„Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt. Daher streben wir einen ‚Bund europäischer Nationen‘ an, eine neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, in der die Souveränität der Mitgliedsstaaten gewahrt ist.“ So steht es im Programm der AfD für die Europawahlen 2024, beschlossen auf ihrem Parteitag in Magdeburg am 06. August 2023.
Zwar haben die Rechtsnationalisten der AfD die ursprüngliche Formulierung aus dem Leitantrag gestrichen: „Unsere Geduld mit der EU ist erschöpft. Wir streben daher die geordnete Auflösung der EU an und wollen statt ihrer eine neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gründen, einen Bund europäischer Nationen.“ Auch ist nicht mehr von der „EU und die sie tragenden globalistisch eingestellten Eliten“ die Rede.
In der Sache hat sich aber nichts geändert: Die AfD will die Europäische Union zerstören, das EU-Parlament auflösen und zu einem homogen-völkisch ausgerichteten Nationalstaat Deutschland zurückkehren. Diese Absicht ist keine Unterstellung, sondern die Quintessenz aus den Reden der gewählten AfD-Kandidat/-innen für das EU-Parlament. Damit ist klar: Die AfD rammt mit ihrem Programm zur Europawahl den Startblock für eine gegen das Grundgesetz gerichtete, kriegstreibende, nationalistische Politik ein. Björn Höcke und seine Mannen sehen nun ihr Ziel deutlich vor Augen – und zwar auf allen Ebenen, die die Höcke-AfD mit ihren Leuten besetzen kann: seien es Bürgermeister in kleinsten Gemeinden, Landräte oder Abgeordnete im EU-Parlament.
Da geht es nicht um eine gute soziale Entwicklung des ländlichen Raumes oder eine europäische Friedensordnung, sondern ausschließlich um kulturelle und politische Bereinigung von allen und allem Fremden, Region für Region.
Wir haben endlich zu begreifen: Die AfD bietet dem Bürger, der Bürgerin keinen „alternativen“ Politikentwurf im Spektrum demokratischer Parteien an. Die AfD hat die Systemveränderung im Innern und die Rückkehr zu einer deutsch-nationalistischen Staatlichkeit nach außen im Visier. Dabei spielen Einzelforderungen im Bereich der Sozial-, Wirtschafts- oder Steuerpolitik keine Rolle. Alles ist ausgerichtet auf eine deutschnationale Identitätspolitik.
Im Klartext bedeutet dies: die kulturelle und politische Ausgrenzung aller Bürgerinnen und Bürger, die keine sog. Bio-Deutschen sind, militante Abschottung gegen Zuwanderung und Geflüchteten und eine Atmosphäre der Einschüchterung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.*
Gerade in den vergangenen Wochen haben mich etliche Touristen angesprochen, dass sie sich mit größtem Unwohlsein in Ortschaften bewegen, die eigentlich internationale Anziehungskraft ausüben – wie die Reformations- oder Bachstädte Wittenberg, Arnstadt oder Köthen. Da wird schon heute die Atmosphäre im öffentlichen Raum bestimmt von offen rechtsnationalistisch auftretenden Gruppen, die mit Angst einflößender Körpersprache eine Botschaft aussenden: Hier bewegst du dich auf „deutschen“ Straßen, auf denen nur „Deutsches“ geduldet wird.
Niemand soll sich auch nur einen Augenblick irgendwelchen Illusionen hingeben: Die AfD will zu einem Deutschland zurückkehren, das vor 90 Jahren den Nationalsozialismus hat groß werden lassen und das Europa mit einem verbrecherischen Krieg überzogen hat. Dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes in der Präambel von einem Deutschland sprechen, das „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt … dienen“ soll, hat den einen Grund: die Erkenntnis, dass jede Form von Nationalismus Krieg fördert.
In diesem Sinn ist die AfD eine Kriegspartei – Krieg nach innen gegen alle, die anders sind; Krieg nach außen, um den Nationalismus mit einem imperialen Anspruch zu versehen. Das erklärt auch, warum die AfD im Blick auf den Ukraine-Krieg letztlich die sog. „Militäroperation“ Russlands faktisch billigt und die Beziehungen zum Putin-Regime auf normal stellen will.
Es ist höchste Zeit: Wir müssen die wahren Absichten der Höcke-AfD klar benennen, anstatt auf deren Verharmlosungsrhetorik hereinzufallen. Wir müssen sehen: Die AfD wird sich nicht „normalisieren“. Mit jedem Wahlerfolg wird sie radikaler, nationalistischer. Wir – das sind Parteien, Vereine, Verbände und Institutionen in der demokratischen Gesellschaft. Wir – das sind alle, die an verantwortlicher Position in der Gesellschaft tätig sind. Wir – das sind vor allem auch die Kirchen und ihre Repräsentant/-innen: Bischöfe, Pfarrer/-innen, Religionslehrer/-innen. Die AfD widerspricht allen Grundwerten des christlichen Glaubens.
Sie ist eine neuheidnische Partei, die den Namen Gottes rein taktisch-ideologisch und damit blasphemisch missbraucht. Der Säkularismus in Europa sowie die Enttäuschung über die bzw. Fehleinschätzung der Demokratie bieten ideologische Einflugschneisen für den Nationalismus als Ersatzreligion und neues Selbstbehauptungselement für enttäuschte Gemüter – alles wie gehabt. So stehen wir alle in der Verantwortung, in den nächsten Wochen jede Zurückhaltung und jede falsch verstandene parteipolitische Zurückhaltung aufzugeben. Die AfD ist eine Gefahr für die freiheitliche Demokratie.
Darum: Wer einer Partei wie der AfD seine Stimme gibt, vergeht sich an allem, was das Leben in einer Gesellschaft lebenswert macht: demokratische Offenheit, kulturelle Vielfalt, anteilnehmende Empathie für den fremden Anderen. Keine politische Enttäuschung kann/darf das Spiel mit dem Feuer rechtfertigen, keine!
Christian Wolff, geboren 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/
* Der Vorschlag von Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der AfD, die Zuwanderung von Ausländer/-innen zur Behebung des Fachkräftemangels zu verhindern, indem in deutschen Familien mehr Kinder geboren werden, zeigt, welche Blüten nationalistisches Denken treibt. Da bedarf es wenig Fantasie sich vorzustellen, was geschieht, wenn dann in migrantischen Familien die „falschen“ Kinder geboren werden …
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