Sachsen mangelt es zwanzig Jahre nach der Wende noch immer an einer selbsttragenden Entwicklung. Die wirtschaftliche Pro-Kopf-Leistung liegt um ein Viertel hinter dem Niveau der westdeutschen Bundesländer. Weil das Land mehr verbraucht als es selbst erwirtschaftet, ist es auf Transferzahlungen aus dem Solidarpakt und aus der EU angewiesen. Ob und wie es gelingt, die eigenen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Potenziale zu stärken und für die Entwicklung des gesamten Landes nutzbar zu machen - davon hängt die Zukunft Sachsens ab.

Dabei erweist sich die die kleinteilige Wirtschaftsstruktur als eine strukturelle Barriere auf dem Weg zu einer selbsttragenden Entwicklung. Sachsens Wirtschaft besteht überwiegend aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, den sog. KMU. Die wenigen Großunternehmen, die sich im Freistaat angesiedelt haben, fungieren innerhalb von Konzernverbünden, deren Zentrale außerhalb Sachsens liegt, als verlängerte Werkbänke und erfüllen eine nachgelagerte Wertschöpfungsfunktionen. Einigkeit besteht in Kreisen der Wirtschaft und der Landesregierung darüber, dass die Zeit der Großansiedlungen vorbei sei. Sachsen, heißt es unisono, müsse sich auf seine Tradition als Ingenieurschmiede besinnen und auf Innovation setzen. Marktgetriebene und markttreibende Innovationen gelten als zentrale Quellen der wirtschaftlichen Entwicklung und des sektoralen Strukturwandels.

Das bedeutet vor allem, Forschung und Entwicklung sowie den Wissenstransfer aus Hochschule und Forschung in die Unternehmen voranzutreiben. Denn im Unterschied zu großen Unternehmen in ökonomisch starken Ländern wie Baden-Württemberg oder Bayern, die ihre eigene Forschung und Entwicklung (FuE) unterhalten, sind die sächsischen KMU kaum in der Lage, Kooperationen mit Partnern aus Wissenschaft und Forschung anbahnen und professionell betreiben zu können. Ihnen fehlen schlicht die finanziellen und personellen Kapazitäten für solche Vorhaben. Von den ca. 170.000 Unternehmen haben lediglich 2.837 mehr als zwanzig Mitarbeiter, von denen wiederum 438 kontinuierlich Forschung und Entwicklung betreiben. Damit binden sie 30 % des FuE-Personals, während es die Großunternehmen bundesweit 76 % des FuE-Personals bringen.

Folglich sind die KMU, um innovativ sein und wachsen zu können, auf die Zusammenarbeit mit Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen angewiesen. Es ist die Wissenschaft, die den KMU ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern vermag. Wegen des geringen Anteils privater Forschungs- und Entwicklungsausgaben fällt der Landespolitik die Aufgabe zu, Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern. Dafür sucht sie die erforderlichen Strukturen zu schaffen und stellt die Mittel bereit für Verbundprojekte von Unternehmen und Einrichtungen der Wissenschaft und außeruniversitären Forschung. Im Jahr 2010 lagen die FuE-Ausgaben in Sachsen bei 2,88 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit leicht über dem bundesweiten Durchschnittswert von 2,80 Prozent. Das sind rund 2,5 Milliarden Euro, die das Land für die Durchführung von FuE-Vorhaben in der Wirtschaft, in Hochschulen und in der außeruniversitären Forschung ausgegeben hat. Sachsen rangiert damit auf Platz fünf aller Bundesländer.

So paradox es klingen mag, wer die (sächsische) Wirtschaftskraft stärken will, der muss in Wissenschaftsinfrastruktur investieren, vor allem in die Hochschulen, die mit der Einheit von Forschung und Lehre, das Kernstück des Wissenschaftssystems bilden. In Verbindung mit der Aufgabe des Wissens- und Technologietransfers sowie der Unternehmensgründung tragen sie entscheidend zur Innovationsfähigkeit des Landes und seiner Wirtschaft in einer globalisierten Welt bei. Doch im Verteilungskampf um die finanziellen Mittel für die angewandte Forschung scheinen ausgerechnet die Hochschulen unter die Räder zu geraten. Ihnen droht eine Auslagerung von Forschung in außeruniversitäre Einrichtungen.

So hat die Helmholtz-Gemeinschaft jüngst vorgeschlagen, die Lösung drängender Forschungsfragen in die Verantwortung der bundesweit achtzehn Helmholtz-Zentren zu übernehmen. Diese werden vom Bund finanziert. In die gleiche Kerbe hauen sächsische Wissenschaftspolitiker von Union und FDP, die aus Sorge um knapper werdende Landesmittel für eine Überführung “von bisher an den Hochschulen angesiedelten erfolgreichen und leistungsstarken Forschungsgruppen” in Fraunhofer-Institute oder Helmholtz-Zentren plädieren.

Würden diese Vorschläge Wirklichkeit werden, nähme die Balance des Wissenschaftssystems mit gleichberechtigten Partnern aus universitärer und außeruniversitärer Forschung Schaden. Die Hochschulen mutierten zu einer Art höherer Lehranstalt, die weniger forschen, dafür umso mehr Lehr- und Weiterbildungsaufgaben erfüllen. Die Gefahr einer Verschulung der Hochschulen ist durchaus real. Sie ist die Konsequenz aus der permanenten Unterfinanzierung der Hochschulen und einer Politik, die primär angewandte Forschung fördert, um die Wirtschaftskraft zu stärken.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Terminredaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar