Nein, die sächsischen Statistiker staunten am 24. September leider nicht, als sie vermeldeten: „Sächsische Wirtschaftsentwicklung stagnierte im 1. Halbjahr 2019“. Auch sie sind auf BIP-Wachstum und Exportquote fixiert, genauso wie die großen Wirtschaftsinstitute und die sächsische Staatsregierung. Logisch, dass man dann völlig übersieht, wie sich auch die Wirtschaftswelt ändert. Darauf machte am Mittwoch, 2. Oktober, sogar das IWH in Halle aufmerksam.

Dabei hätten es Sachsens Statistiker auch sehen können, wenn sie sich ihr Zahlenwerk genauer angeschaut hätten und nicht wieder die übliche sächsische Haltung eingenommen hätten, die den Freistaat seit 29 Jahren als ewigen Primus im Osten verkauft und dabei auf sichtlich alte Technologien setzt wie z. B. die Kohleverstromung. Und was dürfen Statistiker sehen, wenn selbst die Spitzenpolitiker in Sachsen immer nur Lobbyarbeit für Kohle und immer neue Exportverträge machen?

Sie sehen ein leeres Glas: eine scheinbar stagnierende Wirtschaft. Obwohl Sachsen nach den aktuellen Preisen sogar ein Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent hat. Aber dagegen wird ja dann die Inflation bei Waren und Gütern gerechnet, sodass die Statistiker dann auf eine glatte Null kommen: kein Zuwachs. Die Statistiker in Kamenz gehen sogar noch weiter: „kein Wirtschaftswachstum“.

Was Quatsch ist.

Denn sie weisen überhaupt keine Wirtschaftsentwicklungen aus, sondern nur das aufsummierte Bruttoinlandsprodukt (BIP). Und das trügt natürlich. Denn wenn ein in der Vergangenheit immer export- und umsatzstarker Wirtschaftszweig schwächelt – wie derzeit der Automobilbau – dann hat das aufgrund der großen Umsätze sofort starke Auswirkungen auf das BIP. In diesem Fall eine Dämpfung.

Das bedeutet aber nicht, dass andere Branchen, in denen nicht so viel Umsatz je Produkt und Arbeitsstunde registriert wird, nicht wachsen.

Und sie wachsen. Regelmäßig kann man über wachsende Beschäftigungs- und Umsatzzahlen in fast allen Dienstleistungsbereichen des Freistaats berichten.

Aber die meisten Wirtschaftspolitiker mögen diese Branchen nicht, weil sie nicht so vorzeigbare Produkte wie schicke Autos herstellen. Und sie halten die Dienstleistungsbereiche für „zu teuer“, weil das Geld nun einmal zuerst in Löhne und Gehälter fließt. In den Köpfen dieser Politiker ist das alles nur eine Belastung des Staatssäckels, kein echter Wirtschaftskreislauf. Selbst dann nicht, wenn sie zum Arzt müssen oder ihre Kinder in die Schule schicken.

Das Produkt Dienstleistung kann man so schlecht auf tollen Messen zeigen. Aber es ist der eigentliche Kitt, der unsere Gesellschaft am Laufen hält.

Während die hochtechnisierten Industriebetriebe immer weiter rationalisieren und computerisieren, sind es die Dienstleistungsbereiche, die immer neue Arbeitsplätze schaffen. Und davon profitiert der Osten. Das steckte in der Mitteilung des sächsischen Statistikamtes im Kleingedruckten: Die westlichen Bundesländer wiesen ein BIP-Wachstum um 2,3 Prozent auf, preisbereinigt 0,4 Prozent. Der Osten aber (immer mit Berlin!) kam auf einen Zuwachs von 3,8 Prozent, preisbereinigt 0,8 Prozent.

Mecklenburg-Vorpommern kam preisbereinigt sogar auf 1,5 Prozent, Berlin sogar auf 1,9 Prozent. Grund dafür: Das Wachstum der Dienstleistungsbranchen. Auch die anderen Ostländer hatten alle ein positives BIP-Wachstum. Nur Sachsen nicht.

Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose konstatiert in ihrem Herbstgutachten 2019, dass sich die Konjunktur in Deutschland im laufenden Jahr weiter abgekühlt hat. Maßgeblich für die konjunkturelle Schwäche ist die Rezession in der Industrie, betont das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. Von dieser ist auch die Wirtschaft in Ostdeutschland betroffen.

Das zeigen Monatsdaten für die Warenausfuhren auf Länderebene und die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands im ersten Quartal. Allerdings hat das ostdeutsche Verarbeitende Gewerbe mit 16 Prozent einen geringeren Anteil an der Wertschöpfung als in Gesamtdeutschland (23 Prozent), und die zu einem großen Teil auf Dienstleistungen ausgerichtete Binnennachfrage spielt eine wichtigere Rolle. Diese aber dürfte weiter robust bleiben, auch weil gerade in Ostdeutschland die verfügbaren Einkommen zuletzt deutlich stärker expandiert haben als im Westen: Im Jahr 2018 lagen sie im Osten um 9,8 Prozent über ihrem Niveau im Jahr 2014, im Westen um 7,2 Prozent.

Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), erklärte dazu: „Ein Grund dafür ist die bislang besonders günstige Arbeitsmarktentwicklung, zudem steigen die Renten im Osten rascher als im Westen.“

All das erkläre, warum die Wirtschaftsleistung in Ostdeutschland im ersten Halbjahr stärker expandiert hat als in Westdeutschland: Gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 lag sie nach Angaben des Arbeitskreises „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder“ um 0,8 Prozent über dem Niveau des Vorjahreszeitraums, im Westen nur um 0,4 Prozent. Den Unterschied machte dabei die mit 1,9 Prozent recht kräftige Expansion in der Dienstleistungsmetropole Berlin aus. Im Gesamtjahr 2019 dürfte die Wirtschaftsleistung Ostdeutschlands mit 1 Prozent deutlich stärker als in Westdeutschland zulegen. Im Jahr 2020 wird der Zuwachs mit 1,3 Prozent wohl nur noch leicht über dem westdeutschen liegen, so das IWH.

Sachsen fällt also seine starke Abhängigkeit vom Automobilbau jetzt auf die Füße. Und es wird natürlich von den internationalen Krisen stärker gebeutelt als die anderen östlichen Bundesländer, weil mit 22 Prozent der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung natürlich ähnlich hoch ist wie im Westen. Und damit auch die Abhängigkeit von den Weltmärkten.

21.600 neue Arbeitsplätze, 7.000 davon allein in Leipzig

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