„Zum Ausbildungsbeginn im September hatten 3.450 Jugendliche noch keinen festen Ausbildungsplatz. Gleichzeitig waren noch 6.200 Lehrstellen unbesetzt“, meldete die sächsische Arbeitsagentur am 13. September. Das klingt viel. Und alarmiert zeigte sich am Samstag, 14. September, auch Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag für Mittelstand, Handwerk und Tourismus.
„Alles bleibt, wie es ist: Statt einem soliden Agieren wird, wenn überhaupt, nur reagiert. Es ergibt sich kein Vorteil aus positiven Trends, da Lehren immer erst folgen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Ich freue mich, dass Berufsberater künftig deutlich häufiger direkt in den Schulen beraten. Und laut Regionaldirektionschef Hansen ab sofort stärker dort, wo junge Menschen sind, damit es kürzere Wege für die Schülerinnen und Schüler und damit einen direkten Draht zur Berufsberatung gibt. Vielleicht entfaltet sich die Wirkung ja dann bis zum Beginn des nächsten Lehrjahres“, beschreibt die Landtagsabgeordnete das Dilemma aus ihrer Sicht.
„Dennoch bleibt wohl die Hälfte aller freien Lehrstellen unbesetzt. Gerade Klein- und Kleinstunternehmen stellt das vor gewaltige Probleme, da sich die besetzten Lehrstellen augenscheinlich in den Großbetrieben befinden, die den Lehrlingen ein besseres Angebot machen können. Darüber hinaus sorgen wohl schlechtes Betriebsklima, Konflikte mit dem Ausbilder, ausbildungsfremde Tätigkeiten oder zu lange Wege zum Unternehmen dafür, dass ein Viertel der Auszubildenden die Ausbildung vorzeitig abbricht.“
Im Grunde kritisiert sie eine Staatsregierung, der so partout nichts einfallen will, um die demografischen Verschiebungen im Freistaat irgendwie aufzufangen.
Luise Neuhaus-Wartenberg: „Der demographische Wandel, über den wir seit Jahren reden, schlägt hier nun voll zu. Ohne geeignete Maßnahmen werden wir dem nichts entgegenzusetzen haben. Wir brauchen dringend einen funktionierenden kostenlosen ÖPNV, lebenswerte Rahmenbedingungen und gute Infrastruktur vor allem endlich auch in den ländlichen Regionen sowie eine attraktive Entlohnung. Was nützt uns eine florierende Wirtschaft, wenn junge Leute nichts davon haben und nichts draus machen können?“
Warum es eine derartige Schieflage gibt, hat mehrere Gründe. Einen benannte auch die Landesarbeitsagentur: Die jungen Leute fixieren sich in ihren Bewerbungen auf zehn klassische Berufe. Was wohl auch damit zu tun hat, dass die Berufsberatung in den Schulen eher mau ist.
„Damit sich künftig die jungen Menschen für passende Berufe mit guten Chancen entscheiden, bieten die Berufsberater eine frühzeitige Berufsorientierung. So startet die berufliche Beratung beim geplanten Schulabgang nach der zehnten Klasse bereits ab der Klassenstufe 7. An Gymnasien sind die Berufsberater ab der Klasse 9 unterwegs“, kündigte die Arbeitsagentur an.
„Wir wollen junge Menschen noch intensiver unterstützen und setzen deswegen früher an. Das schafft Zeit, um sich mit den Wunschberufen näher zu befassen, Alternativen zu finden und sich dann für den Beruf zu entscheiden“, sagte Hansen. Ziel ist es, flächendeckend an allen Schulen frühzeitig und wöchentlich zu beraten.
Aber es gibt noch einen anderen Grund: Gerade in und um Leipzig, wo in den letzten Jahren auch viele neue Unternehmen Fuß fassten, wächst das Lehrstellenangebot. Darauf wies die IHK zu Leipzig am 15. August hin.
Zum Start des neuen Ausbildungsjahres am 1. August gab es im IHK-Bezirk Leipzig (Stadt Leipzig sowie Landkreise Nordsachsen und Leipzig) insgesamt 1.752 aktive Ausbildungsunternehmen, drei Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse über alle Lehrjahre stieg um fünf Prozent auf insgesamt 7.181. Für den Ausbildungsstart 2019 konnten 2.383 neue Ausbildungsverhältnisse registriert werden, ein Plus von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Einen besonders großen Zuwachs gibt es bei den erstmals ausbildenden Unternehmen: 163 neue Ausbildungsunternehmen konnten zum Ausbildungsbeginn 2019 gewonnen werden, 2018 waren es zum gleichen Zeitpunkt 114 neue Ausbildungsbetriebe.
Aber viele Unternehmen können die Ausbildungsplätze nicht besetzen: So kann jedes dritte Unternehmen nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze mit geeigneten Bewerbern besetzen, wie aus einer aktuellen Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig unter Ausbildungsbetrieben der Region Leipzig hervorgeht. In 50 Prozent der Fälle lagen den Unternehmen für die angebotenen Lehrstellen keine geeigneten Bewerbungen vor, in 41 Prozent gingen sogar überhaupt keine Bewerbungen auf die Stellen ein.
„Im zweiten Jahr in Folge verzeichnen wir zum Start des Ausbildungsjahres mehr Ausbildungsverträge als im Vorjahr. Jedes Jahr gewinnen wir eine deutliche Zahl neuer Ausbildungsbetriebe hinzu. Dieser positive Trend spiegelt das große Engagement unserer Mitgliedsbetriebe für die berufliche Ausbildung wider“, sagte bei der Gelegenheit Mario Bauer, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig.
„Die Berufsausbildung hat für die Fachkräftesicherung in den Unternehmen der regionalen Wirtschaft allergrößten Stellenwert. Denn die Azubis von heute sind die Fachkräfte von morgen. Ziel muss es deshalb sein, dass die Betriebe ihre offenen Lehrstellen auch mit geeigneten Nachwuchskräften besetzen können. Alle beteiligten Akteure müssen deshalb noch stärker für die Berufsausbildung als attraktiven Einstieg in das Berufsleben werben. Eine tragende Rolle kommt dabei der Berufsorientierung zu, die frühzeitig beginnen, noch breiter aufgestellt, besser koordiniert und weiter intensiviert werden muss: an den Oberschulen wie auch an den Gymnasien.“
Die Ausbildungsbetriebe in der Region Leipzig reagieren auf das verringerte Bewerberpotenzial mit unterschiedlichen Strategien.
Laut IHK-Umfrage sucht gut jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) die Ansprache neuer Zielgruppen, insbesondere Studienabbrecher. Für 46 Prozent hat sich das Angebot von Praktika bewährt. Rund 43 Prozent der Betriebe setzen auf ein verbessertes Ausbildungsmarketing und jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) wirbt mit finanziellen bzw. materiellen Anreizen um Auszubildende. Etwa 20 Prozent kooperieren bei der Azubigewinnung mit Schulen. Die Integration von Geflüchteten in Ausbildung ziehen ebenfalls rund 20 Prozent der Betriebe in Betracht.
Aber dann ist da noch ein Problem, das die IHK benennt. Bei der Ausbildungsreife heutiger Schulabgänger stellen 93 Prozent der befragten Unternehmen Defizite fest: allen voran bei der Belastbarkeit (64 Prozent), bei Leistungsbereitschaft und Motivation (61 Prozent) sowie beim mündlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögen (55 Prozent). Sehr gut schneiden die jungen Auszubildenden bei der Teamfähigkeit ab: Hier sind 88 Prozent der befragten Unternehmen mit ihren Auszubildenden zufrieden. Immer mehr Betriebe steuern bei der Ausbildungsreife ihrer Azubis nach, indem sie selbst Nachhilfeangebote unterbreiten (33 Prozent) oder ausbildungsbegleitende Hilfen (32 Prozent) nutzen. Grundsätzlich ist der Umfrage zufolge jedes dritte Ausbildungsunternehmen bereit, auch lernschwächere Jugendliche in Ausbildung zu nehmen.
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