Als die Gesellschafterversammlung des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV) am Montag, 20. März, auch für 2017 wieder eine Tariferhöhung von 3,5 Prozent für die Leipziger Verkehrsbetriebe beschloss, war das im Grunde das Eingeständnis eines Scheiterns. Drei Jahre Diskussion um „alternative Finanzierungsmodelle“ haben zu nichts geführt. Lösungen liegen keine auf dem Tisch. Und die Kritik des Fahrgastverbandes Pro Bahn fällt umso deutlicher aus.

Was unübersehbar ist, kritisiert auch der Fahrgastverband: Zum einen fehlen nach wie vor deutliche Intentionen seitens der Politik, der unerträglich gewordenen Spirale der Teuerung ein Ende bereiten zu wollen. Zum anderen werden Chancen zu gleichzeitigen Reformen im Tarifgefüge nicht genutzt, was die nachgelagerten Probleme nicht lösen hilft.

„Es hilft auch nicht weiter, auf die seit drei Jahren andauernden Bemühungen des MDV zu verweisen, mittels alternativen zusätzlichen Finanzierungsformen die unerfreulichen Tariferhöhungen zu umgehen. Die Debatte ist inzwischen versandet, zu Recht wurden die sechs übrig gebliebenen Vorschläge im Leipziger Stadtrat abgelehnt, allerdings mit falscher Begründung“, stellt Carsten Schulze-Griesbach, Vorstand des Landesverbandes von Pro Bahn, fest. „Die Abstimmungsmehrheit scheute schlichtweg die inhaltliche Auseinandersetzung und hofft in der Begründung auf ein bundesweites Wunder. Pro Bahn hat die Vorschläge hingegen substanziell als unbrauchbar für eine notwendige Entwicklung des Öffentlichen Personenverkehrs einstufen müssen. Förderliche Alternativen wurden weder von der Verwaltung, noch vom MDV und auch nicht vom Stadtrat aufgegriffen, obwohl darunter solche waren, die keine Gesetzesänderung mit jahrelangem Vorlauf benötigen. Welches andere Fazit als Ignoranz den Fahrgastinteressen gegenüber kann aus diesen Umständen gezogen werden?“

Insbesondere im Stadtgebiet Leipzig erscheint dem Fahrgastverband die nun wieder beschlossene Fahrpreiserhöhung seltsam, fast überflüssig. Eine jährliche Tarifsteigerung bringt im Jahr Mehreinnahmen von etwa 2 bis 3 Millionen Euro.

Im Jahr 2016 haben die LVB freilich eine überdurchschnittliche Steigerung der Fahrgastzahlen erreicht, so dass, verbunden damit, überdurchschnittlich mehr Fahrgeldeinnahmen erzielt wurden.

Wie groß die Dimension dieser Mehreinnahmen sein muss, rechnet Carsten Schulze-Griesbach vor:

„Fahrgelder decken die Kosten zu ca. 75 %, rechnerisch erlöst jeder Fahrgast beim Einsteigen 65 Cent. Bei ca. 5 Millionen mehr Fahrgästen, als das übliche jährliche Wachstum bringt, entspricht dies ungeplanten Mehreinnahmen von ca. 3 Millionen Euro. Mithin wurde durch bessere Leistungsfähigkeit genauso viel Geld verdient (!), wie eine Tarifsteigerung einbringt.“

Ein Ziel wird mit dem neuen Beschluss zur Preisanhebung auf jeden Fall torpediert: Die eigentlich vom Stadtrat beschlossene Steigerung des ÖPNV-Anteils von derzeit 18 auf (mindestens) 23 Prozent im Jahr 2025.

Aus Sicht von Pro Bahn sind zur Steigerung des Marktanteils an mehreren Punkten im Straßenbahnnetz zum Beispiel zusätzliche Haltestellen nötig, „welche jedoch in der Wahrnehmung als Schikane für Kurzstreckennutzer angesehen werden. Obwohl dieses ‚Problem‘ mengenmäßig überhaupt keines ist, erschwert es die Debatte über die notwendige Einrichtung. Denn bisherige Beispiele zusätzlicher Haltestellen belegen deren Erfolg.“

Da muss sich also etwas ändern – und zwar im Tarifsystem.

Deshalb stellt Pro Bahn Grundforderungen an das Ticketsystem:

  1. Neugliederung der Einzelfahrkarten
    2. Vereinfachung der Gültigkeitsbestimmungen
    3. Mengenrabatt bei Mehrfahrtenkarten
    4. Transparenz über erzielte Erlöse, Plangrößen dazu und der Notwendigkeit, Erhöhungen durchzuführen.

Nur als Beispiel der Tarifvorschläge von Pro Bahn (s. u.) sei das Kurzstreckenticket genannt. Derzeit kostet es 1,90 Euro für ganze vier Stationen. Da läuft man tatsächlich besser. Einladend und nutzerfreundlich ist das nicht. Der Pro-Bahn-Vorschlag: „Preis 1,00 Euro, Maximal 1 km, für alle Verkehrsmittel gleich, Umsteigen erlaubt, Rückfahrten erlaubt, Dreiecksfahrten erlaubt, zonenübergreifend, zeitliche Begrenzung (inkl. Umsteigen) 15 Minuten.“

Augenscheinlich aber machen sich die verantwortlichen Gremien in Leipzig nicht mal Gedanken darüber, wie das System wieder nutzerfreundlicher werden kann. Man betrachtet die Fahrgäste nur als Melkkühe.

Aber gerade über das Thema Nutzerfreundlichkeit muss man sich Gedanken machen, wenn man die beschlossenen Ziele erreichen will.

Im Stadtentwicklungsplan Verkehr und Öffentlicher Raum (STEP VÖR) von 2015 wurden für den Leipziger Öffentlichen Personennahverkehr Zielvorgaben verankert, die das Erreichen von 23 % Marktanteil festschreiben. Die LVB selbst haben sich mit der „Strategie Fokus25“ ein Ziel von 25 % gegeben.

„In der stark wachsenden Stadt ist das eine große Herausforderung, welche große Sorgfalt in der Abwägung nötiger Schritte erfordert“, stellt Carsten Schulze-Griesbach fest. „Zur Erreichung der verpflichtenden Ziele ist es dringend notwendig, das Linien- und Haltestellenangebot deutlich auszuweiten. Neben den immerwährenden Aufgaben, Investitionen und Substanzerhalt, erwarten die Bürger der Stadt umgehend erste Verbesserungen in diesem Sinne. Die dann mögliche Steigerung der Fahrgastzahlen bringt zusätzlich finanzielle Spielräume, redlich verdient und erarbeitet.“

Aber in der verantwortlichen Politik scheint man dafür nicht mal ein Verständnis zu haben. Oder ist es Absicht, den ÖPNV durch die Preissteigerungen unattraktiv zu machen?

„Der ungebremste Griff in die Geldbörsen der Bürger kann es nicht alleinig sein, was den Entscheidungsträgern zur Zukunftssicherung einfällt. Wohl wissend, dass die Zonenteilung des Verbundes sinnvoll mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen kombiniert werden kann. Nötig ist dazu viel größere Transparenz. Ergebnisse, Kosten und Erlöse müssen nachvollziehbar veröffentlicht werden, es fließen neben den Fahrgeldern Öffentliche Gelder drin. Somit besteht ein begründetes öffentliches Interesse über den Nachweis der effizienten Verwendung“, sagt Carsten Schulze-Griesbach.

Das jahrelange Verschieben konkreter Maßnahmen und Entscheidungen – gleichsam tariflicher oder infrastruktureller Art – führe zu sehr langsamem Verbesserungstempo.

„In der heutigen Zeit hart umkämpfter Märkte und Standortwettbewerben führt Trägheit nur zum letzten Platz“, sagt Carsten Schulze-Griesbach. 10 Jahre bis zur Einrichtung der simplen Station „Baaderstraße“ oder 15 Jahre bis zur Einrichtung der Station am Wahrener Viadukt (bestehend aus einem simplen Schild) seien Beispiele für vermeidbares Schneckentempo.

Und dann mahnt er, das sture politische Entscheidungsritual endlich zu durchbrechen und sagt etwas eigentlich Selbstverständliches.

„Im Wettbewerb um Marktanteile ist ungleich mehr Agilität und Dynamik notwendig. Mehreinnahmen an Fahrgeldern, die auf diese Weise – durch bessere Angebote – erzielt werden, sollten pflichtiger Anreiz werden, bevor über Tarifsteigerungen nachgedacht werden darf.“

Der Fahrgastverband Pro Bahn erwartet jetzt, dass die jüngst beschlossenen Tarifsteigerungen nochmals überarbeitet und der Realität angepasst werden.

Die Tarifvorschläge von Pro Bahn.

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/03/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar