Sachsen bremst sich selber aus. Anders kann man nicht mehr beschreiben, was das Land bei der Entwicklung seiner Wirtschaft derzeit versäumt, verschläft, wegbremst. Denn eigentlich ist es gar keine gute Nachricht, wenn die Landesstatistiker für 2015 melden, das sächsische Wirtschaftswachstum hätte wieder einmal unterm gesamtdeutschen Durchschnitt gelegen.
Dabei sind Sachsens Landesstatistiker ja zahm und versuchen auch gar nicht, alarmistisch zu klingen, wenn sie jetzt erstmals kurz zusammenfassen, was 2015 in der sächsischen Wirtschaft los war: „Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Sachsen stieg 2015 um 1,5 Prozent gegenüber 2014 und um 8,5 Prozent gegenüber 2010. Damit erreichte der Freistaat aktuell ein Wirtschaftswachstum, das nah an das reale Resultat für Deutschland (Zuwachs um 1,7 Prozent) herankam und dem der fünf neuen Länder entsprach. Die alten Länder (ohne Berlin) verzeichneten 2015 einen Anstieg in Höhe des gesamtdeutschen Ergebnisses.“
Denn das alles heißt: Statt endlich Boden gut zu machen und in der Wirtschaftskraft gegenüber dem Westen aufzuholen, bleibt der Osten weiter zurück. Der Norden aber auch gegenüber dem Süden. Mit Ausnahmen. Das sieht man, wenn man genauer hinschaut. Indem Sachsen den vorbildlichen Sparmeister zelebriert, nimmt es der eigenen Landesentwicklung den Schwung, das Land wird auf ein Wachstumstempo niedriger als in Mecklenburg-Vorpommern heruntergedrosselt.
Die Führungsrolle im ostdeutschen Ländersextett hat Sachsen schon vor fünf Jahren abgegeben. Erst an Berlin, wo die zunehmende Konzentration der Dienstleistungsbranche die Entwicklung forciert. Seit zwei Jahren ist auch Brandenburg vorbeigezogen. Berlin und Brandenburg haben 2015 mit preisbereinigten Wachstumsraten von 3,0 bzw. 2,7 im Osten eindeutig die Rolle des Motors übernommen. Noch kräftiger wuchs nur noch Baden-Württemberg mit 3,1 Prozent.
Was ist da los? Warum gerät Sachsen immer mehr ins Hintertreffen?
Die Antwort ist eigentlich: Das Geld fließt nicht mehr. Eine Eichhörnchenpolitik, die die wichtigsten Gegenwarts-Investitionen deshalb unterlässt, weil man die Gelder zur Absicherung von Zukunftsrisiken bunkert, sorgt dafür, dass ganze Branchen ausgebremst werden. Da ist es zwar schön, wenn die Landesstatistiker melden: „Es zeigt sich, dass sich das BIP in Sachsen in diesen fast 25 Jahren mehr als verdreifacht hat.“
Aber das ist Blasmusik von gestern. Tatsächlich stagniert der so wichtige Aufholprozess gegenüber den Westländern seit 15 Jahren. Denn es ist natürlich die eigene Wirtschaftsleistung, die dafür sorgt, dass das Land zunehmend selbstständiger finanziert ist und auf die Solidarbeiträge der reicheren Länder weniger angewiesen ist.
Aber ein Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigem von 55.891 Euro ist dazu zu wenig. Das sind nach wie vor nur 77 Prozent des Niveaus der alten Bundesländer von 72.814 Euro. Was natürlich auch an der Wirtschaftsstruktur in Sachsen liegt.
„Das preisbereinigte Ergebnis in Sachsen wurde 2015 durch überdurchschnittliche Impulse aus dem Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation bestimmt. Innerhalb des real nur verhalten wachsenden Produzierenden Gewerbes stand dem Zuwachs der Bruttowertschöpfung (BWS) im Verarbeitenden Gewerbe um 1,5 Prozent ein Rückgang der BWS im Baugewerbe um 1,9 Prozent gegenüber.“
Aber genau da wird es spannend. Immerhin haben die Mitarbeiter des Statistischen Landesamtes extra noch eine bunte Grafik gemalt, die zeigt, dass die Mischung in Sachsen eigentlich stimmt. Sowohl beim Besatz mit Industrie als auch mit Dienstleistungswirtschaft hat Sachsen so ziemlich genau die prozentuale Verteilung, wie sie auch für die gesamte Bundesrepublik gilt.
Aber in einem kleinen Land wie Sachsen macht es sich auch bemerkbar, wenn einige Wirtschaftsteile ausgebremst werden. Und das passiert ja in Sachsen ganz offiziell. Im Baugewerbe wird es ganz deutlich sichtbar: Hier ist eindeutig mehr möglich. Das gesamte Land im Allgemeinen und die Kommunen im Speziellen stecken in einem gewaltigen Investitionsstau. Es fehlt an Schulen, an Sozialwohnungen, kommunale Straßen und Brücken stecken genauso in der Sanierungsschleife wie die öffentlichen Verkehrssysteme. Doch obwohl die Bestandsaufnahme klar ist, hält sich der Freistaat bei den notwendigen Förderungen zurück.
Aber da die Kommunen selbst schon lange an der Schmerzgrenze sind und viele Projekte nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren können, gehen die Aufträge aus dem öffentlichen Bereich zurück – und die Gesamtbauwirtschaft hat einen BIP-Rückgang von 1,9 Prozent zu verzeichnen. Zumindest unter der Rubrik „preisbereinigt“. Die macht ja sichtbar, ob mit scheinbar steigenden Umsätzen eigentlich tatsächlich mehr gebaut wird. Wird aber nicht. Ohne die Preisbereinigung hat auch die sächsische Bauwirtschaft mehr BIP produziert: 7,1 Milliarden Euro gegenüber 6,8 Milliarden im Vorjahr. Aber da stecken auch die heftigen Preissteigerungen im Bau drin. Es wird nicht mehr gebaut, aber dafür teurer.
Dass gleichzeitig die Land- und Forstwirtschaft heftig unter Druck geraten ist, zeigt die 2015er Zahl nur in Ansätzen: Eine Bruttowertschöpfung von 634 Millionen Euro ist eh nicht so herausragend, ein Rückgang von 3,7 Prozent schon heftig. Aber das passiert nun schon seit Jahren. 2011 lag die Bruttowertschöpfung in dem Bereich noch bei 937 Millionen Euro. Hier wird sichtbar, welch ein knüppelharter Preisverfall bei landwirtschaftlichen Produkten eingetreten ist und wie die Billig-Masche der wenigen verbliebenen Supermarktketten dafür sorgt, dass den Bauern regelrecht die Existenz abgegraben wird.
Aber nicht nur am Bau wird gespart. Das Sparen durchzieht ja den ganzen öffentlichen Sektor. Und ein Wachstum der Bruttowertschöpfung im Bereich „Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit“ von 1,3 Prozent ist eher ein Witz, wenn man bedenkt, dass hier vor allem der Bereich „Gesundheits- und Sozialwesen“ dafür sorgt, dass die Zahl der Arbeitsplätze und die Umsätze steigen. Vor allem der Pflegebereich ist hier der Motor.
Der Staat selbst hat sein Personal geschrumpft und damit auch seinen Anteil am BIP in diesem Bereich.
Da der Bereich „Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit“ aber mit 27,3 Prozent in Sachsen den größten Beitrag zur Bruttowertschöpfung liefert, kann man nur ahnen, um wieviel hier die Entwicklung von Bruttowertschöpfung und BIP gebremst wird.
„Das BIP betrug aktuell knapp 113 Milliarden Euro (in jeweiligen Preisen, 3,7 Prozent mehr als 2014) und wurde in rund 2,9 Milliarden Arbeitsstunden von 2,02 Millionen Erwerbstätigen mit einem Arbeitsplatz im Freistaat erzielt“, stellen die Landesstatistiker noch fest. „Pro Arbeitsstunde ergab sich ein BIP in jeweiligen Preisen von 39,14 Euro – dies entsprach einem realen Anstieg um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr und 8,3 Prozent gegenüber 2010. Das BIP je Erwerbstätigem betrug aktuell 55.891 Euro und damit 1,8 Prozent mehr als 2014 bzw. 6,3 Prozent mehr als 2010.“
Alles in allem war 2015 aber trotz aller Sparerei und Bremserei ein Wachstumsjahr für Sachsen. Die Unkenrufe über einen Einbruch in der Entwicklung haben sich nicht bewahrheitet. Insgesamt wuchs das BIP von 108,6 Milliarden im Vorjahr auf den neuen Rekordwert von 112,7 Milliarden. Erst 2012 hat Sachsen beim BIP ja erstmals die 100-Milliarden-Euro-Grenze überschritten. An Steuereinnahmen dürfte es dem Freistaat also auch in diesem Jahr nicht fehlen. Die Spielräume für die notwendigen Zukunftsinvestitionen und Personaleinstellungen sind da.
Die Auswertung des Statistischen Landesamtes zum BIP 2015.
Die Entwicklung von BIP und Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen.
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