Wäre die derzeit so oft zitierte "Energiewende" eine Energiewende, wie sie mal angedacht war - es bräuchte kein Ostdeutsches Energieforum. Und es bräuchte auch keine Demonstration vor den Türen des Congress Center Leipzig (CCL), weil die draußen überzeugt sind, dass die drinnen zurück in die Vergangenheit wollen. Das Ostdeutsche Energieforum findet am 29. und 30. April zum zweiten Mal im CCL statt.

Es sind reihenweise Politiker da, Kammerpräsidenten und verantwortliche Manager, Wissenschaftler und Ingenieure. Ins Leben gerufen wurde das Forum, weil spätestens seit Fukushima 2011 sichtbar wird, dass die einmal komplex gedachte Energiewende – weg von Kohle und Atomstrom – nur noch ein Skelett ihrer selbst ist. Stadtwerke müssen die Preise für Strom erhöhen, obwohl der Strom an den Börsen so billig gehandelt wird wie noch nie. An Sonnentagen bekommt man sogar noch Geld dafür, wenn man den überschüssigen Strom nimmt. Spätestens, wenn man ihn in die Nachbarländer verkauft.

Trotzdem zahlen die Stromkunden immer mehr dafür. Und das nicht nur für die EEG-Umlage, auch wenn der Zeitpunkt, dieses Steuerungsinstrument der Entwicklung anzupassen, verpasst wurde. Auch deshalb verpasst wurde, weil sich Nachfolgeregierungen der einstigen rot-grünen Erfinder des Ganzen, nicht so recht zuständig fühlten. Warum gegensteuern, wenn das Ding sowieso eine Erfindung der Grünen ist?

Aber was mit der “Energiewende” begann, ist eigentlich eine energetische Revolution, wie sie auch mit dem Bau von Atomkraftwerken in den 1960er Jahren nicht vergleichbar ist. Auch wenn das damals wie ein Riesensprung in die Zukunft aussah (auch wenn die simpelsten Probleme wie die “Entsorgung” des nuklearen Abfalls bis heute nicht geklärt sind). Doch was mit der massiven Förderung für den Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen begann, ist ein ganz anderes Kaliber. Es wechselt nicht nur die Energiequelle. Wenn es nur das wäre, das billige Wort “Wende” wäre wirklich genug.

Aber es ist auch ein kompletter Qualitätssprung – weg von einer seit 150 Jahren dominierenden Zentralversorgung mit Großkraftwerken – egal, wie sie betrieben werden, ob mit Kohle, Erdöl, Erdgas oder Uran – hin zu dezentralen Erzeugeranlagen. Oder um mal Wikipedia zu zitieren, das die Sache so auf den Punkt bringt: “‘Energiewende’ benennt eine deutliche Veränderung der Energiepolitik: Durch einen Wechsel von einer nachfrageorientierten zu einer angebotsorientierten Energiepolitik und einen Übergang von zentralistischer zu dezentraler Energieerzeugung (z. B. der gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung (Kraft-Wärme-Kopplung) in sehr kleinen Blockheizkraftwerken bis hin zu größeren Heizkraftwerken) soll es anstelle von Überproduktion und vermeidbarem Energiekonsum zu Energiesparmaßnahmen und höherer Effizienz kommen. Diese anfangs stark bekämpften Ansichten des Öko-Instituts sind nach und nach energiepolitisches Allgemeingut geworden.”

Die Grundskizzen hat das in Freiburg ansässige Öko-Institut Anfang der 1980er Jahre vorgelegt. An diesen Grundprämissen hat sich nichts geändert. Es geht nicht nur um Umweltschutz, es geht auch um Macht: Wer bestimmt die Energiepreise? Und wer bezahlt? Wer besitzt und betreibt die Netze? – Wenn eine Bundesregierung die großen Stromabnehmer von Teilen der EEG-Umlage und Netzentgelte “befreit”, verschwinden die Kosten ja nicht. Sie werden umgelegt und landen zwangsläufig bei den Privatkunden und den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ein gemeinsames Netz, in dem die Kosten auf alle verteilt werden, bedeutet auch immer: Mitgehangen, mitgefangen. – Und Stadtwerke wie die Leipziger fühlen sich zum Einkassierer für die Bundesregierung verdammt, ohne gegensteuern zu können.

“Liegt die Zukunft in der dezentralen Energieversorgung?” heißt ein Forum am 30. April während der Energietage. Das Impulsreferat hält Thomas Prauße, Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke. Auch die enviaM diskutiert hier mit, die in Westsachsen einige Verteilernetze betreibt, und die VNG, die nun schon seit ein paar Jahren das Thema Speicherung vor sich her trägt und nicht umsetzen kann, weil die politischen Instanzen immer noch mauern und tänzeln und zwischen den Futterkrippen hin und her laufen, als wüssten sie nicht, wohin sie wollen. Wissen die meisten Politiker, die derzeit das Sagen haben, auch nicht. Denn Fakt ist: Es gibt nur ein Entweder-Oder. Es gibt kein Dazwischen.

Die dezentralen Erzeugeranlagen der erneuerbaren Energien brauchen ein dezentraler organisiertes Netz, das “überschüssige” Strommengen problemlos auch in andere Teile der Republik (oder Europas) weiterleitet. Das fehlt bis heute, weil wesentliche Übertragungstrassen fehlen. Und das liegt nicht an den “wütenden Bürgern”, wie mancher entscheidungsschwache Politiker gern behauptet, sondern an fehlender Ambition, die Bürger in Entscheidungsprozesse einzubeziehen – und zwar frühzeitig und transparent. Deswegen wird auch Uwe Hitschfeld, der zum Thema Bürgerbeteiligung nun mehrere Erhebungen vorgestellt hat, zum Energieforum reden.

Aber es fehlt auch an Speicherkapazitäten, wo man “überschüssigen” Sonnen- oder Windstrom zwischenspeichern kann, wenn man zu viel davon hat. Und es fehlt an den so genannten “Übergangstechnologien” – also herkömmlichen Kraftwerken, die dann, wenn die neuen Energieanlagen nicht genug Strom produzieren, problemlos hochgefahren werden können. Ein Dauerthema von Thomas Prauße. Denn nicht die schwerfälligen Kohlekraftwerke sind diese Übergangstechnologie, auch wenn Tuomo J. Hatakka, Vorsitzender der Geschäftsführung der Vattenfall GmbH, in einem anderen Forum (“Rohstoffe für eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung – Wirtschaftlichkeit der Kraftwerke”) vielleicht etwas anderes erzählen wird.Vattenfall betreibt in Sachsen das Kraftwerk Boxberg und einen Block des Kraftwerks Lippendorf. Vattenfall erzählt auch gern von der großen Effizienzsteigerung bei modernen Kohlekraftwerken gegenüber den Kraftwerksgenerationen um 1990 oder früher. Aber über einen Wirkungsgrad von 45 Prozent kommen Braunkohlekraftwerke nicht hinaus. Und sie haben ein entscheidendes Problem: Sie lassen sich nicht einfach an- und ausschalten, auch wenn die Mibrag davon träumt, ein solches regelbares Kohlekraftwerk im Leipziger Südraum zu bauen. Alle bisherigen Kohlekraftwerke müssen im Prinzip ständig Energie erzeugen. Man kann ihre Leistung drosseln. In der Regel auf etwa ein Drittel oder ein Viertel, wie es auch im Kraftwerk Lippendorf im Sommer regelmäßig geschieht.

Dann produzieren sie aber weiter Strom, auch wenn die Netze mit Strom aus Solar- und Windkraftanlagen schon “voll” sind. Das sind dann die Überkapazitäten, die den Strompreis an der Börse zum Absturz bringen. Und die dann in der Regel zu günstigen Preisen exportiert werden. Auch Sachsen produziert deutlich mehr Strom, als es verbraucht. Auch der wird exportiert. Und da man die Kohlekraftwerke nicht einfach abstellen kann, werden jene Anlagen abgestellt, die man abstellen kann. Das sind in diesem Fall nicht die Solaranlagen, weil der Staat den Besitzern dieser Anlagen die Stromabnahme garantiert. Sondern es sind die Gaskraftwerke und es sind die Windparks.

Die Verantwortlichen wissen, dass beides zugleich nicht geht, dass zentrale Großkraftwerke, die sich nicht “ausschalten” lassen, Gift sind für eine dezentrale alternative Energieversorgung.

Kann man natürlich fragen: Warum werden dann immer noch Kohlekraftwerke in Deutschland geplant und gebaut? – Die Antwort ist simpel und wurde in einer kleinen Serie in der L-IZ auch schon thematisiert: Die eigentlichen Subventionen für Kohlestrom zahlt der Bürger (anders als im Fall der EEG-Umlage) nicht mit seiner Stromrechnung, sondern mit seiner Steuer und seinen Krankenkassenbeiträgen. Sie sind versteckt. Und was man nicht sieht, ärgert einen zwar – man weiß nur nicht, woher der Schmerz kommt. Und weil die Subventionen nicht mit dem Kohlestrompreis bezahlt werden, scheint Kohlestrom geradezu unvergleichlich billig. Auch weil ein anderes notwendiges Steuerungsinstrument nicht funktioniert: der Emissionsrechtehandel.

Denn egal wie gut die Filter von Kohlekraftwerken sind, sie bleiben die größten Emittenten von Kohlendioxid und anderen Luftschadstoffen. Mit Emissionsrechtehandel, den John Harkness Dales sogar 1968 schon als mögliches Steuerungsinstrument für eine klimafreundlichere Energiepolitik entwickelt hatte, sollte einerseits ein Markt für diese CO2-Emissionsrechte geschaffen werden – und zum anderen mit einer permanenten Verknappung dieser Zertifikate auch der Betrieb von Kohlekraftwerken verteuert werden. Die EU hat den Emissionsrechtehandel 2005 eingeführt und seitdem haben sich selbst “alte” Energieunternehmen mit den Zertifikaten goldene Nasen verdient, weil schon die Einstiegsmenge dieser Zertifikate üppig bemessen war. In der Wirtschaftskrise ab 2007 gingen die Emissionen in der EU so weit zurück, dass die Zertifikate alles mögliche werden – nur nicht teurer.

Am 16. April stimmte das EU-Parlament gegen eine Verknappung der verfügbaren Zertifikate. Ein Vorgang, den selbst die “Süddeutsche” mit den knappen Worten betitelte: “Desaster für den Klimaschutz in Europa”. – Aber nicht nur für Europa. Denn damit werden auch alle Unternehmen abgestraft, die seither auch nur vorsichtig den Weg hin zu alternativen Energieanlagen gegangen sind. Die Bürger sowieso.

Es betrifft auch jene großen Energiekonzerne, die eigentlich zum Umsteuern in den Startlöchern standen. Das sprach Eon-Chef Johannes Teyssen am Wochenende deutlich an. Eon hat schon einige Milliarden Euro in alternative Stromanlagen investiert. Doch Teyssen fürchtet nach diesem Veto im EU-Parlament wohl mit Recht “jahrelange Verzögerungen beim grünen Umbau von Europas Wirtschaft”, wie die “Süddeutsche” berichtet. “Ringe sich Europa nicht doch noch zu einer Reform durch, blieben die Verschmutzungsrechte spottbillig. Die Folge: Investitionen in sauberes Wirtschaften rentierten sich nicht mehr.”

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Der Zustand, der jetzt schon die ostdeutsche Wirtschaft quält, bleibt noch auf Jahre erhalten. Die Bürger zahlen für eine “Energiewende”, die auf halbem Wege ausgebremst wurde. Und tatsächlich zahlen sie doppelt: für die neue Energiewirtschaft, die noch auf Jahre ein ausgebremster Torso bleiben wird, und für die alten, hochsubventionierten konventionellen Kraftwerke. In Sachen Zertifikatehandel wurde Teyssen sehr deutlich: “Geld fließt wieder in eine Wirtschaft, die eigentlich bald Geschichte sein sollte. Der europäische Emissionshandel ist ein totkranker Patient. Entweder therapieren wir ihn jetzt schnell, oder er stirbt. Und das hätte nicht nur für den Klimaschutz kaum absehbare negative Folgen.” So zitiert ihn die “Süddeutsche”.

Und genau das sind die Themen, die mittlerweile ostdeutsche Unternehmer zu Recht unruhig machen und zum Energieforum diskutiert werden sollen. Und die Rolle der mitteldeutschen Braunkohleländer, die das Forum ideell unterstützen, darf dabei natürlich nicht ausgeklammert werden.

www.ostdeutsches-energieforum.de

Die “Süddeutsche” zum Veto des EU-Parlaments: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/emissionshandel-desaster-fuer-den-klimaschutz-in-europa-1.1650748

Die Warnung von Eon-Chef Johannes Teyssen in der “Süddeutschen”:
www.sueddeutsche.de/wirtschaft/scheitern-des-emissionshandels-eon-chef-warnt-vor-kollaps-der-klimapolitik-1.1660183

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