Für Freikäufer Mit einer neuen kleinen Studie versuchte das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in dieser Woche, den wirtschaftlichen Aufholprozess im Osten irgendwie noch einmal in Zahlen zu fassen. Immerhin war in jüngsten Statistiken aufgefallen: „Ostdeutschland hat vom gegenwärtigen Aufschwung in Deutschland bisher besonders deutlich profitiert. In jedem der Aufschwungsjahre 2014 bis 2016 nahm die gesamtwirtschaftliche Produktion schneller zu als in Westdeutschland.“
Auch für das Jahr 2017 prognostiziert das IWH, dass der Zuwachs der Produktion in Ostdeutschland mit 1,8 % etwas höher liegt als in Westdeutschland.
„Freilich ist auch nach mehr als 25 Jahren Deutscher Einheit in jeder der ostdeutschen Regionen die Produktivität immer noch niedriger als in derjenigen westdeutschen Region mit der geringsten Produktivität“, räumt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), ein. „Das gute Abschneiden der ostdeutschen Wirtschaft ist deshalb bemerkenswert, weil sie (mit und ohne Berlin) seit 1996 im Schnitt langsamer als in Deutschland insgesamt gewachsen ist.“
Da hat sich also irgendetwas geändert. Nur was?
Gemessen wurde übrigens das Bruttoinlandsprodukt. Jenes viel diskutierte BIP, das nicht wirklich Produktivität misst, sondern vor allem Umsätze. Und deshalb auch irreführend ist. Zum Beispiel, wenn man erklären will, warum das BIP im Osten ein klein wenig stärker wuchs als im Westen.
Die Erklärung des IWH: Der im Osten zuletzt deutlich höhere Anstieg der gesetzlichen Altersrenten und die auch wegen der Einführung des Mindestlohns höheren Lohnzuwächse im Osten haben den privaten Konsum sicher begünstigt. Auch ist denkbar, dass Ostdeutschland vom gegenwärtigen Aufschwung deshalb besonders profitiert, weil dieser in Gesamtdeutschland vor allem konsumgetrieben ist und in der ostdeutschen Wirtschaft die Konsumgüterbranchen relativ stark vertreten sind.
Aber da haben die Forscher um Holtemöller selbst gemerkt, dass die Begründung nicht stimmen kann. Denn: Insgesamt ist die Konsumgüterproduktion nicht der Haupttreiber des ostdeutschen Aufschwungs.
Was also dann? – Nächster Erklärungsversuch: Der Aufschwung dürfte eher auf Erfolge der ostdeutschen Unternehmen auf überregionalen Märkten zurückgehen, denn das vor allem für den überregionalen Markt produzierende Verarbeitende Gewerbe, und darunter vor allem die Investitionsgüterproduktion, hat in den ostdeutschen Flächenländern stärker expandiert als im Westen.
Der Konsum war es also nicht.
Auffällig ist, dass unter den Erklärungen des IWH die Dienstleistungswelt nicht auftaucht. Was auch mit der Konzentration auf die Bundesländer als Messschablone zu tun hat. Man sieht nur den Durchschnitt, nicht die Entwicklung der Netzknoten, der großen Städte, die das Wirtschaftswachstum im Osten praktisch allein forcieren – Städte wie Berlin, Leipzig, Dresden, Jena.
Alles dienstleistungsgetriebene Städte mit besonders starkem Wachstum in Pflegeberufen und der Informationstechnologie. Jüngst erst am Beispiel Leipzig untersucht.
Das Wesen unseres Wirtschaftens ändert sich immer stärker, wird immer mehr von Digitalisierung getrieben. Selbst die Produkte werden virtuell. Aber diese Veränderung passiert vor allem in den großen (Hochschul-)Städten. Sie wird nicht sichtbar, wenn man die Bundesländer als Maßstab nimmt.
Aber in der Bundesrepublik sind alle Finanzausgleichssysteme auf die Länder zugeschnitten. Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, sind nach wie vor alle ostdeutschen Länder auf Milliardentransfers angewiesen.
Holtemöller und Kollegen halten das für ein dramatisches Problem. In der Meldung des IWH klingt das so: „Das West-Ost-Gefälle in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bleibt aber noch groß. Das zeigt sich, wenn fünf westdeutsche und drei ostdeutsche Regionen nach der dort gemessenen Arbeitsproduktivität verglichen werden: Auch die produktivste ostdeutsche Region Mitte-Ost (Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt) reicht an die westdeutsche Region mit der geringsten Produktivität – die Region Nord-West (Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) – nicht heran. Zwar sind die West-Ost-Unterschiede verglichen mit den frühen 1990er Jahren deutlich geringer geworden, der Aufholprozess ist aber im Vergleich zu den 1990er Jahren sehr langsam.“
Die Vermutung der IWH-Forscher: „Deshalb wird auch, wenn die Reform des Länderfinanzausgleichs im Jahr 2020 in Kraft getreten ist, der größte Teil der Zuweisungen vom Bund in den Osten der Republik fließen. Die Unterstützung finanzschwacher Länder wird in Zukunft vornehmlich die Aufgabe des Bundes sein. Die Bundesländer können mit durchschnittlich rund 4,4 % mehr Einnahmen im Vergleich zum Jahr 2019 rechnen.“
Aber da war ja noch das erst nach genauerem Nachrechnen höchst miserable Verhandlungsergebnis beim künftigen Länderfinanzausgleich, das tatsächlich zum Nachteil der Ostländer ausgefallen ist.
Das IWH: „Weil aber die Bundesergänzungszuweisungen (BEZ) zur Deckung der teilungsbedingten Sonderlasten in den ostdeutschen Ländern wegfallen, haben die fünf ostdeutschen Länder nach Einführung des neuen Systems vergleichsweise geringe Mehreinnahmen von durchschnittlich 3,3 %. Sollte das Zinsniveau bis zum Jahr 2020 wieder deutlich steigen, müssten zwei ostdeutsche Länder, nämlich Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die Mehreinnahmen überwiegend zur Begleichung der gestiegenen Zinslasten verwenden. Wenn man die relativ komplexe Ausgestaltung der neu geschaffenen BEZ genauer betrachtet, dann wird schnell deutlich, dass zukünftig die Länder-Finanz-Beziehungen nicht besser überschaubar sein werden. Zudem haben die umfangreichen Reformen nicht zu einer Verbesserung der Anreizwirkungen im Finanzausgleich geführt.“
Das Letzte klingt wie ein Vorwurf an die nicht so sehr ums Sparen bemühten östlichen Länder. Aber eigentlich geht es nicht nur ums Sparen. Es geht auch ums Investieren. Denn schon jetzt ist sichtbar, dass nur jene Regionen wachsen, in die frühzeitig auch in notwendige Netzstrukturen investiert wurde.
Was nicht bedeutet, dass es genügt. Denn gleichzeitig haben Bund wie Länder die notwendigen Investitionen in Bildungsstrukturen unterlassen. Das aber wird der Haupttreibstoff für „Wachstum“ in den nächsten Jahren. Nur wo die nötige Bildungslandschaft mit den nötigen Forschungsstrukturen angesiedelt ist, werden sich die neuen Produktivitätsinseln verstärken.
Eine Vermutung: Genau diese Inseln sind schön längst der Treiber für das Wirtschaftswachstum im Osten.
Zweite Vermutung: Solange aber die Wirtschaftsforscher glauben, über das allgemeine BIP irgendetwas messen zu können, kommt immer wieder die alte Geschichte vom „Aufholprozess“ heraus und wird sich die Länderpolitik auf die falschen Schwerpunkte konzentrieren. Der Grund: Man hat einfach die falschen Zutaten im Blick, die eine neue, zunehmend digitalisierte Wirtschaft braucht. Die „Breitband“-Diskussion ist dabei nur ein winziger Teilbereich. Die falsche Bildungspolitik wird sich noch viel fataler auswirken.
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