Tatsächlich hat der Leipziger Stadtrat augenscheinlich die ganze Zeit seit 2009 darauf gewartet, dass es von irgendeiner Seite eine Vorlage zur Linie 9 gibt - entweder von den LVB oder von der Stadtverwaltung. Denn das einzige, was es bislang gab, war eine Entscheidung des Leipziger Stadtrates für den Erhalt der Linie 9 in der Arthur-Hoffmann-Straße.
Die stammt aus dem Jahr 2009 und enthielt auch die heute empfohlene Vorzugsvariante, “falls sich der Landkreis Leipzig gegen einen Erhalt der Straßenbahn in Markkleeberg ausspricht. Die Straßenbahnlinie 9 würde dann nach Connewitz zum S-Bahnhof geführt.”
Drei Varianten hatte man dem Stadtrat damals vorgestellt – die Variante 1 mit Erhalt der Linie 9 und Zielpunkt S-Bahnhof Connewitz war einfach die kostengünstigste.
Leipzig ließ den Landkreis allein entscheiden
Die Vorlage von 2009 macht aber auch deutlich, dass Leipzigs Verwaltung dabei die eigentliche Entscheidung dem Landkreis Leipzig überließ. Ein Punkt, bei dem Leipzigs Stadträte 2009 durchaus schon an die Decke hätten gehen können, wenn es denn eine Beschlussvorlage zur Einstellung des Streckenastes Markkleeberg gewesen wäre. War es aber nicht. Und so haben sie wohl alle sechs Jahre lang brav gewartet, bis die Verwaltung vielleicht mal eine Beschlussvorlage vorlegen würde. Die es nie gab. Bis zur Septembersitzung nicht, als die Linksfraktion vorpreschte und kurzerhand den Erhalt der Straßenbahnlinie auf Leipziger Gebiet beantragte. Was beinah geklappt hätte, wenn nicht die Grünen unverhofft abgeschwenkt wären und die SPD-Fraktion regelrecht zurückgepfiffen worden wäre.
Auch wenn Stadträte aus allen drei Fraktionen in Einem eigentlich einig sind: Man kann so eine Entscheidung nicht vier Wochen vor Umsetzung einfach mal schnell beschließen. Das hätte viel früher auf den Tisch gehört. Dann hätte man sich auch intensiver mit den Zahlen beschäftigen können. Denn das Leipzig von 2009 ist nun einmal nicht das von 2015. Die Stadt ist in ein völlig anderes Wachstumstempo übergegangen, das auch in der Südvorstadt und in Connewitz überall spürbar ist. Es sind viel mehr Menschen mit der Straßenbahn unterwegs – auch mehr Schüler, mehr Kita-Gruppen, mehr Senioren.
Seit über zehn Jahren wurde nicht mehr in die Strecke nach Markkleeberg investiert
Mehrere Senioren meldeten sich am Donnerstagabend auch zu Wort. Für sie ist die Umstellung der Linie auf Busbetrieb eine Verschlechterung.
Aber wann wurde nun wirklich die Entscheidung zur Einstellung der Linie 9 getroffen?
LVB-Planer Holger Flache berichtete am Donnerstagabend, 8. Oktober, auch recht überzeugend von den Kosten, die jetzt für die LVB anfallen würden, wenn sie weiter mit der Straßenbahn nach Markkleeberg fahren würden. 4,1 Millionen würden allein schon 2016 fällig werden, um überhaupt noch auf der Strecke fahren zu können. Denn stillschweigend hat man im Leipziger Fahrgastunternehmen den Streckenast nach Markkleeberg schon seit über zehn Jahren aus allen Planungen herausgenommen. Es wurde nicht mehr in Gleise, Fahrleitungen und Haltestellen investiert. Die logische Folge ist ein Sanierungsstau, der in dem Moment, in dem man sich für die Weiterführung des Straßenbahnbetriebes entscheidet, sofort wirksam wird. Das Erste, was erneuert werden muss, sind die Oberleitungen.
Spätestens ab 2018 sind auch größere Investitionen in die Gleise notwendig. Insgesamt beziffern die LVB den Investitionsstau für den Streckenast auf 13,1 Millionen Euro, die bis 2020 eingesetzt werden müssten. 8 Millionen Euro davon würden allein auf dem Gebiet der Stadt Leipzig fällig.
Logisch, dass es auch dazu einige deutliche Fragen aus dem Publikum gab, unter anderem von Carsten Schulze vom Fahrgastverband Pro Bahn. Weniger danach, warum die LVB die ganze Zeit über nicht in die Strecke investiert haben – das macht ja wirtschaftlich keinen Sinn, wenn man die Strecke stilllegen will. Aber wie sieht es eigentlich mit der Behauptung aus, es würde für die Strecke keine Fördergelder vom Freistaat geben?
Ist die Linie 9 tatsächlich eine Konkurrenz zur S-Bahn?
Denn diese Aussage steht ja nun schon seit ein paar Jahren im Raum. Sie stammt aus der Zeit vor Eröffnung des S-Bahn-Netzes und war (wie im Fall der Arthur-Hoffmann-Straße) damit begründet, dass die Linie 9 ja “parallel” zur S-Bahn fahren würde. Und konkurrierende Streckensysteme wolle der Freistaat nicht fördern.
Da kann man sich wieder die Fahrgastzahlen nehmen und sieht: Wenn nur 25 Prozent der Fahrgäste umgestiegen sind, dann ist die Linie 9 ja für 75 Prozent der Fahrgäste keine Parallellinie zur S-Bahn, sondern eine attraktive Verbindung mit völlig anderen Zielen. So hat es wohl auch die Befragung der Markkleeberger selbst ergeben: Viele Markkleeberger nutzen die Linie 9 eben nicht, um so schnell wie möglich auf den Leipziger Markt zu kommen, sondern wollen direkt zum Connewitzer Kreuz. Dort aber gibt es keinen S-Bahn-Zugang. Das wurde auch am Donnerstagabend von mehreren Diskussionsteilnehmern so geäußert.
Und es war auch Thema, wie denn nun der westliche Teil von Connewitz erschlossen wird. Laufen die Leute dann wirklich alle zur Bornaischen Straße hoch, weil sich der Einzugsbereich der Straßenbahnhaltestellen überlappt?
Auf Leipziger Gebiet ist die Fahrgastzahl nicht zurückgegangen
Die Verkehrszählungen für den Leipziger Teil ergaben ein ganz anderes Bild als nur für den Markkleeberger Teil allein: Hier ist das Fahrgastaufkommen von 2012 bis 2014 sogar leicht gestiegen, von 659 auf 684 Fahrgäste, so dass sich auch die 25 Prozent “Fahrgastschwund” bis zum Connewitzer Kreuz deutlich verringern auf 19 Prozent. Es kamen statt 2.738 noch 2.218 Fahrgäste am Connewitzer Kreuz an.
Und die Frage stand im Raum: Wurde überhaupt einmal untersucht, wie man die Linie 9 auf dem Leipziger Teil überhaupt attraktiver machen könnte?
Auch hier lautet die Antwort: Es wurde nicht untersucht. Augenscheinlich kam weder der MDV noch die Leipziger Stadtverwaltung auf die Idee, so eine Aufwertung der Strecke untersuchen zu lassen.
Die LVB werden sich das schon aus wirtschaftlichen Gründen gespart haben. Denn wenn die Aussage stimmt, dass der Freistaat kein Geld zur Förderung beisteuert, müssten sie in den nächsten vier Jahren 13 Millionen Euro auftreiben, um die Strecke wieder betriebsfähig zu machen.
Mehr dazu gleich an dieser Stelle.
Das Streckennetz, wie es am 28. November inkraft treten soll.
Keine Kommentare bisher
Die LVB hätten ja auch schon 1998 auf den drohenden (jetzt also bestehenden) Sanierungsstau hinweisen können, um dann kleckerweise zu… ja, zu sanieren. (Anders als in Kleckerschritten ist sowieso nicht denkbar, so etwas wie jetzt auf der KarLi kommt nur alle zehn Jahre mal.)
Stattdessen ließen die LVB die Strecke lieber von sofort an verrotten, um dann wie jetzt auf die hohen “plötzlichen” Sanierungskosten zu verweisen. Ein übler politischer Trick.
Wenn ein Unwille da ist (hier der Unwille, den südlichen Linienast der 9 weiterzubetreiben), dann ist auch dafür ein Unweg, und sei es gezielte Verwahrlosung. Kennt man auch bei Immobilien, die “plötzlich” ganz schnell wegmussten. Ein sehr schmutziger Trick.