Noch immer ist Sachsen ein Niedriglohnland, in dem ein Großteil der Beschäftigten mit Löhnen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt oder Tarif nach Hause geht. Jahrelang war der deutsche Osten Testfeld für alle möglichen Beschäftigungsmodelle, mit denen die Lohnkosten gedrückt werden konnten. Und eines dieser beliebten Mittel ist auch die Befristung des Arbeitsvertrages. Jeder Job wird damit zur Zitterpartie,
Infolge der Corona-Pandemie tragen Beschäftigte, die in Leipzig einen befristeten Arbeitsvertrag haben, ein besonders hohes Risiko, ihre Stelle zu verlieren. Davor warnt die IG BAU. Im vergangenen Jahr hatten 50 Prozent aller Neueinstellungen in der Stadt ein Verfallsdatum.Damit liegt Leipzig weit über dem bundesweiten Befristungsanteil von durchschnittlich 39 Prozent. Von rund 18.000 Arbeitsverträgen, die im zweiten Quartal neu abgeschlossen wurden, waren etwa 9.000 befristet, so die Gewerkschaft unter Verweis auf eine aktuelle Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
„Die Zahlen zeigen, dass auf dem heimischen Arbeitsmarkt etwas aus dem Ruder gelaufen ist. In der Coronakrise können Befristungen für die Betroffenen leicht zur Falle werden, wenn Unternehmen solche Stellen nicht mehr verlängern“, sagt Bernd Günther, Bezirksvorsitzender der IG BAU Nord-West-Sachsen.
Nach Beobachtung des Gewerkschafters sind befristete Stellen in Branchen wie der Gebäudereinigung und der Landwirtschaft stark verbreitet. Junge Beschäftigte seien besonders häufig betroffen. Hier ist sogar deutschlandweit jeder zweite Arbeitsvertrag befristet.
„Wer als Berufseinsteiger eine Wohnung finden oder einen Kredit aufnehmen will, der hat mit einem befristeten Vertrag schlechte Karten. Wegen der Unsicherheit muss manchmal sogar der Wunsch nach eigenen Kindern vertagt werden“, kritisiert Günther. Die IG BAU fordert die Bundesregierung deshalb dazu auf, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und Befristungen ohne einen sogenannten Sachgrund einzudämmen. Als Sachgründe gelten etwa eine Schwangerschaftsvertretung oder eine Probezeit.
Ein aktueller Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht vor, dass sachgrundlose Befristungen künftig nur maximal 18 anstatt bisher 24 Monate andauern und in diesem Zeitraum nur noch einmal statt wie bisher dreimal verlängert werden dürfen. In Betrieben mit mehr als 75 Beschäftigten sollen solche Verträge auf höchstens 2,5 Prozent der Belegschaft begrenzt werden.
„Bisher stand die Union bei diesem Vorhaben auf der Bremse. Aber das Gesetz ist überfällig – und es bleiben nur noch wenige Wochen, um es in dieser Legislaturperiode durch den Bundestag zu bringen“, betont Gewerkschafter Günther. Die Pandemie habe gezeigt, dass neben den kaum abgesicherten Minijobs und Leiharbeitsverhältnissen auch Befristungen alles andere als krisenfest seien.
Nach Angaben des WSI hatten im zweiten Quartal vergangenen Jahres in der Altersgruppe bis 25 Jahren bundesweit durchschnittlich knapp 51 Prozent aller neu abgeschlossenen Verträge ein Ablaufdatum (Azubis nicht mitgerechnet). Frauen sind häufiger von Befristungen betroffen als Männer, auch ein Migrationshintergrund wirkt sich negativ aus, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Im vergangenen Jahr wurden befristete Verträge laut IAB seltener verlängert, die Personalabgänge nach Befristungsende stiegen an und die Zahl der Übernahmen in unbefristete Beschäftigung sank deutlich.
Mit einem Anteil von 49,5 Prozent befristeter Arbeitsverträge fällt Leipzig auch innerhalb Sachsens aus dem Rahmen. In Dresden etwa sind nur 40,6 Prozent aller Neuverträge befristet, in Chemnitz 32,3. In den angrenzenden Landkreisen Nordsachsen und Leipzig ist sogar nur jeder vierte neue Arbeitsvertrag befristet.
Das kann auch am Branchenmix liegen und dem Anteil der Dienstleistungsjobs, die den Leipziger Arbeitsmarkt besonders prägen.
So werden in der deutschlandweiten Statistik sogar neue Verträge im Bereich „Erziehung und Unterricht“ in 70 Prozent der Fälle befristet, im Bereich „Information und Kommunikation“ (zu dem auch die Callcenter gehören) sind es 68 Prozent, aber selbst im Bereich „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung“ über 47 Prozent. Das heißt: Der Staat als Arbeitgeber trägt in erheblichem Ausmaß dazu bei, dass gerade für Berufsanfänger der Start ins Berufsleben mit einer jahrelangen Unsicherheit beginnt.
Wobei die hier verlinkte Grafik auch zeigt, dass es da von 2019 zu 2020 einen auffälligen Sprung gab. 2019 waren auch im Westen Deutschlands die Zahlen für befristete Neueinstellungen wesentlich höher. Da fiel Sachsen eher dadurch auf, dass hier die Zahl der Befristungen besonders gering war. Logisch: Sachsen hat schon seit Jahren einen enormen Nachwuchsmangel. Viele Unternehmen sichern sich den Nachwuchs auch dadurch, dass sie auch auf Befristungen und Probejahre verzichten und die jungen Leute dauerhaft binden.
Der Rückgang der Befristungen in Westdeutschland erzählt eher davon, dass im Corona-Jahr weniger Neueinstellungen vorgenommen wurden, also auch deutlich weniger befristetes Personal eingestellt wurde, Stichwort: Gastronomie und Hotellerie.
Im Grund erzählt die hohe Zahl von Befristungen in Leipzig noch davon, dass einige Branchen meinen, aus dem Vollen schöpfen zu können und auch dann Arbeitskräfte zu bekommen, wenn es in den ländlichen Räumen schon enger geworden ist. Aber die Zukunft dürfte eher aussehen wie in Sachsens Landkreisen: Wer Personal binden möchte, gibt ihm unbefristete Verträge. Die ganzen „kostensparenden“ Beschäftigungsmodelle sind so nicht zukunftsfähig.
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