Während sich die „klassischen“ Wirtschaftsinstitute in Deutschland bemühen, mit Zahlen und Hochrechnungen die Mahnungen, Klagen und Wünsche der „Wirtschaft“ zu untermauern und der Öffentlichkeit das Bild einer berechenbaren Wirtschaft zu suggerieren, wirken das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und sein Präsident Marcel Fratzscher wie Stimmen der Vernunft in völlig überhitzten Debatten. Etwa der, ob die Bauernproteste legitimer sind als die Klimaproteste.
Am 12. Januar ging Marcel Fratzscher darauf in einer Kolumne auf „ZEIT Online“ ein. Ausgelöst wurde die durch die üblichen Reaktionen, die er auf einen Post auf X bekam. Der lautete: „Wenn Menschen Straßen blockieren, um die Politik zum Handel gegen den Klimawandel zu mobilisieren, dann sind Empörung und Ablehnung groß. Wenn Landwirte Straßen blockieren, um gegen die Reduzierung von klimaschädlichen Subventionen zu protestieren, dann gibt die Politik nach.“
Darauf gab’s jede Menge Widerspruch. Aber davon ließ sich Fratzscher nicht einschüchtern.
Denn wenn man die Inhalte der beiden Protestformen genauer betrachtet, merkt man, dass der Protest der Klimaaktivisten noch viel mehr Berechtigung hat. Da geht es um ganz andere Dimensionen.
Für Fratzscher sind die Klimaproteste „von Fridays for Future bis zur Letzten Generation – die einflussreichste und wichtigste gesellschaftspolitische Initiative der vergangenen Jahre. Die Proteste der Landwirte dagegen sind zwar in einer Demokratie gleichermaßen legitim, ihre Ziele laufen denen der Gesellschaft und künftiger Generationen jedoch größtenteils zuwider.“
Das geht zulasten künftiger Generationen
Die deutschen Bauern haben in Deutschland übrigens eine starke Lobby. Ihre Verbandspräsidenten haben zum jeweiligen Landwirtschaftsminister genauso einen kurzen Draht wie die Autobauer zum Verkehrsminister. Und den haben sie in den vergangenen Jahrzehnten immer genutzt – aber eben nicht, um die Veränderung hin zu einer klimafreundlichen und resilienten Landwirtschaft zu gestalten, sondern um Pfründen zu sichern. Auch Pfründen, die ohne Wenn und Aber klimaschädlich sind.
Worauf Fratzscher natürlich auch eingeht: „Der Protest der Landwirte ist in unserer Demokratie legitim, ohne Wenn und Aber. Er richtet sich spezifisch gegen die Kürzung von Subventionen für Agrardiesel, durch den die landwirtschaftlichen Betriebe knapp 21 Cent pro Liter weniger zahlen als Autofahrerinnen an der Tanksäule — die Abschaffung der Privilegien bei der Kfz-Steuer hat die Bundesregierung als Reaktion auf die Proteste bereits zurückgenommen. Und sie fordern generell mehr Unterstützung der Politik für die Landwirtschaft.
Aber das Durchsetzen dieser Ziele geht zulasten der Gesellschaft als Ganzes und künftiger Generationen. Der Schaden für Klima, Umwelt und Biodiversität durch manche landwirtschaftliche Produktion ist enorm. Allen voran belastet die Produktion von Fleisch und anderen tierischen Produkten die Umwelt und das Klima enorm – und ist eine der wichtigsten Ursachen für den Klimawandel und die damit verbundenen Schäden für Wirtschaft, Gesundheit und künftige Generationen.“
Und diese umweltschädliche Produktion von Nahrungsmitteln wird auch noch hochsubventioniert. In einer Marktwirtschaft eigentlich ein Unding. Jede andere Branche bekommt um die Ohren geschlagen, wenn sie ohne Subventionen nicht funktioniert – nur bei der Landwirtschaft tut man so, als wäre das normal.
Na gut: Beim Pkw tut man auch so, als wäre das normal. Für den spritgetriebenen Verkehr gibt die Bundesrepublik allein die Hälfte all der klimaschädlichen Subventionen aus, die das Umweltbundesamt 2018 schon einmal akribisch aufgelistet hat – von rund 60 Milliarden Euro rund 30 Milliarden. Geld, mit dem der Staatshaushalt locker saniert werden könnte.
Subventionierte Nahrungsmittel bezahlen am Ende die Verbraucher
Die 60 Milliarden Euro sind 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. „In anderen Worten“, so Fratzscher. „Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft und Demokratie ist es, dass Preise von Produkten auch die Kosten widerspiegeln, die sie verursachen. Daher ist die Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen wie für Agrardiesel nicht nur richtig, sondern überfällig.“
Und das sind ja nicht die einzigen Subventionen, die in der Landwirtschaft landen – und zwar zum größten Teil bei großen Agrarbetrieben, viel weniger bei den wirklich noch selbstständigen kleinen Bauern.
„Es gibt fast keine Branche in Deutschland und Europa, die stärker von finanziellen Subventionen profitiert“, schreibt Fratzscher. „Knapp 30 Prozent des EU-Budgets gehen für finanzielle Hilfen für die Landwirtschaft drauf. Die Europäische Union betreibt einen gigantischen Protektionismus, um Landwirte in Europa vor dem globalen Wettbewerb zu schützen. Man kann dies sicherlich zum Teil durch die wichtige Rolle von Ernährungssicherheit und Pflege von Landschaft und Kultur rechtfertigen. Aber es geht letztlich zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher, die dadurch deutlich höhere Preise für ihre Produkte zahlen.“
Denn das wird ja gern vergessen: Die Subventionen stammen aus den Steuereinnahmen der Staaten. Die Konsumenten subventionieren die billigen Preise in den Supermärkten selbst aus eigener Tasche. Logisch, dass man dann im Regal keine realen Preise sieht und glaubt, das Angebot sei tatsächlich so billig, wie es beworben wird.
Die tatsächliche Generationenfrage
Und während die Bauern für den Erhalt eines überfälligen Subventionssystems demonstrieren, tun es die Klimaaktivisten für künftige Generationen. „Mit zunehmenden Naturkatastrophen, Veränderungen von Umwelt und dem Verlust der Biodiversität sollte uns allen mittlerweile bewusst sein, wie enorm groß der Schaden des Klimawandels für uns alle ist. Die Proteste der Klimaschützer sind somit demokratisch nicht nur genauso legitim, sondern gesellschaftlich, sozial und wirtschaftlich deutlich wichtiger als die der Landwirte“, so Fratzscher.
Der nicht wirklich akzeptieren kann, dass die Proteste der Landwirte allein für legitim erklärt werden, Klimaaktivisten aber kriminalisiert und auch noch als Terroristen verunglimpft werden, obwohl sie friedlich protestieren, keine Landefähren belagern, niemanden bedrohen und vor allem mit Rechtsextremen keine gemeinsame Sache machen.
„Was die beiden Proteste gemein haben, ist, dass sie gleichermaßen demokratisch legitim sind und dass beide die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und den Umgang mit Klima und Umwelt betreffen. In jeglicher Hinsicht sind die Ziele der Klimaschützer drängender“, so Fratzscher.
„Wie lange werden wir als Gesellschaft noch brauchen, damit wir dies verstehen und entsprechend handeln? Die Politik sollte nicht den Landwirten nachgeben, sondern den Forderungen und Appellen der Klimaaktivisten folgen.“
Denn so betrachtet sind auch die Proteste der Bauern nur ein Versuch, an einem klimaschädlichen Modell festzuhalten und jede Veränderung hin zu einem Land, das wirklich die Zukunft der Kinder und Enkel sichert, zu verhindern.
Was dann auch den Blick auf die Generationenfrage senkt, die von den protestierenden Bauern immer nur behauptet wird. Denn Betriebe, die bis in alle Ewigkeit auf massive Subventionen angewiesen sind, sind nicht zukunftsfähig.
Deren Inhaber werden auch die nachfolgenden Generationen nicht zur Übernahme der Betriebe bewegen. Erst recht nicht, wenn die Subventionen weiterhin vor allem in die großen Agrarbetriebe fließen, während sich an der finanziellen Not der kleinen Höfe gar nichts ändert.
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