Am Donnerstag, 20. November, wird's in der Alten Börse auf dem Naschmarkt Thema: Wie soll der ÖPNV in der Region Leipzig künftig finanziert werden? Bürgerticket ist so ein Stichwort, Jobticket ein anderes. Aber noch viel spannender wird die Diskussion: Wie teuer wird der ÖPNV tatsächlich? Eine Studie, die der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) in Auftrag gegeben hat, sorgt für mehr Verwirrung als Klarheit.
Die Studienersteller von ETC waren in forscher Weise mit einem Kostensteigerungsfaktor von 3 Prozent jedes Jahr auf ein Anwachsen der Kosten im MDV von 520 auf 745 Millionen Euro bis 2025 gekommen und hatten eine Finanzierungslücke von 130 Millionen Euro aufgemacht.
Eine Entwicklung, die so aus den Kostenentwicklungen der letzten Jahre nicht ableitbar ist. Was nicht heißt, dass der ÖPNV kostendeckend finanziert ist. Ist er nicht. In allen Verkehrsunternehmen innerhalb des ÖPNV haben sich gewaltige Finanzierungsstaus aufgebaut, weil die öffentliche Hand insbesondere bei der Co-Finanzierung von neuen Fahrzeugen und Infrastrukturen geknausert hat. Was aber nicht bedeutet, dass sämtliche Kosten bei den Verkehrsunternehmen in den nächsten zehn Jahren derart heftig ansteigen.
Zahlen des Bundesamtes für Statistik geben die Steigerungsrate, die das Büro ETC zugrunde gelegt hat, nicht her.
Eine Anfrage beim Mitteldeutschen Verkehrsverbund sorgte für weitere Verwirrung.
“Die erwarteten Steigerungen basieren auf den drei Säulen Personalkosten, Energiekosten und Kosten für Material und übrige Aufwendungen, wobei die prognostizierten Kostensteigerungen von Säule zu Säule differenziert ausfallen. Gemäß einer Studie des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen liegt die Kostensteigerung bei Material für Verkehrsunternehmen in den neuen Bundesländern bei 3,1 %, für Dieselkraftstoff bei durchschnittlich 4,4 % und bei sonstigen betrieblichen Aufwendungen gar bei rund 8,8 %. Demgegenüber eher geringer fällt bisher die Steigerung bei den Personalkosten aus. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass die in den letzten Jahren gebremste Lohn-/Gehaltskostenentwicklung (über mehrere Jahre direkt oder indirekt über Arbeitszeitverkürzungen unverändert gebliebene Löhne/Gehälter) in Zukunft nicht mehr haltbar sein wird”, teilt der MDV auf Nachfrage mit.
Bestätigt aber auch, dass die Finanzierungslöcher akut bei den Investitionen bestehen. “Ein weiterer Fakt bei der erwarteten Steigerung des Kostenindex ist, dass in den letzten Jahren aus finanziellem Mangel heraus dringend notwendige Investitionen nicht getätigt wurden. Im Zuge dieses Investitionsstaus ist in den kommenden Jahren ein erheblich über dem Durchschnitt liegender Investitionsbedarf anzusetzen, will man das System nicht vollends auf Verschleiß fahren.”
Aber woher kommen dann die exorbitanten Steigerungen bis 2025? Wie belastbar ist die prognostizierte Finanzierungslücke von 130 Millionen Euro im Jahr 2025? Wie berechnet sich das?
Der MDV dazu: “Bei der Vorstellung des Papiers in den einzelnen Gremien haben wir bisher stets darauf verwiesen (und werden auch bei allen kommenden Präsentationen darauf verweisen), dass man sich bei dieser langfristig angelegten Studie trefflich darüber streiten kann, ob es letztendlich 2,5 %, 3,0 % oder 3,5 % Kostensteigerung sind. Wichtig ist, dass die politischen Gremien für die Problematik sensibilisiert werden und dass wir in einen Diskussionsprozess eintreten.”
Na gut, das versteht man ja. Gerade die Leipziger Politik zeigte sich in den vergangenen Jahren geradezu hartleibig, was die Bezuschussung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) betrifft. Brav hoben zwar die Stadträte jedes Jahr die Hand, um die saftigen Fahrpreiserhöhungen abzunicken. Aber an dem auf 45 Millionen Euro reduzierten Zuschuss für die LVB wollte niemand rütteln, obwohl die LVB gleichzeitig eine jährliche Investitionslücke von 20 Millionen Euro aufwies. Es ist höchste Zeit, dass die Volksvertreter und die Verwaltungsspitze wieder ins Nachdenken kommen.
Woher kommen aber die Steigerungsprognosen? – Der MDV verweist dazu auf eine Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen(VDV). Diese Studie stammt schon aus dem Jahr 2009, ist also nicht mehr ganz taufrisch, beinhaltet aber den hier zu Grunde gelegten Versuch, die Kostenentwicklung im ÖPNV bis 2025 zu errechnen – und das mit den einberechneten demografischen Entwicklungen, die auch dem MDV zu schaffen machen: einer zunehmenden Entvölkerung der ländlichen Räume (was dort die Unterhaltung des ÖPNV teurer macht) und einem zunehmenden Bedarf an ÖPNV-Leistungen in den Ballungsräumen (was dort den ÖPNV teuer macht).
Die wesentlichen Erkenntnisse dieses Versuches, die Zukunft auszurechen, findet man gleich im Vorwort. Die Ersteller der Studie nehmen eine klare Trennung vor, die so im von ETC vorgelegten Papier fehlt – sie trennen zwischen den konsumtiven Ausgaben der Verkehrsunternehmen (also dem, was für den täglichen Betrieb gebraucht wird: Strom, Sprit, Löhne usw.) und den Investitionskosten. Nur so macht die Diskussion überhaupt Sinn. Denn schon für 2009 stellen die Autoren fest, dass sich die öffentliche Hand (Bund, Länder und Kommunen) massiv aus der Finanzierung des ÖPNV zurückgezogen haben. Zwar hat der Bund seine Regionalisierungsmittel, die zur Finanzierung des regionalen ÖPNV herangezogen werden sollten, mit 1,5 Prozent pro Jahr dynamisiert. Aber gerade in Sachsen hat man ja erlebt, wie diese Mittel innerhalb der Verkehrspolitik zweckentfremdet und die Zuschüsse etwa für die Zweckverbände drastisch beschnitten wurden. Eine nachhaltige Finanzierung sieht anders aus.
MDV lädt ein zum Forum Nahverkehr am 20. November: Wie lässt sich der Nahverkehr künftig finanzieren?
Die Mitteldeutsche Verkehrsverbund …
ÖPNV-Finanzierung im MDV: Von suspekten Hochrechnungen und tatsächlich fehlenden Visionen
Da waren tatsächlich die Krawalleros …
Fahrscheinloser ÖPNV: MDV lanciert eine gute Idee mit Krawall über die LVZ
Wenn der Geschäftsführer …
Bei den Investitionskosten kamen die Autoren der VDV-Studie zu dem Ergebnis, dass die Investitionskosten aller ÖPNV-Unternehmen von 1,65 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 2,03 Milliarden Euro im Jahr 2025 anwachsen müssten, um den Investitionsbedarf zu decken. Das ist konservativ gerechnet – aber ein belastbarer Wert mit rund 2 Prozent Steigerung im Jahr. Wobei die Autoren betonen, dass ein offensiver Ausbau des ÖPNV, der auch die Erreichung der von Deutschland akzeptierten Klimaziele beinhaltet, in diesen Zahlen nicht enthalten ist.
Aber wie gesagt: Das sind die reinen Investitionen. Der reine Nachholbedarf für unterlassene Neu- oder Ersatzinvestitionen belief sich 2007 übrigens deutschlandweit auf 2,4 Milliarden Euro. Das war und ist die eigentliche Schieflage im ÖPNV.
Den konsumtiven Finanzierungsbedarf bezifferte die VDV-Studie für das Jahr 2007 deutschlandweit auf 8,58 Milliarden Euro. Bis 2025 würde er nach den Berechnungen der Studie auf 9,16 Milliarden Euro ansteigen. Eine Zahl, die nicht einmal verblüfft, weil sie schon allein durch die simple Inflationsentwicklung getrieben wird.
Über die komplette Laufzeit bis 2025 wären das 6,8 Prozent. Wenn man die Zahl aber auf die Jahre herunterbricht, kommt man nicht einmal auf 1 Prozent. Wohlgemerkt: Das ist der reale Konsumtionsbedarf, den die Studie ermittelt.
Die Autoren haben auch noch diverse Szenarien durchgerechnet, die allesamt über dem realen Verlauf seit 2007 liegen. Der Grund ist ein simpler: Die Autoren konnten sich 2009 einfach nicht vorstellen, dass die langjährige Inflationsrate unter 2 Prozent liegen könnte. In zwei Szenarios gehen sie sogar von 4 Prozent aus. Die Realität seit 2009 sind aber Inflationsraten um die 1,5 Prozent. Höher lagen nur die Steigerungen bei den Ticketpreisen. Die aber nahmen die Autoren eher bei 2 bis 2,9 Prozent an und betonen im Text sogar, dass höhere Steigerungsraten den Kunden wohl nicht mehr zu vermitteln wären.
Dass die Steigerungsraten bei den Ticketpreisen tatsächlich in den letzten Jahren bei 4,5 Prozent lagen, macht die Sache noch pikanter.
Aber unübersehbar ging keiner der Autoren der VDV-Studie davon aus, dass die konsumtiven Kosten im ÖPNV mit exorbitanten Steigerungsraten von 3 Prozent vonstatten gehen, wie das Büro ETC für die MDV-Studie angenommen hat. Selbst in den Ballungsräumen schießen die Kosten nicht durch die Decke. Die Autoren der VDV-Studie gehen hier von einer Steigerung der Kosten von 3,54 Milliarden Euro (2007) auf 3,91 Milliarden Euro (2025) aus. Das ist eine Steigerungsrate im Jahr von 1 Prozent.
Und das ist weit von den Prognosen entfernt, die jetzt das Büro ETC für den MDV zusammengerechnet hat. Natürlich ist das simple Mathematik und es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man mit 1 oder 3 Prozent Kostensteigerung pro Jahr rechnet.
Da kann man gespannt sein, wie am Donnerstag, 20. November, um 18:30 Uhr in der Alten Börse über dieses Thema diskutiert wird.
Der VDV zur Finanzierung der Infrastrukturen des ÖPNV:
www.vdv.de/infrastruktur.aspx
Die VDV-Studie als PDF zum download.
Keine Kommentare bisher