Sie wissen selbstverständlich, dass ein Euphemismus die beschönigende Verwendung eines Begriffs zur Verschleierung der eigenen Absichten bedeutet, oder? Wenn also der Verkehrsminister Wissing von Verkehrswende und Klimaneutralität schreibt, die technologieoffen gestaltet sein muss, dann klingt das erst mal nach Fortschritt. Also E-Auto, autonomer Schienenverkehr, Transportoptimierung mit KI-gesteuerten Systemen und vielem anderen.
Er verwendet den Begriff aber eben euphemistisch und meint „Autobahn und Verbrenner-Motor“.
Schauen wir uns das mal detailliert an, am Beispiel des Güterverkehrs.
Schienengüterverkehr
Zugegebenermaßen klingt „Güterzug“ nicht so sexy wie „eFuel betriebener, im Platoon fahrender HighTech-LKW“, aber müssen wir uns nach dem Klang verschiedener Begriffe richten?
Der Schienengüterverkehr ist eine bewährte Transporttechnologie, die bis in die 1980er Jahre ständig modernisiert wurde. Elektrifizierung der Strecken, Containerbahnhöfe, auf denen die Container für die „letzte Meile“ auf LKW verladen wurden und die hoch technisiert waren, Schnellzugstrecken für Güterverkehr und ähnliches waren weltweit in der Entwicklung und Durchsetzung.
Nach der Bahnreform 1994 wurde das Streckennetz der Bahn, bis 2006, um etwa 6.000 km verkleinert, dazu wurden ca. 14.000 km Gleise und 58.000 Weichen und Kreuzungen abgebaut. Das wirkte sich selbstverständlich auch auf den Güterverkehr aus. Das war aber bei weitem nicht der einzige Grund für den Rückgang des Schienengüterverkehrs.
Aktueller Stand
Im Nachgang zum Artikel „Gütertransport auf die Schiene, warum will Wissing mehr Straßen?“ haben wir einige Fragen an die Initiatoren der Presseinformation „Schienengüterverkehr: Wir können mehr, als Wissing uns zutraut“ gestellt. Unter anderem fragten wir an: „Was sind die dringendsten Maßnahmen, die getroffen werden müssen und wie sieht für Sie ein realisierbarer Plan für die Stärkung des Schienengüterverkehrs aus?“
DIE GÜTERBAHNEN, das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) e.V., antwortete: „Die dringendste Angelegenheit, mit der alles steht und fällt, ist die Infrastruktur. Hier muss einerseits die Generalsanierung der Korridore so ausgestaltet werden, dass die verschiedenen Verkehre (Güter-, Nah- und Fernverkehr) vereinbar mit der Priorisierung der zu bebauenden Strecken leben können und die Umleiter vor den Baumaßnahmen so ertüchtigt werden, dass die Leistungsfähigkeit im Netz nicht rapide abfällt während der Sanierungen. Die Generalsanierung kann aber den Neu- und Ausbau nicht ersetzen – den braucht es zusätzlich, denn er bringt die wirklich großen Sprünge bei der Kapazität im Netz. Es braucht beides.
Daneben geht es darum, den Wettbewerb zur Straße fair(er) zu gestalten. Um nur einige Beispiele aufzuzählen: Lkw bezahlen auf nur sechs Prozent der Straßen Maut, während Güterbahnen auf 100 Prozent der Trassen Entgelte zahlen. Daneben werden Lkw über das Dieselsteuerprivileg künstlich günstiger gehalten, auch das muss entfallen. Drittens wird nach wie vor deutlich mehr Geld in den Straßenneu- und Ausbau investiert, als in die Schiene, obwohl im Koalitionsvertrag anderes beschlossen wurde. Gerade hier muss eine Prioritätenverschiebung in Richtung Schiene stattfinden, wenn man es mit den Verlagerungs- und Klimaschutzzielen ernst meint.“
Zum Ausbau der Schieneninfrastruktur gibt es das 2016 vom Bundestag beschlossene Ausbaugesetz für die Schiene. Dieses muss nun umgesetzt werden.
Verhandlungsmasse Schienenausbau
Am 13. Dezember 2022 legte die Beschleunigungskommission Schiene ihren Abschlussbericht dem Verkehrsminister vor, der auch sofort medial beteuerte, den Ausbau und die Sanierung des Schienennetzes beschleunigt voranzutreiben. Eine „Erste Hilfe für die Schiene“ solle es geben.
Inzwischen hat Verkehrsminister Wissing den Ausbau der Schiene, der bereits beschlossen ist, an den umstrittenen Straßen- und Autobahnneubau gekoppelt. Er nimmt sozusagen die Schiene in Geiselhaft, um den Straßen- und Autobahnneubau zu erzwingen.
DIE GÜTERBAHNEN fordern daher: „Eisenbahn aus der Geiselhaft entlassen!“, und folglich eine Trennung der Debatte in der Kabinettsklausur am Wochenende über den Schienenausbau, der bereits kabinettsreif vorliegt, und den noch zu beschließenden Straßenneubau.
Dazu der Vorstandsvorsitzende der GÜTERBAHNEN, Ludolf Kerkeling: „Den Schienenausbau zu beschleunigen, ist zwischen allen Parteien unstrittig und eine der wichtigsten Klimaschutzmaßnahmen vor allem im Güterverkehr. Beim Straßenneubau geht es viel grundlegender um das Ob und das Warum – und noch lange nicht um das Wie oder das Wieviel. Der Kanzler muss jetzt entscheidungsreife und nur andiskutierte Themen entwirren und den Weg für den Schienenausbau freimachen.“
Dem kann man sich nur anschließen, wenn „technologieoffen“ im Verkehrssektor kein Euphemismus für „Straße und Auto“ sein soll. Es bleibt zu hoffen, dass Herr Wissing es mit der Verkehrswende doch noch ernst meint.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
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Sehr gut und wahr beschrieben. Ich habe zu Beginn der 80iger JAhre Speditionskaufmann gelernt und bis zur Rente letzten Monat in Transportintensiven Branchen gearbeitet, Habe mir also ein Leben land ein Bild machen können. Die Entwicklung des LKW-Verkehrs ist auch der Tatsache geschukdet, dass Unternehmen working capital minimieren, und Führungskräfte u.a. danach ihre Tandieme bekommen. Heißt zu deutsch: Lagerbestände werden minimiert…alle leben von der HAnd in den Mund…was nur über LKW zu realisieren ist. Dieser Wahnsinssansatz muss weg !!!!