Die Schlusssirene war bereits durch die Arena geschallt, als Grit Jurack zum letzten Freiwurf für Viborg HK antrat. 5.191 Zuschauer kauten an den Fingernägeln, die Leipziger Abwehrmauer reckte und streckte sich. Haarscharf verfehlte der Ball sein Ziel - der HCL hatte es tatsächlich geschafft, sein Europacup-Hinspiel gegen das dänische Dreamteam zu gewinnen.
Was für ein Handballfest am Sonntag unterm Dach der Arena Leipzig. Das Hinspiel im Halbfinale des Cupwinners Cups präsentierte sich als “mitreißendes Spiel in mitreißender Atmosphäre”, wie HCL-Manager Kay-Sven Hähner es hinterher bezeichnete. Mit Viborg HK war der große Favorit auf den Europapokalsieg zu Gast. Immerhin hatten es die Dänen innerhalb der letzten sechs Jahre gleich dreimal geschafft, die Champions League zu gewinnen. Für Grit Jurack – in Viborgs Diensten stehend – war es eine Rückkehr in ihre Geburtsstadt und an ihre alte Wirkungsstätte. Auch Trainer Martin Albertsen hatte bereits in Leipzig gecoacht.
Sentimentalitäten wurden deshalb allerdings keine ausgetauscht. Viborg begann die Partie erwartet stark, überraschte den HCL auf dem falschen Bein. Nach fünf Minuten stand bereits ein 1:4 auf der Tafel, was aus Leipziger Sicht nicht unbedingt das Beste befürchten ließ. Dieses flaue Gefühl wurde auch nicht geringer, als Maura Visser beim Stand von 2:5 (7.) den ersten Leipziger Siebenmeter verwarf. Doch als Mitte der ersten Hälfte eben jene Maura Visser zum 6:7-Anschluss (14.) traf, keimte ein vorsichtiger Ansatz von Hoffnung. Diesen schütteten die Gastgeberinnen allerdings gleich selber wieder zu. Zwei unkonzentrierte Abspielfehler – zwei unnötige Gegentore – und schon war der alte Abstand wieder hergestellt (6:9/ 16.). Glück für Leipzig, dass auch Viborg bei weitem nicht fehlerfrei agierte und Katja Schülke im Tor immer stärker wurde.
So kämpften sich die Gelben zunächst wieder auf 9:10 (20.) heran. Und es sollte noch besser kommen. Eine Minute später schon sorgte Mette Ommundsen mit einem verwandelten Strafwurf für das 11:11 und damit für den ersten Gleichstand in der Partie. Als dann auch noch Louise Lyksborg mit einem erfolgreichen Konter die 12:11-Führung (22.) erzielte, stand das Tollhaus Arena richtig Kopf. Nun entbrannte ein heftiges Tauziehen um das Privileg des Führenden. Förmlich in der letzten Sekunde hatten die Dänen das Seil mit einem heftigen Ruck in ihre Richtung befördern können. 14:15 hieß es zur Halbzeit.
Mit Beginn des zweiten Durchgangs warf Natalie Augsburg den Fehdehandschuh wieder in den Ring – 15:15 (32.) – der Kampf konnte weitergehen. Viborg nahm die Herausforderung an, war eine Minute später bereits wieder zwei Tore enteilt – und legte nach. Unter anderem durch zwei Tore der in dieser Phase kaum zu haltenden Grit Jurack stahl sich Viborg beim 16:19 (36.) und 18:21 (38.) erneut auf plus Drei davon. Trotz aller Rückschläge – der HCL erwies sich als wahres Stehaufmännchen. Da Katja Schülke zwischen den Pfosten schon längst nicht mehr gut, sondern nahezu sensationell hielt und Müller, Augsburg und Lyksborg drei Treffer in Folge gelangen, waren die Leipzigerinnen wieder bei der Musik (21:21/ 41.).
Da konnte die Madsen-Sieben auch ein neuerlicher 22:24-Rückstand (44.) nicht mehr schocken. Lyksborg sorgte für den Anschluss, Kudlacz für den Ausgleich, Schülke mit mehreren Weltklasse-Paraden für die Demoralisierung des Gegners und Saskia Lang mit einem Rückraum-Hammer schließlich für die Leipziger 25:24-Führung (50.). Die letzten zehn Minuten wurden zum Tanz ums heiße Unentschieden. Nicht zufällig war es die herausragende Anne Müller – mit acht Toren die beste Leipziger Werferin – die in der letzten Spielminute ihren HCL mit 30:29 nach vorn warf. Es war der Siegestreffer.
“Ich war einfach gut drauf, hab die Bälle gekriegt und meine Chancen genutzt”, brachte Müller das Geheimnis um ihre starke Vorstellung auf den Punkt. “Vielleicht waren wir am Anfang noch etwas nervös. Aber das haben wir relativ schnell abgelegt und gezeigt, dass wir mithalten können”, beschrieb sie die Entwicklung im Spiel. Dass mit dem knappen Sieg noch gar nichts entschieden ist, ist auch der 28-Jährigen klar. “In Viborg müssen wir auf unsere Leistung von heute noch mal 20 Prozent drauflegen, dann haben wir vielleicht eine Chance. Es wird verdammt schwer”.
“Wir fahren natürlich nach Viborg um zu gewinnen”, strotzte Natalie Augsburg vor Selbstbewusstsein. Den Sieg im Hinspiel führt sie vor allem darauf zurück, dass sich ihr Team über die gesamte Spielzeit nie aufgegeben hatte. “wir haben als Mannschaft gespielt, haben in der Abwehr um jeden Ball gekämpft. Auch als Viborg in der zweiten Halbzeit zwei, drei Tore Vorsprung hatte, haben wir trotzdem nicht aufgehört. Die aggressive Abwehr mit der superstarken Katja im Tor war heute der Schlüssel zum Erfolg”, so die Leipziger Nationalspielerin.
Zum Rückspiel in Viborg muss der HCL am Ostermontag, 9. April, zur ungewöhnlichen Zeit von 16:50 Uhr antreten. Ein Unentschieden würde dann fürs Finale schon reichen…
HC Leipzig: Katja Schülke, Julia Plöger – Rannveig Haugen, Maura Visser (2), Louise Lyksborg (4), Natalie Augsburg (5), Anne Müller (8), Luisa Schulze (1), Karolina Kudlacz (4), Ania Rösler, Saskia Lang (3), Anne Hubinger (2), Alexandra Mazzucco, Marlene Windisch, Mette Ommundsen (1/1). Trainer: Stefan Madsen.
Viborg HK: Louise Bager Due, Christina Pedersen, Rikke Skov (2), Marit Frafjord (1), Grit Jurack (7), Pernille Holst Larsen (1), Mouna Chebbah, Isabelle Gullden (9), Cristina Varzaru (2), Camilla Mikkelsen, Emily Andersen, Julie Aagard, Johanna Ahlm (3), Anja Althaus (1), Maria Fisker (3). Trainer: Martin Albertsen.
Schiedsrichter: Vasile Pavel, Eugen-Marian State (beide Rumänien). Zwei-Minuten-Strafen: HCL 2 (Visser, Lang), Viborg 1 (Skov). Siebenmeter: HCL 1/2 (Visser 0/1, Ommundsen 1/1), Viborg 7/7 (Gullden 7/7). Zuschauer: 5.191 in der Arena Leipzig.
HC Leipzig (GER) vs. Viborg HK (DEN) 30:29 (14:15), Rückspiel am 9. April um 16:50 Uhr
FTC-Rail Cargo Hungaria (HUN) vs. Dinamo Volgograd (RUS) 34:26 (20:8), Rückspiel am 7. April.
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