVB das jetzige Verhältnis beibehalten von 4:1 bei den Fahrgästen in Straßenbahn und Bus, dann würden sie nur 320 Straßenbahnen brauchen und ungefähr 350 Busse. Plus ein paar mehr, wenn das Bevölkerungswachstum weiter so anhält.

Aber da die Straßen dann von parkenden Autos freigeräumt wären, hätte auch der Radverkehr freie Fahrt und 30 Prozent Radverkehr im Modal Split wären gar kein Problem.

Ich bin mir – wie gesagt – ziemlich sicher, dass genau darüber in 20 Jahren ernsthaft diskutiert wird, denn egal wie man es dreht, der Pkw ist die ressourcenverschlingenste Variante von Mobilität. Auch dann noch, wenn er elektrisch fahren sollte, was immer mehr Wissenschaftler bezweifeln, dass das funktionieren kann in dieser Menge. Möglicherweise sorgen gut ausgebaute Car Sharing Systeme tatsächlich dafür, dass zehntausende Leipziger auf einen eigenen Pkw werden verzichten können.

Aber auch geteilte Autos schaffen nicht das weg, was Busse und Straßenbahnen oder gar S-Bahnen schaffen. Die logische Folge ist: Großstädte der Zukunft haben einen deutlich dichter ausgebauten ÖPNV als wir heute. Und sie sparen damit nicht nur Ressourcen und jede Menge Energie, sondern schaffen auch mehr Lebensqualität – gerade für Radfahrer und Fußgänger.

Aber dieses siebente Szenario haben Leipzigs Verkehrsplaner sich noch nicht getraut zu skizzieren. Den Mut hatten sie noch nicht.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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Es gibt 12 Kommentare

@sanne
“Dann bräuchte es aber auch Konzepte für Menschen mit Behinderungen, die weder Fahrrad fahren noch den ÖPNV nutzen können. Konzepte, um private Transporte zu bewältigen, seien es der Wocheneinkauf an Lebensmitteln, Sperrgut oder Möbel. ” Wieso braucht man dafür Konzepte? Dass man ggf. eine Regelung braucht, kann ich ja noch verstehen, aber Konzepte? Heute haben in Leipzig ca. 40% der Haushalte kein Auto. Für die gibts auch kein Konzept. Die machen einfach. Lastenräder gibts bspw. seit fast 150 Jahren und mit denen kann man bspw. auch Kranke, Möbel und Tote transportieren. Hier mal ein Bild vom Möbeltransport quer durch Leipzig. Die Last betrug gut 150 kg – kann man sogar ohne Elektromotor fahren, wenn man ein wenig geübt ist.

Ja, eine Stadt ohne Autos wäre traumhaft. Dann bräuchte es aber auch Konzepte für Menschen mit Behinderungen, die weder Fahrrad fahren noch den ÖPNV nutzen können. Konzepte, um private Transporte zu bewältigen, seien es der Wocheneinkauf an Lebensmitteln, Sperrgut oder Möbel. Elterntaxis bräuchte es dann endlich keine mehr. Aber die braucht’s auch jetzt nicht …. auch Schüler können laufen, Fahrrad fahren und den ÖPNV nutzen, jetzt schon. Muss man halt wollen, dem Nachwuchs eine Vielfalt von Mobilitätsformen jenseits des MIV vorzuleben.

Wie gesagt, ich kann auch drauf verzichten. Jetzt würden wir vermutlich auch in der Nähe Plätze bekommen, aber nur deshalb beide Kinder neu eingewöhnen ist auch nicht schön. Also bleibt erstmal bis zur Schule alles, wie es ist.

@Peter
Je mehr Kinder, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Familie auch ein Auto hat. Ein Auto kostet dich im Laufe deines Lebens ca. 250.000 Euro. Das ist ungefähr so viel wie ein Kind dich im Laufe deines Lebens kostet. Daher gibt es nicht selten die Entscheidung Kind oder Auto. In Dtl. ist es tendenziell eher das Auto als das Kind.

@sebastian
Kitas und (Grund-)Schulen ist tatsächlich ein sehr großes Problem. Wer mal morgens an einer Kita oder Grundschule beobachtet, was da abläuft, ist mindestens schockiert. Die Diskussion um die Dresdner Straße in diesen Tagen ist eigentlich eine um die Elterntaxis in der Inselstraße. Ca. 1/3 aller Autos in der Dresdner Straße möchte zwischen 7 und 8 Uhr zur Robert-Schumann-Grundschule, um die Kinder abzugeben. Der Rückstau reicht bis in die Dresdner Straße.

Noch ein Hinweis: Wenn es weniger Autos gibt, braucht man auch weniger Ampeln und es gibt deutlich weniger Behinderungen für den ÖPNV. Folglich braucht man für die Bedienung der gesamten Linie letztlich wohl weniger Straßenbahnen. Man könnte auch schon heute Straßenbahnen und Betriebskosten einsparen, wenn es häufiger eine Vorrangschaltung für den ÖPNV gebe. Warum LVB und Stadtverwaltung das nicht konsequent angehen und auf diese Weise Steuergelder verbraten, wäre sicherlich auch mal ein Thema für die L-IZ.

Ich würde auch gern wieder auf das Auto verzichten. Blöderweise hat uns die Stadt mit einem Kitaplatz am A… der Welt gesegnet. Die Entscheidung ist also: 20 Min mit dem Auto zur Kita + 10 Minuten zur Arbeit ODER 10 Min Fußweg zur Tram + Warten, 45 Fahrzeit, 10 Min zur Kita Fußweg. 10 Min Fußweg zurück + Warten, 6 Min Fahrzeit, Umsteigen (9 Min), 7 Min. Fahrzeit, 8 Min Fußweg zur Arbeit.

Also 30-35 Min Auto oder ca. 100 Min mit ÖPNV im Best-Case. Mal 2, Nachmittag das gleiche nochmal.

Sicher, ich könnte auch mit Fahrradanhänger und 2 Kindern bei Wind-und-Wetter 2x 16 km fahren. Wäre ich vermutlich schneller als die 100 Min. Aber ich möchte das nicht. Nicht bei jedem Wetter, nicht jeden Tag.

Ich glaube, es wird keine Variante 7, den Individualverkehr bekommt auch in 20 Jahren nicht weg. Aber wir müssten aufhören, das Auto als Privatbesitz zu verstehen. Jedes Auto. Es steht halt 97% des Tages irgendwo nutzlos rum und oxidiert vor sich hin.
Nein, ich möchte mir ein Auto rufen können, das nächst beste kommt selbst zu mir gefahren und steht in 2 Minuten bereit. Dann fahre ich irgendwo hin oder lasse mich vom Auto fahren und wenn ich aussteige, fährt es wieder zum nächsten. Carsharing mit autonomen Fahrzeugen.
Hat vermutlich auch schonmal jemand gerechnet, wieviele Autos man für 600.000 Leipziger dann nur noch bräuchte. Die Peaks vor Schulbeginn mit eingerechnet.

Die Diskussion wird es nicht erst in 20 Jahren geben, die gab es für Leipzig auch schon mal 2012. Am 31. Mai 2012 hatte der Oberbürgermeister samt Dezernent*innen zur Auftaktveranstaltung “Leipzig weiterdenken” in die Kongresshalle geladen. Eine Idee, die dort gut ankam, war “Leipzig als erste autofreie Großstadt Deutschlands”.

Eine nette Idee, funktioniert rein bilanztechnisch, zeigt aber ein größeres Problem auf.
Wenn auf den jetzigen Gleisen oder Linien doppelt so viele ÖPNV-Fahrzeuge fahren würden, würde es nicht reichen.

Den Menschen kommt es auf die Verfügbarkeit an. An den Stellen, die sie benötigen.

Ein rechnerischer Bus mehr auf bekannten Linien holt keinen zusätzlichen Mitfahrer “ins Boot”.
Dazu müssen eben Wohngebiete erschlossen, Haltestellenentfernungen halbiert und das Preissystem neu gedacht werden.
(für die Viererkarte lacht ganz Deutschland über uns…)

Für 40 Mitfahrer mehr müssen unter Umständen 20 Busse mehr fahren! Oder 20 Straßenbahnen.
Und bitte nicht vergessen – diese nicht nur einmal am Tag, sondern im Takt!
Da sind wir dann ganz schnell beim Zehnfachen…

Sehr interessante These. War auch immer Autofahrer, bis ich es dann im Juli einfach verkauft habe. Mit Monatskarte und gelegentlichem Carsharing lebe ich jetzt viel entspannter. Für Familien mit Kindern und Hobbies ist es sicher nur eine begrenzte Option, aber als Single sollte das jeder mal ohne eigenes Auto probieren. Denke vielen würde es dann gehen wie mir.

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