Am Freitag, 19. Mai, wurden in Berlin die neuesten Ergebnisse des Fahrradklimatests bekanntgegeben. Das ist immer ein Moment, an dem sichtbar wird, wo Politik tatsächlich etwas für den Fahrradverkehr tut – und wo nicht. Sonntagsreden sind was Schönes. Aber im Straßenverkehr zählen nur Taten. Und das Leipziger Ergebnis ist eigentlich eher ein „Nu ja“ für die Radverkehrspolitik in Leipzig.
„Konkurrenz belebt das Geschäft – so ist es auch in der Radverkehrsförderung. Der Fahrradklima-Test kann hier gleichermaßen Ansporn und Bestätigung sein. Mit dem Fahrradklima-Test wollen wir den Städten und Kommunen aber vor allem ein Instrument an die Hand geben, das ihnen hilft, das Fahrradklima vor Ort besser einzuschätzen und Erkenntnisse für ihre Fördermaßnahmen zu gewinnen“, erklärte am Freitag Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, der die neuen Ergebnisse zusammen mit Ulrich Syberg, Bundesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), im Bundesverkehrsministerium (BMVI) vorstellte.
Die Treppchenplätze gingen wie auch schon 2012 und 2014 anderswo hin: Unangefochten stehen die Fahrradstädte Münster, Bocholt und Reken auf dem obersten Siegertreppchen. Neu unter den Spitzenreitern ist Göttingen – 2014 noch unter den Aufsteigern. Wobei der Blick ins Ergebnis zeigt: Münster wird seine Position bald einbüßen, wenn es so weitermacht. Was jahrelang als besonders radfahrerfreundlich galt, genügt den wachsenden Ansprüchen bald nicht mehr.
Auch unter den „Aufholern“ taucht Leipzig nicht auf. Dazu müsste man ja wirklich mal was machen für ein wirklich sicheres Radnetz.
In der Kategorie „Aufholer“ werden Städte geehrt, die im Vergleich zum letzten Fahrradklima-Test 2014 die größte Verbesserung erreicht haben. Die Städte Bochum, Pforzheim, Marburg und Baunatal führen die Gruppe der Aufholer an.
Der Fahrradklima-Test zeigt Entwicklungen und Trends im Radverkehr auf und ist zugleich ein deutschlandweiter und ein regionaler Gradmesser für die Radverkehrsförderung. Er wird in diesem Jahr bereits zum siebten Mal veröffentlicht. Für den Fahrradklima-Test 2016 wurden 539 Städte Deutschlands im Rahmen einer großen Bürgerbefragung bewertet. Insgesamt beteiligten sich rund 120.000 Menschen an der Aktion, 2014 waren es noch 100.000. Die Befragten wurden aufgerufen, die Situation der Radfahrenden in ihren Städten und Kommunen zu bewerten. Dafür sollten sie Schulnoten für 27 Kriterien wie Sicherheit, Komfort oder Infrastruktur vergeben.
Und Leipzig landet mit der Gesamtnote 3,69 wieder auf Rang 9 unter den 39 Großstädten, wurde von Rostock (3.67) aber wieder überholt, so dass es im Osten nicht mehr die Nr. 1 ist. Dafür hat es Frankfurt und Oberhausen überholt. Es scheint immer nur um Hundertstel zu gehen. Aber diese Veränderungen in der Notenbewertung zeigen mehrere Dinge:
- den sich zuspitzenden Wettbewerb unter den Verkehrsarten. Je enger der Verkehrsraum in den deutschen Großstädten wird, umso mehr gerät natürlich auch der Raum für die Radfahrer unter Druck. Und wirklich punkten können die Städte nur, wenn sie dem Radverkehr tatsächlich mehr Luft zum Atmen geben. Was die meisten Großstädte nicht tun. Sie versuchen allesamt den Spagat, allen Verkehrsarten irgendwie gerecht zu werden. Was für die Radfahrer bei zunehmendem Druck durch den MiV eben bedeutet, dass sich ihre Situation verschlechtert.
- die leichten Veränderungen zeigen eben auch die wachsenden Erwartungen der Radfahrer: Die Politik propagiert allerorten das Primat des Umweltverbundes. Damit soll das Klima in den Städten verbessert werden und der Kfz-Verkehr reduziert. Aber wenn den schönen Sonntagsreden keine echten Verbesserungen im Radwegenetz folgen, wird das mit schlechteren Noten sanktioniert.
- die Noten zeigen eben auch, wie Radfahrer die öffentliche Diskussion über Radverkehr in ihrer Stadt empfinden. Da bekam Leipzig traditionell schon schlechte Noten und auch diesmal wieder.
Die Note 3,67 ist eindeutig eine Verschlechterung gegenüber 2012. Was übrigens für ganz Sachsen auffällt. Die verkniffene Fahrradpolitik der Staatsregierung wirkt sich überall aus, die nötigen Investitionen fehlen. Für Dresden bedeutete die Verschlechterung der Note (von 3,92 auf 4,09) sogar gleich mal die Verschlechterung von Platz 20 auf Platz 25 unter den Großstädten.
Eigentlich kann man aus der Notenvergabe der Radfahrer etwas lernen. Die Stadtpolitik könnte direkt darauf reagieren. Etwa wenn Leipzig diesmal eine glatte 5 für die fehlende Kontrolle von Falschparkern auf Radwegen bekommt. Im Stadtrat wird ja nicht umsonst diskutiert. Aber aus dem Ordnungsdezernat kommen lauter Abwiegelungen. Was denn also? Will diese Stadtverwaltung den Umweltverbund nun fördern oder hat man nur die große Klappe?
Noch schlimmer die Lage beim Fahrraddiebstahl. Da gab’s eine 5,3. Leipzig hat sich zur Hochburg der Fahrraddiebe entwickelt. Oder wahrscheinlich genauer: Die Diebesbanden haben sich Leipzig auserkoren. Wo viele Radfahrer unterwegs sind, finden die professionellen Fahrraddiebe reiche Beute, die sie dann exportieren.
Eine miserable 4,8 gab es für den Winterdienst auf Radwegen.
Ebenfalls schlecht angerechnet wurde die restriktive Fahrradmitnahme im ÖPNV (Note 4). Und ebenso thematisiert wurden die teils sehr fahrradfahrerunfreundlichen Medienberichte (4,1).
Der direkte Vergleich mit Dresden und Chemnitz zeigt natürlich, dass Leipzig beim Ausbau des Radnetzes augenscheinlich schon ein ganzes Stück weiter ist und auch die Akzeptanz für Radfahrer in Leipzig höher ist als in den anderen sächsischen Städten. Da und dort gibt es da schon mal Noten im Zweierbereich.
Aber eine 3,67 ist trotzdem nur eine mittelmäßige Note. Sie verbirgt eher, dass Leipzig schon aufgrund seiner Lage in der Tiefebene ganz andere Chancen hätte, wirklich zu einer vorbildlichen Stadt für den Radverkehr zu werden. Die 2,6 als Note für „Alle fahren Fahrrad“ zeigt im Grunde, dass von den Radfahrern her die Entwicklung längst im Gang ist – die Sicherheit für Radfahrer (4,1), die Ampelschaltungen (4,3) oder die Konflikte mit dem Radverkehr (4,3) konterkarieren die Entwicklung im Netz, das die Radfahrer mit 2,6 sogar recht gut bewerten. Da ist mehr möglich.
Unter anderem, wenn es Leipzig glückt, auch mal ein paar Fördergelder abzustauben: 2017 fördert das BMVI den Radverkehr mit einem Rekordbetrag von rund 130 Millionen Euro. Davon stehen erstmals 25 Millionen Euro Finanzhilfen für Radschnellwege bereit.
Übersicht über die Gewinnerstädte.
Die Ergebnistabelle nach Bundesländern.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts
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