Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat ist aufs Höchste besorgt. Das Erschrecken über die Stilllegung der Straßenbahnstrecke von Connewitz Kreuz nach Markkleeberg West sitzt den Linken noch in den Knochen. Fast gedankenlos hat die Ratsversammlung hier schon in der Vergangenheit das Heft des Handelns aus der Hand gegeben. Jetzt versucht die Linksfaktion, wenigstens bis 2018 neue "Überraschungen" zu verhindern.
Denn eines hat das stille Verlöschen der Straßenbahnlinie nach Markkleeberg-West gezeigt: Wenn der Leipziger Stadtrat keine Grundsatzbeschlüsse fasst oder die Konsequenzen uralter Beschlüsse (in diesem Fall schon aus den Jahren 1998 und 2009) mitbedenkt, dann entscheiden völlig andere Gremien einfach über die Köpfe der gewählten Stadträte hinweg, eine öffentliche Meinungsbildung fällt komplett aus und es passieren sogar Dinge, die völlig gegen die selbst beschlossenen Ziele verstoßen.
Denn gerade die Jahre 2014 und 2015 waren ja geprägt durch heftige Diskussionen über den Luftreinhalteplan und den Stadtentwicklungsplan Verkehr. Vollmundig redet nicht nur die Stadtspitze, sondern auch das stadteigene Verkehrsunternehmen von einer Verbesserung der Angebote im ÖPNV. Da passt der Ersatz einer über Jahre vernachlässigten Straßenbahntrasse durch eine Buslinie nicht wirklich ins Konzept. Erst recht nicht, wenn man eine wachsende Stadt wie Leipzig auch mit einem leistungsfähigen Nahverkehr zu denken versucht.
“Leipzig ist eine Stadt mit stetigem Einwohnerwachstum, prosperierender Wirtschaft und zunehmender Entwicklung von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. In großem Tempo werden Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen gebaut. Auch der Wohnungsbau wird in den nächsten Jahren deutlich zulegen”, stellt die Linksfraktion nicht zu unrecht fest. “All diesen Herausforderungen muss sich zwingend auch der öffentliche Nahverkehr stellen. Deshalb hat der Stadtrat in seiner Oktobersitzung beschlossen, dass der Nahverkehrsplan bis zum 1. Quartal 2018 überarbeitet und an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen ist. Bis dahin ist der Nahverkehr mindestens auf dem aktuellen Niveau beizubehalten. Es dürfen keine weiteren Tatsachen geschaffen werden, die diese Beschlussfassung und die begleitende BürgerInnen-Beteiligung bzw. die einhergehenden Diskussionen vorwegnehmen.”
Und auch der Beschluss zum Nahverkehrsplan war ja schon Ergebnis der hilflosen Debatte um die Linie 9, in der auch einige ambitionierte Stadträte lernen mussten, dass (zumindest kurzfristig) nichts zu machen geht, wenn das zuständige Nahverkehrsunternehmen über Jahre nichts in die Strecke investiert hat, weil schon 1998 scheinbar entschieden war, dass die Linie nach Markkleeberg-West eingestellt wird.
Auch wenn alle Beschlüsse dazu in den Stadtratsprotokollen eher beiläufig daherkommen, als angekündigte Möglichkeit, noch ohne echte Konsequenz. Aber so beiläufig hatte sich die Leipziger Verwaltung eben auch in die Beschlüsse geschrieben, dass man die Entscheidung zur Linie 9 einfach abgäbe an eine völlig fremde Entscheidungsinstanz – in diesem Fall den Landkreis Leipzig. Verwaltungsseitig hat man es sich damit 2009 ganz einfach gemacht. Dass man die Strecke damit völlig zur Disposition stellte und nicht mal überlegte, ob die Linie mit Eröffnung des S-Bahn-Netzes tatsächlich überflüssig würde, haben augenscheinlich sämtliche Stadträte nicht gemerkt.
Um unangenehmen Überraschungen, die möglicherweise wieder in irgendwelchen Nebensätzen versteckt sind, vorzubeugen, will die Linksfraktion jetzt quasi einen Sicherungsbeschluss bis 2018, was immerhin eine sehr lange Zeitspanne ist, in der viel passieren kann: “Der Oberbürgermeister wird beauftragt, einen Gesellschafterbeschluss herbeizuführen, bis zur Verabschiedung des neuen Nahverkehrsplanes keine Reduzierung der in der Ratsversammlung im November 2015 beschlossenen Nahverkehrsleistungen vorzunehmen und keine Neuvorlage einer Strecken- oder Teilstreckenstilllegung (Linienstrecke oder Betriebsstrecke) einzubringen.”
Denn die Linie nach Markkleeberg – selbst wenn nur im Leipziger Teil – wieder in Betrieb zu nehmen, dürfte nach der Stilllegung schwierig werden. Denn indem die Stadt jahrelang der Argumentation folge, die Linie 9 sei in diesem Teil “nur eine Parallelstrecke zur S-Bahn”, hat sie sich auch auf Landesebene Handlungsoptionen verbaut. Denn selbst die Diskussion um Fördergelder würde völlig anders laufen, wenn eine Stadtverwaltung die Notwendigkeit einer Straßenbahnstrecke argumentativ untermauern könnte. Das schließt auch Ausbauvarianten und Aufwertungen der Verbindung mit ein.
Aber die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) beriefen sich seit 2009 auf den Beschluss des Stadtrates, der die Stecke zur Überprüfung stellte. Der Stadtrat änderte seinen Beschluss nicht und wurde im Frühjahr von der Entscheidung im Landkreis regelrecht überrascht. Zeichen auch dafür, dass der derzeit gültige Nahverkehrsplan von 2009 schon lange nicht mehr den Rahmenbedingungen der Stadt entspricht und die Entscheidungen zum stadteigenen Verkehrsunternehmen völlig abgewandert sind in Gremien, auf die ausgerechnet Leipzigs höchste Entscheidungsinstanz keinen Einfluss hat. Diese schleichende Entmachtung hat sich die Leipziger Ratsversammlung gefallen lassen. Rückgängig machen kann sie das nur, wenn sie wieder bindende Grundsatzentscheidungen fällt, über die sich andere Gremien nicht stillschweigend hinwegsetzen können.
Die Diskussion zum neuen Nahverkehrsplan beginnt übrigens am Montag, 18. Januar, um 18:30 Uhr in der Volkshochschule.
Keine Kommentare bisher
Der stillgelegte Südast der Linie 9 wird nicht wiederkommen. Er lag in einem Landschaftsschutzgebiet und hatte lediglich Bestandsschutz.
Im NV-Forum wurde mal spekuliert, was die LVB denn so Hübsches als nächstes stilllegen können.
Als ziemlich sicher gilt, dass bei einer neuen Straßenbahntrasse ab Prager Straße zum Herzzentrum das Endstück nach Meusdorf stillgelegt werden wird. Die Meusdorfler und die Wolkser können ja dann zu Fuß gehen, ist ja nach LVB-Maßstäben eigentlich nicht so weit.