ReportageWer den Anfang sucht, findet ihn nicht. Der Tourismusverein Leipziger Neuseenland e.V. empfiehlt zwar, mit der Parthe-Mulde-Radroute irgendwo im Rosental anzufangen. Aber das Rosental ist groß. Gestartet sind wir ja direkt an der Mündung der Parthe in die Weiße Elster. Und nach wenigen Metern erfahren wir zumindest eines: Wir befinden uns auf dem Leipziger Teilstück des Jakobspilgerweges.
Wie man auf diesem Weg wandert, wenn man noch einmal auf der Suche nach sich selbst und der Beziehung zum Leben ist, das hat 2014 ja Josef Fischer in seinem nachdenklichen Buch „Auf dem Jakobsweg“ geschildert. Die Leipziger kannten ihn als langjährigen Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen der Stadt. Jüngst ist er gestorben. Und dann hat man so ein Buch im Kopf und diese ernsthafte Suche eines ernsthaften Mannes nach den wichtigen Wegen im Leben. Und dann machte er am Ende (nach einigen ziemlich zermürbenden Wegabschnitten) die Erfahrung, dass der Jakobsweg vor allem Eines lehrt: dass es in jeder Situation auch eine Lösung gibt. Nicht immer eine ideale. Aber das Leben geht weiter. Und der Weg lädt ein, vor allem sich selbst besser kennenzulernen.
Damit kann sich unsere Tour auf dem Leipziger Parthe-Mulde-Radweg natürlich nicht vergleichen. Das Zeichen des Pilgerweges begegnet uns am einstigen Spielplatz gleich neben dem Hinteren Rosentalteich, den die Gohliser, die hier mit ihren Kindern unterwegs sind, meist nur den Froschteich im Rosental nennen, weil es hier im Sommer regelrechte Froschkonzerte gibt – ein einzigen Quaken über den ganzen Teich.
Linkerhand zweigt der Weg zur Gartensparte „Volksgesundung“ ab. Wer etwas wackelig auf den Beinen ist, benutzt diese Brücke nicht. Es ist wohl die abenteuerlichste Hängebrücke alias Kettenbrücke, die Leipzig zu bieten hat – mit richtig steilem Bogen. Das ist etwas für Abenteurer.
Eigentlich genauso wie wenig weiter der vom Tourismusverein Leipziger Neuseenland vorgeschlagene Startpunkt der Tour: der Rosentalturm. Ein Hinweisschild, dass man hier auf der Parthe-Mulde-Radroute wäre, findet man trotzdem nicht. Dafür kann man gemütlich auf den Hügel hinaufspazieren, der – wie eigentlich alle Leipziger Erhöhungen – natürlich kein echter Berg ist, sondern einer von vielen alten Müllbergen. 1887 bis 1896 wurde dieser Rosentalhügel aus 60.000 Pferdefuhren Hausmüll aufgeschüttet. Was ihm dann im Volksmund den Namen Scherbelberg einbrachte.
Und das war auch keine Mülldeponie, sondern – man staune – ein Gartenbauprojekt. Denn Otto Wittenberg, der Leipziger Gartenbaudirektor, legte in diesem Teil des Rosentals einen bewusst gestalteten Park an. Der „Froschteich“ entstand übrigens im gleichen Aufwasch. Und 1896 erbaute Hugo Licht einen eindrucksvollen Hölzernen Aussichtsturm auf dem Scherbelberg, der sofort zu einer echten Attraktion bei den Leipzigern wurde: Es gab keinen anderen Punkt außerhalb der alten City, von dem aus man so viel Gegend auf einmal sehen konnte.
Der Turm, der heute auf dem Hügel steht, ist sichtlich nicht aus Holz. Er stammt aus dem Jahr 1975, ist wetterfest aus Stahl, schwankt leicht im Winde und dient der Leipziger Feuerwehr ab und zu als Übungsturm, an dem das Klettern und Abseilen geübt werden kann. Der Aufstieg lohnt sich, denn 20 Meter über dem Hügelplateau sieht man noch immer weit. Und viel. Wer erst am Zooschaufenster in die Tour einsteigt, verpasst wirklich was. Gerade in den Morgenstunden, wenn sich die Konturen der Stadt erst aus dem Dunst schälen und die Türme als blasse Silhouetten im Licht stehen.
Wer die Turmspitzen nicht zuordnen kann, findet die gesehenen Stadtlandschaften auf Metallschildern beschrieben. Die natürlich – wie kann das in Leipzig anders sein – wild besprüht und bemalt sind. Auch Leipziger Liebespaare nutzen die Aussichtsplattform, um sich hier mit Schlössern am Geländer die ewige Liebe zu schwören.
Als wenn so etwas von einem Schloss abhinge und nicht von der Freude, mit einem Menschen sein Leben, seine Freuden und harten Stunden zu teilen.
Es ist diese süßliche, falsche Romantik, die zumeist in emotionale Katastrophen mündet. Aber wem erzählt man das?
Ist wenigstens die „Dunstige“ zu sehen von hier oben? Ist sie nicht. Sie ist unterm Blätterdach verschwunden. Ein Meer von Bäumen breitet sich ostwärts aus. Das ist das Rosental, über dessen Namen in Leipziger Moritaten genauso wild gemunkelt wird wie über den Namen der Parthe. Hier wachsen doch gar keine Rosen!?
Dabei hat der Name für dieses Flurstück nordwestlich der alten Stadt fast denselben Ursprung wie der Name Rabet für eine Straße im Leipziger Osten. Eine lateinische Flurstückbezeichnung ist die Wurzel, nachgewiesen erstmals 1318, wie Ernst Eichler und Hans Walther in ihrem Buch „Alt-Leipzig und das Leipziger Land“ zu berichten wissen: ein „lichtes Waldtal mit vielen Heckenrosenbüschen“. Was dann zum benachbarten Gohlis passt, dem „Dorf auf der Heide“.
Rosen sehen wir heute auch keine. Auch nicht, als wir ein Hinweisschild suchen. Wo beginnt er denn nun, der Parthe-Mulde-Radweg?
Das Beste ist also: Man bleibt auf dem Weg direkt an der Parthe. Was nicht falsch ist. Denn hier zeigt sie ihren gemütvollen Charakter, windet sich ein bisschen, ermöglicht immer wieder einen kurzen Stopp am niedrigen Ufer. Während nebenan die Morgenjogger hüpfen wie die Rehe, denn der Waldweg ist voller Pfützen. Zumindest hier ist das Rosental keineswegs trocken, sondern zeigt nach jedem Regen, wie sich der tief gelegene Auenwald mit Wasser vollgesogen hat. Auf die uralten Eichen darf man durchaus achten. Sie sind typisch für diesen Auenwald. An einem Tennisplatz verwandelt sich der Weg endgültig in einen Schlammparcours. Nur kurz, denn dahinter kommt ein befestigter Parkplatz, der hier so seltsam aussieht wie ein gelandetes UFO. Sportler, die mit dem Auto zur Tennisstunde fahren und direkt am Ufer der Parthe parken …
Das ist eine andere Welt. Gleich dahinter hat die SG Olympia 1896 ihren Sportplatz, die Sportanlage „Mühlwiese“. Die Wiese gehörte einst zur Gohliser Mühle, die wir heute nur beinahe berühren. Was wieder mit dem ganzen Umverlegen von Fließgewässern in Leipzig zu tun hat. Auch die Parthe wurde nicht verschont.
Aber genau hier, an der Sportanlage Mühlwiese, taucht tatsächlich das erste Zeichen auf, das wir vorfinden: ein kleines Signet mit einem grünen Baum und einer grünen Wiese, durch die sich ein Flüsschen schlängelt. Das ist das Zeichen für den Parthe-Mulde-Radweg, das uns eigentlich ab hier ständig begleiten sollte. Tut es aber nur sporadisch. Augenscheinlich fehlt in Leipzig die nötige Konsequenz bei der Beschilderung von Radwegen. Aber das kennen wir ja schon.
Aus den Augenwinkeln nehmen wir noch wahr, dass wir einen weiteren spannenden Weg kreuzen: den Gose-Wanderweg. Aber den kreuzen wir wirklich nur. Für Gose ist es eindeutig noch zu früh.
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