Wer moderne Verkehrsentwicklungen verschläft, der macht natürlich falsche Verkehrspolitik. Leipzig ist dafür ein typischer Fall, wenn auch nicht komplett selbst verschuldet. Kommunen hängen ja ganz unten am Tropf und müssen oft mit kargen Mittelzuweisungen auskommen, wissend, dass sie eigentlich nicht reichen. Auch nicht zum Ausbau des notwendigen Radwegenetzes in der Stadt. Da war ein Radwegeanteil von 20 Prozent schon erstaunlich als Vision.

So steht es im nun mehrfach beschlossenen Punkt „Modal Split“ für Leipzig, 2014 und 2015 ja bekanntlich heiß debattiert, weil die CDU-Fraktion im abgesenkten Auto-Anteil von 30 Prozent eine falsche Weichenstellung sah – und irgendwie auch so eine Art politische Bevormundung von Seiten der Verwaltung.

Wobei der „Modal Split“ eben kein Ziel-Instrument ist. Die Werte – die mittlerweile in Leipzig auch jährlich ermittelt werden – entstehen durch die direkte Befragung der Verkehrsteilnehmer. Die Leipziger geben selbst Auskunft, welche Wege sie mit welchem Verkehrsmittel zurücklegen. Der „Model Split“ gibt also nur diese Aussagen wieder – in Prozente umgerechnet. Was nicht heißt, dass 39 Prozent aller Leipziger mit dem Auto fahren oder nur 20 Prozent mit dem Fahrrad. Denn viele Autofahrer sind nun einmal auch Radfahrer und Fußgänger. Man nutzt jeweils das Verkehrsmittel, das sich für den Weg anbietet. Und man wechselt das Verkehrsmittel, wenn attraktive Alternativen zur Verfügung stehen.

Ganz zu schweigen davon, dass ein wachsender Autofahrten-Anteil nicht bedeuten muss, dass mehr Autos benutzt werden. Denn auch der Anteil der Mitfahrer ist gestiegen. Die Verkehrsmittelwahl der Leipziger ist nicht ganz so irrational, wie die blanken Zahlen zuweilen vermuten lassen.

Schlechte Karten hat in Leipzig eher der ÖPNV. Dessen Anteil an den zurückgelegten Wegen sank von 22,8 Prozent im Jahr 1991 auf 17,9 Prozent im Jahr 2014. Seit 15 Jahren hängt er im Keller fest, obwohl er eigentlich wieder auf 23 bzw. 25 Prozent steigen soll.

Im Grunde ist der ÖPNV ein gutes Beispiel dafür, dass es bei der Verkehrsmittelwahl nicht um politische Richtungskämpfe geht. Denn auch die Bürgerumfragen deuten darauf hin, dass die Mehrheit der Leipziger ihre Entscheidungen sehr umweltbewusst trifft. Gerade junge Leipziger bevorzugen umweltschonende Verkehrsarten.

Was nicht einmal neu ist.

Und das kann man am Radverkehr ablesen. Der steckte in DDR-Zeiten stets im 5-Prozent-Keller, weil das Angebot guter, alltagstauglicher Fahrräder genauso schlecht war wie das von Automobilen. Noch 1994 hätte man verstehen können, dass die Verwaltung den Radverkehr einfach nicht ernst nimmt. Nur 5,8 Prozent aller Wege legten die Leipziger mit dem Rad zurück. Aber das änderte sich zum Jahrtausendende deutlich. Schon 1998 wurden erstmals 13,2 Prozent Fahrradnutzung ermittelt. 2008 waren es erstmals 14,4 Prozent. 2013 waren es dann schon 15 Prozent und 2014 schnellte der Wert auf 17,3 Prozent hoch.

Es ist also unübersehbar, was da gerade im Radverkehr abgeht – befördert auch von vielen neu ausgewiesenen Radstreifen. Das muss man betonen. Eine regelrechte Initialzündung war die Radwegemarkierung in der Georg-Schumann-Straße. Im laufenden Straßenbau hat die Stadt das Thema tatsächlich endlich ernst genommen. Nicht ernst genug, wie viel zu viele Radfahrerunfälle im Straßennetz zeigen. Was mit der zunehmenden Verkehrsdichte zu tun hat, aber eben auch damit, dass wichtige stützende Strukturen im Leipziger Radnetz immer noch nicht existieren.

Weder haben Radfahrer in der Innenstadt volle Bewegungsfreiheit (wie noch 2012 im Radverkehrsentwicklungsplan gefordert), noch gibt es den sicheren City-Ring für Radfahrer. Wesentliche Hauptrouten sind noch immer von zahlreichen Konfliktstellen und Engpässen gekennzeichnet, egal, ob man die Prager Straße, die Käthe-Kollwitz-Straße oder die Jahnallee nimmt.

Und trotzdem fahren immer mehr Leipziger mit dem Rad und fast könnte man jetzt schon die Prognose abgeben, dass der Radwegeanteil noch vor dem Jahr 2020 auf über 20 Prozent anwachsen wird. Mit allen Konflikten, die dazugehören. Das Tempo der Entwicklung hat Leipzig völlig verschlafen. Das Beschließen schöner „Modal Split“-Werte ist nicht mal die halbe Miete. Man braucht einen Plan, der vor allem die wichtigsten Routeninvestitionen beinhaltet. Und der – das deutet sich längst an – auch wichtige Umstrukturierungen im Wegenetz beinhalten muss, angefangen mit leistungsfähigeren Radwegen über neue Trassen bis hin zu den separaten Bahnbögen, auf denen Radverkehr neue Wege finden kann. Da sind Planungshorizonte von 25 Jahren vielleicht sogar kontraproduktiv – und ein Zeichen dafür, dass Leipzigs Planer das Tempo der Veränderung noch immer unterschätzen.

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