Eigentlich ging es um den City-Tunnel und das im Dezember 2013 gestartete Mitteldeutsche S-Bahn-Netz, als Leipzigs Planer eine Ermittlung des Leipziger Verkehrsverhaltens vor und nach Eröffnung des City-Tunnels, 2013 und 2015, bestellten. Die Zahlen liegen seit geraumer Weile vor. Und haben auch im Rathaus für ein stilles Entsetzen gesorgt, denn sie haben etwas völlig anderes sichtbar gemacht.

Dass die Leipziger die neue S-Bahn irgendwie nutzen würden, war klar. Trotz aller Turbulenzen und Taktzeiten und Wagenkapazitäten wurde das neue Angebot eifrig genutzt. Zahlen waren kaum zu bekommen – die Deutsche Bahn liefert einfach keine regelmäßigen Zählungen. Sonst hätte man schon eher geahnt, dass da etwas nicht rundläuft. Das neue S-Bahn-Netz ist zwar attraktiv. Aber man hat schlicht zu wenig Wagenmaterial bestellt. Auf den ersten Blick sieht der Sprung beachtlich aus. Legten die Leipziger 2013 noch 0,9 Prozent aller Wege mit S-Bahn oder Regionalzug zurück, verdoppelte sich der Wert nach Inbetriebnahme des neuen S-Bahn-Netzes auf 1,8 Prozent.

S-Bahn ist was für Pendler

Allein auf der Strecke Halle Leipzig sollen täglich 20.000 Pendler unterwegs sein. Was aufs Jahr gerechnet ja über 7 Millionen Fahrgäste wären. Aber die werden ja vom „System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV)“ nicht erreicht. Da werden nur Leipziger gefragt. Und eine Zahl stimmt zumindest bedenklich: 2008 nutzten noch 3,5 Prozent der Leipziger die Zugangebote, um in Leipzig voranzukommen. Dass dieser Wert 2015 nur noch halb so hoch war, deutet zumindest darauf hin, dass im S-Bahn-System noch einiges fehlt. Stationen sind nicht verknüpft oder fehlen gar noch wie im Leipziger Norden.

Innerstädtisch funktioniert das S-Bahn-Netz noch nicht so richtig. Und was die S-Bahn an Fahrgästen zurückgewonnen hat, hat gleichzeitig die Straßenbahn verloren. Deren Wegeanteil fiel von 13,1 auf 12,6 Prozent. Die Steigerung im S-Bahn-Betrieb kommt also vor allem den Pendlern zugute, schätzt auch das Verkehrs- und Tiefbauamt ein, das jetzt die Analyse zu dieser 2015er Befragung vorgelegt hat: „Die Entwicklung der ÖPNV-Anteile am Modalsplit der Leipziger Bevölkerung kann vor dem Hintergrund der verkehrspolitischen Ziele der Stadt nicht befriedigen. Die prozentualen Wegeanteile für Straßenbahn und Bus sind gegenüber 2008 ungefähr konstant. Aufgrund der Bevölkerungszuwächse der Stadt Leipzig seit 2008 ist damit real auch ein entsprechendes Fahrgastplus verbunden. Die Anteile der Verkehrsmittel S-Bahn/Nahverkehrszug liegen trotz des neuen Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes noch auf einem niedrigen Niveau. Der bisherige unzweifelhafte Erfolg des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes ist damit offenbar hauptsächlich aufgrund der Zunahme der Pendlerbeziehungen zwischen Stadt um Umland mit dem ÖPNV zu erklären, die durch das SrV nicht erfasst werden.“

Die Unzufriedenheit mit der Entwicklung ist unüberlesbar.

Aber woran liegt es? Die Stadt wächst doch nun einmal. Auch die Erwerbstätigenzahl wächst. Aber die Leute fahren nicht mehr Straßenbahn.

Immer mehr Autos gerade in Leipzigs Außenbezirken

Die negative Überraschung gab es, als die Planer die Befragungsergebnisse zu Autobesitz und Pkw-Nutzung sahen. Seit 2008 hatten sie sich an den schönen Gedanken gewöhnt, dass die Leipziger ganz umweltbewusst sind und mit der Zeit alle schön planmäßig umsteigen werden auf umweltfreundliche Verkehrsarten. Bei den Radfahrten war das seit den 1990er Jahren schön zu beobachten. Obwohl man beim Radnetzausbau mit aller Macht bremste, stieg der Anteil der mit Rad zurückgelegten Wege von 5 auf 17 Prozent. Und weil vor allem junge Leute lieber mit dem Rad fahren, ist das Erreichen der 20-Prozent-Marke nur eine Frage der Zeit.

Aber der ÖPNV sollte ja nicht nur bei 17 Prozent herumdümpeln. Im Stadtrat ging es ja heftig zur Sache, als über eine Zielmarke von 25, am Ende von 23 Prozent diskutiert wurde.

Aber die „Modal-Split“-Zahlen zeigen: So, wie er jetzt ist, erreicht der Leipziger ÖPNV diese Marke nicht bis 2025.

Außenbezirke haben ÖPNV-Defizite

Was vor allem an den Leerräumen liegt, die klaffen zwischen S-Bahn und ÖPNV. Denn in den inneren Stadtgebieten ist neben der Radnutzung auch die ÖPNV-Nutzung deutlich gestiegen. Sogar Fußgänger sind emsig umgestiegen und fahren mit der S-Bahn auf den Markt (oder unter den Markt). Die Lücke klafft aber da, wo selbst die Deutsche Bahn gesagt hat: Wir haben ja alle Zeit der Welt. Nämlich in den „peripheren Großwohngebieten“ und in den ganzen Außenbereichen. Dort ist die Nutzung des Pkw zur Erledigung der täglichen Wege in dieser Zeit massiv angestiegen.

Dass das mit einer massiven Erhöhung des Kfz-Bestandes einherging, hat auch erst diese Befragung zutage gebracht. Die reinen Anmeldezahlen im Leipziger Ordnungsamt hatten eher einen Rückgang pro Einwohner nahegelegt. Aber viele der Zuwanderer in den letzten Jahren haben ihr eigenes Kfz mitgebracht, die Pkw-Zahl pro 1.000 Einwohner stieg von 402 auf 441. Mit allen bekannten Folgeerscheinungen.

„Während der Anteil der Haushalte ohne Pkw im SrV-Städtepegel von 2003 bis 2008 von 33 % auf 37 % angestiegen ist, setzt in 2015 wieder eine gegenteilige Entwicklung ein. Der zwischenzeitliche Trend aus dem Jahr 2008 mit mehr Haushalten ohne Pkw hat sich daher so nicht bestätigt. Für die Parkraumsituation in den kompakten Gründerzeitvierteln ist diese Entwicklung problematisch, auch wenn die Entwicklung zu einer höheren Motorisierung im Urbanen Kern mit circa +5 % deutlich geringer ausfällt als in den peripheren Großwohngebieten mit circa +47 %. In den zuletzt genannten Gebieten ist auch der Rückgang der ÖPNV-Nutzung um minus 26 % am dramatischsten“, benennt das Verkehrs- und Tiefbauamt das Problem.

Finanzierungsfrage ÖPNV

Dass Leipzig da ein Problem hat, betont die Informationsvorlage ebenfalls: „Für die Mobilitätsentwicklung sind externe Faktoren zu beachten, die nur bedingt bis gar nicht durch die kommunale Steuerung beeinflussbar sind (u.a. Kosten des Fahrzeugbesitzes und -betriebes und der Leistungskraft zur Finanzierung des ÖPNV).“

Aber genau über diese „Finanzierung des ÖPNV“ wird nun in Leipzig seit drei Jahren intensiv diskutiert. Man hat zwar das Haltestellennetz im Kerngebiet verdichtet, leidet dort auch längst unter Überlastung und zahlreichen Engpässen rund um den City-Ring. Aber gerade in den Außenbereichen der Stadt entfaltet das Netz aus Straßenbahnen und Bussen nicht die nötige Attraktivität. Was zum Teil auch daran liegt, dass immer mehr Leipziger einer Erwerbstätigkeit nachgehen – Wohn- und Arbeitsort aber selten durch ÖPNV gut verbunden sind. Auch die S-Bahn-Stationen liegen oft nicht da, wo Leipziger am Morgen schnell zur Arbeit müssen.

Also bleiben die Menschen beim Auto.

Senioren-Aktivität völlig unterschätzt

Auch dann noch, wenn sie es eigentlich nicht mehr eilig haben müssen. Und da kommt man zu den Leipziger Rentnern. Denn es sind die über 65-Jährigen, die immer mehr Wege mit dem Auto zurücklegen. Hier sind auch die Wegeanteile, die zu Fuß, mit Rad oder Straßenbahn zurückgelegt wurden, deutlich gesunken. Die älteren Herrschaften müssen zwar nicht mehr zur Arbeit, aber sie fahren mit dem Auto öfter zum Einkauf und nutzen es auch öfter in der Freizeit. Und sie sind vor allem rüstiger, auch jenseits der 75 Jahre. Ihr Lebenskreis beschränkt sich also seltener aufs nähere Wohnumfeld, sie sind aktiver und vor allem behalten sie ihre Pkw und nutzen diese auch häufiger.

Bei den eigentlich Erwerbstätigen zwischen 25 und 64 ist der Trend ein völlig anderer. Hier sinkt die Pkw-Nutzung zwar nur marginal, dafür steigen hier die Anteile von Wegen, die zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegt werden, deutlich. Und gerade bei den 25- bis 44-Jährigen hat der ÖPNV dabei deutlich verloren.

Das alles sind Zeichen, die darauf hindeuten, dass das Leipziger ÖPNV-System die Ansprüche vieler Leipziger nicht bedient. Das sind nicht nur „externe Faktoren“, die da wirken, sondern auch viele interne und hausgemachte. Denn wenn der ÖPNV gerade bei Wegen über 10 Kilometer fast die Hälfte an Zuspruch eingebüßt hat, deutet einiges darauf hin, dass hier die Angebote nicht stimmen und Löcher aufgerissen sind. Ob es die Taktzeiten, das Wagenangebot, fehlende Linienverbindungen oder die Tarife sind, das muss in der Diskussion um den Nahverkehrsplan geklärt werden. 2018 will das Verkehrs- und Tiefbauamt nun die nächsten Zahlen zur Verkehrsmittelnutzung erheben lassen.

„Diese werden dann noch stärker das Mobilitätsverhalten der Leipziger Bevölkerung unter den Gesichtspunkten einer wachsenden Großstadt widerspiegeln“, heißt es in der Vorlage. „Die gegenwärtigen Randbedingungen, insbesondere was die Stagnation in Teilbereichen des ÖPNV betrifft, werden in diesem Zusammenhang als problematisch angesehen.“

Wenn das mal keine amtliche Pointe ist.

Die Vorlage zur SrV-Befragung 2015.

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Die Fahrgastzahlen in den S-Bahnlinien 1 – 5 hat die Bahn der LVZ vor kurzem verraten. Publiziert wurde das am 15.12. im Lokalteil der LVZ.

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