Es war eigentlich 2009 schon klar, als die Sachsen CDU und FDP in die Regierung wählten: Jetzt wird Vieles, was der Freistaat an umweltfreundlicher Mobilität schon erreicht hat, zurückgedreht. Gelder werden umverteilt zu den klassischen Verkehrsarten, vor allem für den Neubau von Straßen. Dafür wird bei ÖPNV und Bahn gespart. Fünf Jahre gründlich vertan auf dem Weg in eine wirklich moderne Verkehrszukunft.

Seitdem vergeht kein Monat, in dem nicht die immer weiter aufklaffenden Lücken im Schienennah- und -fernverkehr diskutiert werden. Der kleine Trost, der keiner ist: In Thüringen und Sachsen-Anhalt ging man genauso blind in die Heilsversprechen. Thüringen setzt seine Zukunftshoffnungen im Verkehr genauso auf endlose Anmeldelisten für den Bundesverkehrswegeplan. Verkehrsprojekte für 2,3 Milliarden Euro hat Thüringens Verkehrsminister Christian Carius (CDU) für den aktuellen Bundesverkehrswegeplan angemeldet. Das ist nicht anders als bei seinem sächsischen Kollegen Sven Morlok (FDP), dessen angemeldete Projektliste für die nächsten 80 Jahre reichen würde. Wenn sie denn jemand bezahlen könnte.

Doch im Verkehr gilt wie in jedem anderen Politikfeld auch: Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Das Geld, das für Straßenbaugroßprojekte auf Jahre gebunden ist, kann nicht für die dringende Erneuerung von bestehenden Straßen und Brücken eingesetzt werden. Geld, das für neue Straßen verbaut wird, wird dem ÖPNV entzogen. Die Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln für den Verkehrszweckverbände haben längst Folgen gezeitigt – jeder Zweckverband musste Bahnlinien abbestellen.

Der City-Tunnel und das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz, die am 15. Dezember in den Betrieb gehen, sind ein Lichtblick. Aber beschlossen wurde das Projekt noch in der Ära Biedenkopf. Seither wird nur noch am zu kurzen Tischtuch hin und her gezogen.

Am Donnerstag, 21. November, stellte nun die Allianz Pro Schiene ihren neuen “Bundesländerindex Mobilität” vor. Der Freistaat Sachsen, der vor zwei Jahren noch auf einem durchaus viel versprechenden Rang 7 landete, ist in dieser kurzen Zeit auf Rang 14 abgerutscht. Das hat nicht nur mit der Stiefmutter-Politik für den Schienenverkehr zu tun, sondern auch mit den ganz normalen Folgen eines forcierten Straßenverkehrs.

Lediglich Bayern und Brandenburg reihen sich jetzt noch hinter dem Freistaat ein. In der Studie werden neben Umweltauswirkungen, Bezahlbarkeit und Sicherheit des Verkehrs auch politische Zielstellungen sowie deren Umsetzung berücksichtigt.

“Sachsens Absturz vom 7. auf den 14. Platz ist eine schallende Ohrfeige für die Verkehrspolitik von Minister Sven Morlok”, kommentiert Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, die Wertung. “Die Zahl der Verkehrstoten in Sachsen ist von 2010 bis 2012 um 25 Prozent gestiegen. Eine Einhaltung des Verkehrssicherheitsziel des Bundes, die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken, rückt in Sachsen in immer weitere Ferne.”

Der “Bundesländerindex Mobilität” Allianz pro Schiene ist der einzige systematische Bundesländervergleich im Mobilitätssektor. Dabei werden statistische Daten im Bereich Mobilität und die verkehrspolitischen Weichenstellungen in allen 16 Ländern abgefragt, verglichen und aufbereitet. Der Index wurde im Herbst zum zweiten Mal veröffentlicht. Und auch beim Thema Mobilität geht es um nachhaltige Weichenstellungen und die wichtige Frage: Ist auch in den nächsten Jahrzehnten die Teilhabe an Mobilität für alle Bürger des Freistaats gesichert? – Die Allianz pro Schiene wurde im Januar 2013 vom Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung ausgezeichnet.

“Unser aktueller Antrag zur Temporeduktion auf sächsischen Autobahnen wird von Minister Morlok abgelehnt, obwohl die Staatsregierung grundsätzlich bejaht, dass ein Zusammenhang zwischen der Verkehrssicherheit und der Geschwindigkeit existiert”, stellt Jähnigen fest.Obwohl das nur ein Teilthema ist. Darauf allein kann man keine Verkehrspolitik aufbauen. Gerade bei der Mobilität braucht es eine vernetzte Strategie, die vor allem die langfristigen Strukturen sichert und optimiert. Übrigens nicht nur beim Personentransport, sondern auch im Güterverkehr. Doch in Sachsen nimmt die auf der Straße transportierte Gütermenge stärker zu als die Bruttoinlandsproduktion. Was weniger an der produzierenden Wirtschaft liegt, als am starken Ausbau der Straßennetze. Und natürlich an den fehlenden Puffern im Schienentransportnetz.

Ein Ergebnis dieser straßenfixierten Verkehrspolitik ist der nach wie vor hohe Flächenverbrauch. Die Zielmarke der Flächeninanspruchnahme durch die Landesregierung honoriert die Allianz pro Schiene zwar mit einem 3. Rang, aber von den 2 Hektar Flächenverbrauch pro Tag im Jahr 2020 ist Sachsen noch meilenweit entfernt. Heute gehen noch jeden Tag 6 Hektar zumeist landwirtschaftlicher Fläche pro Tag verloren.

Auch bei der Mittelverwendung wird der Freistaat im unteren Drittel der Bundesländer geführt. “Der überwiegende Teil der Finanzmittel wird in den Straßenneubau investiert. Die Studie kritisiert ausdrücklich diesen falschen Mitteleinsatz in Sachsen”, stellt Eva Jähnigen fest. “Momentan gibt die Staatsregierung nur 14,6 Prozent der Bundesmittel für die kommunale Verkehrsinfrastruktur für Bus und Bahn aus. Der Radverkehr wird mit diesen Geldern überhaupt nicht gefördert. Hier ist Sachsen leider sogar bundesweit Schlusslicht.”

Im Oktober hatte Jähnigen das schon heftig kritisiert. Denn mit den EU-Fördergeldern hätte man in Sachsen eine Menge für umweltfreundliche Verkehrsarten tun können. Jähnigen damals: “Wir können die Freude von Staatsminister Morlok nicht teilen, dass Sachsen innerhalb von sieben Jahren mehr als 600 Millionen Euro europäischer Förderung für den Neubau von Straßen verwendet hat. Damit hat Sachsen die Chance vergeben, das zum letzten Mal so üppig sprudelnde Fördergeld in etwas Sinnvolleres zu investieren als Asphalt. Die Möglichkeit, einen Teil der bisher nicht verbrauchten Summe in die Förderung von Bahn- und Radverkehr zu investieren, haben FDP und CDU nicht genutzt. Wer künftig den Unterhalt für all die neuen Straßen in Sachsen bezahlen soll, ist Staatsminister Morlok offensichtlich egal.”

Deftige Abstriche gab es auch für die Klimaschutzziele der Sächsischen Staatsregierung und die Luftqualität. Letzteres ein Thema, mit dem sich dann jeweils die Städte herumplagen müssen, obwohl zwei Drittel der Luftverschmutzung aus dem regionalen “Hintergrund” stammen – in Leipzig ganz speziell aus dem Autobahnring, den Tagebauen und den Kohlekraftwerken der Umgebung. In der kalten Jahreszeit noch verstärkt durch die eingewehten Rußwolken aus südlichen und östlichen Richtungen.

Aber zentral in der Bewertung der “Allianz pro Schiene” ist eben die Frage: Was tut eine Landesregierung, damit der umweltfreundliche Verkehr funktioniert? – Die Antwort in der Kurzauswertung für Sachsen: “Ebenfalls kein Hoffnungszeichen beim Indikator ‘Mittelverwendung: Karge 6,6 Prozent der Bundesmittel für Verkehr investiert Sachsen in den Umweltverbund, also Bahn, Bus, Fahrrad und Fußverkehr. Eine Festschreibung der auslaufenden Zweckbindung beim Bundesgeld für den Verkehr gab es zum Zeitpunkt der Befragung nicht.”

Broschüre Bundesländerindex Mobilität (2012): www.allianz-pro-schiene.de/ueber-uns/publikationen/broschuere-bundeslaenderindex-mobilitaet/2012-bundeslaenderindex-mobilitaet.pdf

Länderportrait Sachsens in der Broschüre Bundesländerindex Mobilität: www.allianz-pro-schiene.de/ueber-uns/publikationen/broschuere-bundeslaenderindex-mobilitaet/broschuere-bundeslaenderindex-mobilitaet.pdf#page=19

Antrag der Grünen im Landtag “Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen”: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Antraege/5_Drs_6993_1_1_3_.pdf

Pressemitteilung ‘Chance auf Umwidmung der EFRE-Förderung für Bahn- und Radverkehr wurde leichtfertig vergeben’: www.ejaehnigen.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=581:gr%C3%BCne-chance-auf-umwidmung-der-efre-f%C3%B6rderung-f%C3%BCr-bahn-und-radverkehr-wurde-leichtfertig-vergeben

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