LeserclubErst zwei Kilometer geradelt und schon was gesehen. Vielleicht sollte man sich öfter mal die Zeit nehmen, Leipzig auf seinen Fernradrouten zu erkunden. Möglichst früh, bevor die ganzen Leistungssportler auf der Strecke sind, die wie der Blitz an einem vorbeihecheln und auch auf Teilen des Elsterradwegs den Stress einer vom Leistungsdruck überdrehten Welt verbreiten. Tempo 40 statt Tempo 10. Mit Tempo 10 sieht man aber mehr.
Und wo wir schon mal an der schilderlosen Kreuzung mit der Straße Am Pfingstanger herumstehen, dürfen wir auch verraten, dass es hier, gleich rechts hinterm Ortseingangsschild in Lützschena, eine Hohle Gasse gibt. Für alle Schillerfreunde. Weil wir aber nicht warten wollen, ob er da nun kommt, fahren wir weiter auf dem Weg auf dem Luppedeich. Über den Bäumen grüßt das kupfergrüne Dach der einstigen Sternburg-Brauerei. Was dann schon an der nächsten Brücke heißt: Wir sind da. An einer der schönsten Stationen an der Route: der Auwaldstation. Die Brücke führt Richtung Böhlitz-Ehrenberg.
Aber hier gibt es wenigstens Hinweisschilder. Beide verweisen auf die Auwaldstation. Eines davon hat der Grüne Ring Leipzig hingehängt. Die Auwaldstation zählt als Station Nr. 17 auf dem Routenplan des Inneren Grünen Ringes. Seit Kurzem steht ein gipsweißer Bursche an der Zufahrt, die hier noch mit dem historischen Feldsteinpflaster direkt auf das Schloss Lützschena zuführt.
Es steht nicht dran, was der halbnackte Bursche mit seinem Feigenblatt darstellt, das eigentlich ein Gewurstel aus Eichenblättern ist. Eine Art Herkules oder ein bildhauerisch misslungener heidnischer Wilder Mann. Hinterrücks versteckt der Bursche eine Keule, aber auch ein paar Früchte, die er wahrscheinlich auf der Obstplantage der Specks von Sternburg geklaut hat, deren Wirken hier immer noch sichtbar und erlebbar ist.
Wer hier nicht vom Radweg abweicht, ist selber schuld. Wer erfahren will, was alles im Auwald kreucht und fleucht und schwimmt, kann an der Auwaldstation gar nicht vorbei. Schon draußen stehen jede Menge Tafeln, die über die Bewohner des Naturschutzgebiets unterrichten. Auch über Lutra lutra, den Otter. Den erwähnt dafür der Anglerverband lieber nicht, der gleich neben der Brücke über die Weiße Elster, die hinüber zum Schloss der Sternburgs führt, eine Tafel hingestellt hat, auf der er zeigt, was die Angelfreunde alles aus der Elster angeln. Übrigens höchst rechtmäßig: Der Anglerverband hat die Weiße Elster ganz offiziell gepachtet und darf hier geduldig nach Barschen, Hechten, Karauschen, Kaulbarschen und Zandern angeln. Und der aufmerksame Radler erfährt: Man befindet sich hier in der Barbenregion. Wer zu den Forellen will, muss viel weiter die Elster flussauf.
Aber natürlich werden hier nicht nur Naturfreunde beschenkt. Wenn sie dienstags bis freitags in der Arbeitszeit kommen, treffen sie sogar jemanden an in der Auwaldstation und können Fragen stellen. Kommen Sie am Samstag, so wie wir, lädt der rustikale Tisch hinter der Station natürlich ein, hier ein wenig Marschverpflegung zu essen. Dicht am Gewässer, das so hübsch durchs Grüne mäandert. Doch diesmal ist es nicht die Weiße Elster, sondern ein Altarm, der vor sich hinschweigt zwischen alten Uferbäumen.
Ein Stück weiter kommt man in den liebevoll wieder hergerichteten Schlosspark Lützschena, der in DDR-Zeiten seinen frustrierenden Niedergang erlebte. 1998 erwarb Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg die Anlage zurück und seitdem wird sie mit Hilfe der Stadt wieder hübsch gemacht. Man sieht einen weiteren Wilden Mann, den hübsch an einen See gestellten Kleinen Tempel, fühlt sich wie in einem englischen Landschaftspark, merkt aber, dass hier schonend mit den alten Restgewässern der Elsteraue umgegangen wurde. Und mittendrin stolpert man über ein stolzes Schild der Stadt Leipzig: “Die Stieleiche ist die Leipziger Auwaldpflanze 2012”. Hier steht eine. Eigentlich sogar mehrere. Für alle, die vergessen haben, dass eigentlich die Eiche mal der prägende Großbaum der Leipziger Elsteraue war. Diese Eiche hier hat ein geschätztes Alter von 310 Jahren. Im Rosental sieht man noch ein paar Kawenzmänner dieser Größenordnung.
310 Jahre? Da regierte in Dresden ein gewisser Friedrich August I., den man später mal den Starken nennen sollte. Und in Lützschena saßen noch nicht die Specks, sondern die von Üchtritze, eine alte sächsische Adelsfamilie.
Das mussten wir natürlich nachschlagen. Die Eiche verriet es nicht.
Manchmal hilft auch alles Nachschlagen nichts. Wo sind die Webseiten, die über die Leipziger Wanderwege erzählen? Bücher mit lauter Wanderrouten gibt es zuhauf. Jeder scheint sich selbst welche auszudenken. Aber dann steht man am nächsten Rastplatz am Elsterradweg und sieht ein Wanderzeichen: ein blauer Streifen auf weißem Grund, darauf eine weiße Zickzacklinie. Der Weg führt von hier quasi „von hinten“ in den Schlosspark. Aber Tafeln, die über die Leipziger Wanderwege informieren, haben wir entlang der Strecke keine gesehen. Wanderer, kommst du nach L… – verlauf dich nicht.
Die Wegmarke, auf die das Wandersignet gemalt ist, gehört zum Luppedeich. Sie zählt flussaufwärts die Entfernung. Hier ist Kilometer 8,40. Und da, wo der Pfeil hinzeigt, kommen wir zu einem der Projekte, die in der Auwaldstation organisiert wurden: ein Graffiti-Projekt für die Betonwände auf dem Luppedeich. Denn als die Landestalsperrenverwaltung hier 2012, 2013 die Deiche verstärkte (nicht ahnend, dass kurz drauf das nächste Hochwasser kommen würde), hat sie in die Deiche tiefe Wände getrieben, die sie stabilisieren, die aber auf der Krone auch die Betonmauern tragen, die den Deich hier auf vielen 100 Metern erhöhen.
Und eines dieser Mauerstücke haben 27 Schüler aus Leipziger Schulen mit lauter bunten Fluss- und Wassermotiven bemalt. Das Projekt sei „abgeschlossen“, meldet die Auwaldstation. Dabei sind noch viele 100 Meter trister Beton übrig zum Bemalen. Vielleicht wäre es ja ein Projekt für den Wanderverein?
Wahrscheinlich nicht. Denn am nächsten Steg über die Neue Luppe steht unübersehbar zu lesen: „Träumst du?“
Das kann einem auf dem Elsterradweg passieren. Zumindest an Tagen, an denen nicht gerade die Sonne scheint und alles auf der Piste rast, als wäre Zeit zu verlieren etwas Schreckliches. Entsprechende Warnungen gibt es auch von Radfahrerverbänden. Mit kleinen, träumenden Kindern sollte man an solchen Tagen nicht Rad fahren auf dem Elsterradweg. Denn ab hier, wo man nach Stahmeln abbiegen kann (was aber auch nicht ausgeschildert wird), kommt man so langsam in dicht befahrene Abschnitte.
Und man entdeckt – was keine Leipziger Statistik verrät – den Campingplatz Auensee. Es gehört zu den Vielen Seltsamkeiten in Leipzig, dass man viel über Tourismus und touristische Leuchttürme redet, den einfachen Tourismus mit Rad, Zelt und Wanderschuhen aber zumeist völlig ignoriert. Als schwebte man drüber. Oder wäre das alles nur Sache für den Förster.
Der hat in diesen Tagen eine Menge zu tun. Am Südufer der Luppe hat der Sturm vom 27. Juli einen großen Baum umgelegt. Ein tapferer Randsoldat der Burgaue. Wer das frisch gebaute Nahleauslasswerk besichtigen will, kann hier auf die Gustav-Esche-Straße und hinüber zur Burgaue fahren, den berühmten Auwald(forschungs)kran mit eingeschlossen, mit dem die Biologen der Uni Leipzig nun seit über zehn Jahren die Lebensräume in den Kronen der Auwaldbäume erforschen.
Hätten Sie es geahnt? Natürlich stehen auch hier keine Schilder, die auf diese Möglichkeit hinweisen.
Wer es nicht weiß, kommt nicht mal auf die Idee, hier einen Abstecher zu machen.
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Dazu hätt ich jetzt auch Lust. Sollte ich je nach Leipzig kommen werd ich da auch mal rumradeln.