Die deutsche Verkehrspolitik war über Jahrzehnte nicht nachhaltig. Groß musste es sein. Schnell musste es sein. Und oft genug hieß die Devise auch: „Koste es, was es wolle.“ Was dann meist mitten im Baugeschehen bedeutet, dass die tatsächlichen Kosten mit immer neuen Nachträgen sichtbar werden. Auch die Autobahn zwischen Chemnitz und Leipzig wurde zu billig gerechnet.

So geht es aus einer Kleinen Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion hervor. Auf rund 1,7 Milliarden summieren sich seit 2009 die Mehrkosten für den Steuerzahler beim Bundesstraßenbau. Allein rund 200 Millionen Euro davon gehen auf drei Abschnitte der Autobahn Chemnitz – Leipzig zurück.

„Das Volumen der Kostensteigerungen bei den 80 Straßenbauprojekten, bei denen der geplante Kostenrahmen gesprengt wurde, entspricht praktisch einem Jahresetat für Neu- und Ausbau von Bundesfernstraßen. Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) hat das Kostenmanagement beim Straßenbau nicht im Griff“, erklärt Stephan Kühn, sächsischer Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion.

Und der Bundesverkehrswegeplan ist ja nun wirklich keine Versammlung billiger Projekte. Die Länder haben dafür Verkehrsprojekte im mehrstelligen Milliardenbereich angemeldet – manche dringend, manche als Versuch, die anschwellenden Verkehrsströme irgendwie in den Griff zu bekommen.

Selten geht es um die Frage, ob es vergleichbare Verkehrsentlastungen auch mit anderen, nicht so aufwendigen Projekten geben könnte.

Sachsen war über Jahre das ostdeutsche Bundesland, das besonders viele Straßenneubauten im Bundesverkehrswegeplan unterzubringen versuchte. Ein Ergebnis davon ist, dass der Freistaat Sachsen in der Liste der kostenmäßig aus dem Ruder gelaufenen Straßenbauvorhaben nun einen Spitzenplatz einnimmt.

Dass es jetzt die wichtige Verkehrsverbindung zwischen Leipzig und Chemnitz besonders betrifft, hat mit der langen Geschichte des Bergbaus im Leipziger Süden zu tun. Denn nicht nur beim Harthkanal oder bei der verockerten Pleiße merkt man, dass die alten Abraumhalden ganz und gar kein zuverlässiger Baugrund sind. Auch beim Bau des nördlichen Abschnitts zwischen Rötha und der A 38 bekamen die Bauleute zu spüren, wie teuer der heikle Grund ein Projekt macht.

Der Abschnitt sollte bei der Baufreigabe 2014 noch 111,8 Millionen Euro kosten. Mittlerweile haben sich die Baukosten auf 224,5 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

„Dass die Trasse hier zu 80 Prozent über die ehemaligen Kippengelände des Tagebaus Espenhain führt, war den Planern vorher klar“, stellt Stephan Kühn fest, was dann in den schönen Geschichten für den spendablen Bürger meist verschwiegen wird. „Zusammen mit den weiteren im Bau befindlichen Abschnitten und der 2013 fertiggestellten Teilstrecke Frohburg – Borna addieren sich die Kostensteigerungen bei der A 72 auf bisher 195,2 Millionen Euro. Was der Bund allein bei diesen drei Autobahnabschnitten an Geld bis heute nachschießen musste, übersteigt die veranschlagten Kosten für die ausstehende Elektrifizierung der Bahnstrecke Leipzig – Chemnitz.“

Und noch immer ist die Elektrifizierung dieser wichtigen Bahnverbindung zwischen Leipzig und Chemnitz nicht als prioritärer Bedarf im Bundesverkehrswegeplan verankert. Womöglich eben auch, weil alte Projekte mit ihren massiven Kostensteigerungen das Geld für neu hinzukommende Projekte schon verschlungen haben.

„Der Bundesrechnungshof hat zuletzt im Frühjahr 2014 das Kostenmanagement beim Bau von Bundesfernstraßen gerügt und konkrete Änderungen angemahnt. Dobrindt hat nichts von den Vorschlägen umgesetzt. Der Bund muss zukünftig in jeder Planungsphase den vollen Zugriff auf kostenrelevante Informationen haben, was heute nicht der Fall ist“, fordert Kühn, der nun aus seiner Bundestagsarbeit eines weiß: „Die Gründe für derartige Kostensteigerungen wiederholen sich von Projekt zu Projekt. Oft untersuchen die Straßenbauverwaltungen der Länder den Baugrund nicht mit der erforderlichen Sorgfalt, so dass der Bund bei der Ausführung des Vorhabens viel Geld nachlegen muss. Mit ‚politischen Preisen‘ wird immer wieder versucht, die Vorhaben in den Bundesverkehrswegeplan zu hieven.“

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