Apple entfernt immer wieder VPN-Apps in Russland

Apples stille Zensur: VPN-Apps verschwinden aus russischem App Store

In den letzten Monaten hat sich eine beunruhigende Entwicklung im russischen App Store von Apple abgezeichnet. Immer mehr VPN-Anwendungen verschwinden sang- und klanglos aus dem digitalen Regal. Was zunächst als vereinzeltes Phänomen erschien, entpuppt sich nun als systematische Zensur von enormem Ausmaß.

Die harten Fakten: Mehr als doppelt so viele Apps betroffen

Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen der russischen Zensurbehörde Roskomnadzor, wurden lediglich 25 VPN-Apps aus dem App Store entfernt. Doch die Realität sieht düsterer aus: Laut einer exklusiven Untersuchung des App Censorship Project sind tatsächlich mindestens 60 VPN-Anwendungen zwischen Anfang Juli und Mitte September 2024 aus dem russischen App Store verschwunden.

Diese erschreckende Diskrepanz wirft Fragen auf. Warum werden diese Löschungen nicht transparent kommuniziert? Und welche Rolle spielt Apple in diesem Zensur-Drama?

Ein Blick hinter die Kulissen: Die Methodik der Untersuchung

Die Forscher des App Censorship Project nutzten für ihre Analyse den App Store Monitor (ASM) auf AppleCensorship.com. Dieses Tool, entwickelt von den Experten bei GreatFire, überwacht die Verfügbarkeit von Apps in Apples App Stores weltweit.

Insgesamt wurden 360 VPN-Anwendungen in 175 verschiedenen App Stores unter die Lupe genommen. Das Ergebnis? Sage und schreibe 98 VPN-Apps waren am 16. September 2024 im russischen App Store nicht mehr verfügbar. Darunter befinden sich auch bekannte Dienste wie NordVPN, ExpressVPN und Proton VPN.

Die Chronologie der Zensur

Der Kreml hat VPN-Dienste schon länger im Visier. Doch die jüngste Welle der App-Löschungen begann am 4. Juli 2024. An diesem Tag verschwanden mindestens vier VPN-Apps spurlos aus dem russischen App Store. Was folgte, war eine regelrechte Lösch-Orgie:

        1. Juli: Über ein Dutzend Apps werden entfernt, darunter ExpressVPN und CyberGhost
  • Bis 11. August: Etwa 30 weitere Anwendungen verschwinden

Die Konzentration der Löschungen auf bestimmte Zeiträume lässt vermuten, dass es sich um koordinierte Aktionen handelt – und nicht um freiwillige Rückzüge der App-Anbieter.

VPNs in Russland: Ein Dorn im Auge der Machthaber

Warum sind VPNs in Russland so umstritten? Die Antwort ist einfach: Sie ermöglichen den Zugang zu gesperrten Inhalten und umgehen die strenge Internet-Zensur des Landes. Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat sich die Online-Freiheit in Russland dramatisch verschlechtert. Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und X (ehemals Twitter) sind nur noch per VPN erreichbar.

Doch damit nicht genug: Seit März 2024 ist in Russland sogar die Verbreitung von Informationen über Möglichkeiten zur Umgehung von Internet-Beschränkungen strafbar. In diesem Kontext gewinnen die stillen VPN-Löschungen im App Store eine noch bedrohlichere Dimension.

Die Rolle von Apple: Komplize oder Opfer?

Die mangelnde Transparenz von Apple in dieser Angelegenheit wirft Fragen auf. Benjamin Ismail, Direktor des App Censorship Project, findet deutliche Worte:

„Apples stillschweigende Entfernung von fast 60 VPN-Apps aus dem russischen App Store ist nicht nur alarmierend – es ist eine direkte Bedrohung für die digitale Freiheit und Privatsphäre. Indem Apple den Zugang zu diesen essenziellen Tools ohne Transparenz oder ordnungsgemäßes Verfahren einschränkt, macht es sich mitschuldig an der staatlichen Zensur.“

Tabelle: VPN-App-Verfügbarkeit in Russland

Zeitraum Anzahl entfernter VPN-Apps Besonderheiten
Vor Februar 2024 14 Vor Beginn des Ukraine-Krieges
Februar 2024 – Juni 2024 18 Zunehmende Internet-Restriktionen
Juli – September 2024 ~60 Massive Löschungswelle

Was können Nutzer tun?

Für russische Internetnutzer wird es zunehmend schwieriger, ihre Online-Aktivitäten zu schützen. Hier einige Tipps:

  1. Alternative App Stores nutzen (für Android-Geräte)
  2. VPN-Apps direkt von den Websites der Anbieter herunterladen
  3. Open-Source VPN-Protokolle wie OpenVPN oder WireGuard verwenden
  4. Tor-Browser als Alternative in Betracht ziehen
  5. Sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden halten

Die globalen Auswirkungen

Die Situation in Russland könnte ein Vorgeschmack auf ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern sein. Evan Greer, Direktor von Fight for the Future, warnt:

„VPNs sind Lebensadern für Journalisten, Aktivisten und ganz normale Bürger, die versuchen, auf Informationen zuzugreifen und sicher zu kommunizieren. Apples Handlungen untergraben nicht nur die Privatsphäre und Sicherheit von Millionen Menschen, sondern setzen auch einen gefährlichen Präzedenzfall dafür, wie Technologieunternehmen mit autoritären Regimen zusammenarbeiten könnten.“

Ein Aufruf zur Transparenz

Experten fordern nun sowohl von Roskomnadzor als auch von Apple mehr Transparenz bezüglich ihrer App-Entfernungsrichtlinien und -aktionen. Sarkis Darbinian, ein Cyber-Anwalt bei der russischen digitalen Rechtsgruppe Roskomsvoboda, stellt die entscheidende Frage:

„Apple kann nicht länger behaupten, dass dies nicht ihr Anliegen sei oder dass sie lediglich lokale Gesetze befolgen. Als hochsichtbares und einflussreiches Unternehmen sollte Apple erkennen, welches Bild es durch seine Zusammenarbeit mit Zensoren erzeugt. Zu welchen weiteren Zugeständnissen wird Apple gegenüber den russischen Behörden bereit sein?“

Ein Hoffnungsschimmer?

Interessanterweise bleibt der Google Play Store in Russland bisher von dieser Zensurwelle verschont. Dies könnte darauf hindeuten, dass Google den Forderungen von Roskomnadzor möglicherweise Widerstand leistet. Oder, wie Benjamin Ismail vom App Censorship Project vermutet:

„Vielleicht wissen die Behörden, dass Sideloading auf Android-Telefonen möglich ist, und versuchen sich daher darauf zu konzentrieren, die VPN-Server zu blockieren, anstatt den Zugang zu den VPN-Apps selbst zu sperren.“

Fazit: Ein Weckruf für die digitale Freiheit

Die Entwicklungen in Russland sollten uns alle wachrufen. Sie zeigen, wie fragil unsere digitalen Freiheiten sein können und wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben. Technologieunternehmen wie Apple tragen eine enorme Verantwortung. Ihre Entscheidungen können Millionen von Menschen den Zugang zu freien Informationen ermöglichen – oder verwehren.

Als Nutzer sollten wir uns bewusst sein, dass unsere digitalen Rechte nicht selbstverständlich sind. Sie müssen verteidigt und manchmal erkämpft werden. Die Situation in Russland ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie schnell sich die digitale Landschaft verändern kann.

Bleiben Sie informiert, unterstützen Sie Organisationen, die sich für digitale Rechte einsetzen, und denken Sie daran: Im Kampf um ein freies Internet zählt jede Stimme.

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