Die zunehmende Versiegelung urbaner Flächen ist eine der größten Herausforderungen für Städte im Klimawandel. Die alarmierende Entwicklung zeigt, wie Beton, Asphalt und Pflaster natürliche Böden verdrängen. Dies hat weitreichende Konsequenzen: Regenwasser kann nicht mehr ausreichend versickern, was die Gefahr von Überschwemmungen erhöht. Gleichzeitig nimmt die Artenvielfalt ab, und in heißen Sommern entstehen sogenannte städtische Hitzeinseln, die das urbane Klima zusätzlich belasten.
Ein gemeinsames Projekt des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV und der Plattform Vertical52 hat mithilfe von Sentinel-2-Satellitendaten die Bodenversiegelung in Leipzig, Hamburg und Stuttgart untersucht. Die Ergebnisse offenbaren das Ausmaß der Versiegelung und deren Auswirkungen auf das städtische Klima.
Leipzig als „grüne Oase“?
Die Stadt Leipzig, oft als „grüne Oase“ bezeichnet, zeigt eine widersprüchliche Entwicklung. Trotz des Ziels, jährlich 1.000 neue Bäume zu pflanzen, gingen zwischen 2018 und 2024 etwa acht Quadratkilometer Grünfläche verloren – eine Fläche, die rund 1.120 Fußballfeldern entspricht. Also rund 186 Fußballfelder pro Jahr. Der Anteil versiegelter Flächen stieg von 29,2 auf 31,2 Prozent.
Besonders betroffen ist das Zentrum-Ost, wo es im Sommer bis zu sechs Grad wärmer wird als in anderen Stadtteilen. Auch das brachliegende Jahrtausendfeld und der Wilhelm-Leuschner-Platz stehen sinnbildlich für den Verlust von Grünflächen. Auf Letzterem sollen Wohnungen und Büros entstehen – ein Vorhaben, das in der Gesellschaft für Kontroversen sorgt.
In Stuttgart gibt es Lichtblicke: Die Stadt hat durch gezielte Entsiegelungsmaßnahmen in Vierteln wie dem Europaviertel Grünflächen hinzugewonnen. Dennoch nahm auch hier die Versiegelung insgesamt zu. Hamburg verzeichnet den größten Zuwachs: Zwischen 2018 und 2024 wurden 14 Quadratkilometer zusätzliche Fläche versiegelt – das Fünffache des Stadtteils St. Pauli. In 56 von 63 Stadtteilen nahm die Versiegelung zu.
Starkregenereignisse, wie sie dieses Jahr Leipzig heimsuchten, verdeutlichen die Dringlichkeit des Problems. Überlaufende Kanalisationen, überschwemmte Straßen und Schäden in Millionenhöhe sind nur ein Vorgeschmack auf das, was stärker versiegelte Städte erwartet. Hinzu kommen Flusshochwasser, die in Leipzig knapp 16.000 Menschen bedrohen könnten.
„Netto-Null“-Strategie reicht nicht
Die Bundesregierung hat den Ernst der Lage erkannt: Laut Bundesumweltministerium ist es ein zentrales Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Dennoch wurden die Zielvorgaben verschoben. Statt wie ursprünglich geplant 2020, soll das Ziel der „Netto-Null“ – nur so viel Fläche zu versiegeln, wie entsiegelt wird – erst 2050 erreicht werden. Auch im Leipziger Stadtrat wurde bereits über solch eine Strategie bis 2030 diskutiert.
Anja Bierwirth, Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, sagte gegenüber CORRECTIV, dass Städte eigentlich mehr ent- als versiegeln müssten, um sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen. Das oft propagierte Ziel der „Netto-Null“, also gleichermaßen viel Fläche von Beton und Asphalt zu befreien, wie versiegelt werde, sei dafür nicht ausreichend.
Jede versiegelte und verbaute Fläche sei verloren und brauche „viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte, um nach einer Entsiegelung wieder denselben ökologischen Wert zu erreichen, wie vor der Versiegelung“, so Bierwirth.
Auch die Ergebnisse einer Umfrage von CORRECTIV und anderen Medien verdeutlichen das Problem: 2023 gab nur jeder dritte Landkreis an, überhaupt Entsiegelungsmaßnahmen zu ergreifen. Die Zahlen sind eindeutig: Ohne ein radikales Umdenken in Stadtplanung und Politik werden die Herausforderungen durch Versiegelung weiter zunehmen.
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