Knapp sieben Jahre haben RB-Fans und interessierte Öffentlichkeit auf die erste journalistische Auseinandersetzung mit RB Leipzig in Buchform warten müssen. Der Leipziger Sportjournalist hat sich an eine fundierte Analyse des Vereins gewagt, dessen Profimannschaft ab August in der Bundesliga auflaufen wird. Kroemer blickt hinter die Kulissen des Fußballunternehmens, schildert den Einstieg Red Bulls in den Leipziger Fußball und die Anlaufschwierigkeiten des ehrgeizigen Projekts und analysiert die Gründe für den Erfolg von Ralf Rangnicks Spielphilosophie.
Der freischaffende Sportreporter Ullrich Kroemer (u.a. „Mitteldeutsche Zeitung“) gehört zu jenen wenigen Lokaljournalisten, die trotz räumlicher Nähe zu RB Leipzig in der Lage sind, zum Objekt ihrer Berichterstattung eine kritische Distanz zu wahren. Der Leipziger versteht sich im Gegensatz zu einem gewissen LVZ-Reporter keinesfalls als verlängerter Arm der PR-Abteilung. Er bedient auch nicht krampfhaft den Boulevard. Kroemers Berichterstattung zeichnet sich vielmehr durch nüchterne Sachlichkeit und fundierte Recherchen aus. Diese Qualitäten haben sich bei Erarbeitung seines Buches ausgezahlt.
„Aufstieg ohne Grenzen“ ist nicht nur die erste journalistische Monographie über die Rasenballer, sondern zugleich Kroemers Erstlingswerk. Das Buch überzeugt den Leser durch sein schlüssiges narratives Konzept. Der Autor hat sich bewusst gegen die genretypische Darstellungsform der Chronik entschieden, sondern sich thematische Eckpunkte gesetzt, an denen er sich in kurzweiligem Stil analytisch abarbeitet.
Wie kam es zum Einstieg des Salzburger Brausegiganten in den Leipziger Fußball? Warum stagnierte das Projekt nach dem Aufstieg in die Regionalliga? Was macht Sportdirektor Ralf Rangnick anders als seine Vorgänger? Welche Rolle spielt Vereinschef Oliver Mintzlaff? Wie hat sich die Fanszene entwickelt? Welche Effekte haben die massiven Gegenproteste aus den Reihen anderer Fanszenen erzielt?
Kroemer versucht auf diese und andere Fragen Antworten zu liefern. Er beschreibt beispielsweise, wie der glühende Chemie-Fan Roland Gall im Sommer 2006 Kontakt zu dem Brausegiganten aufnahm. Red Bull erteilte dem Pensionär zwar eine Absage. Doch nur Monate später wurde der FC Sachsen selbst bei den Österreichern vorstellig. Kroemer erzählt, wie die Verhandlungen zunächst erfolgreich verliefen, schlussendlich aber platzten. Er berichtet von der Suche des Energy-Drink-Produzenten nach einem geeigneten Club im Leipziger Umland, um ihm dessen Oberliga-Startrecht abzukaufen, die schlussendlich in der „Übernahme“ des SSV Markranstädt gipfelte.
Kroemer beschäftigt sich ausführlich mit dem rasanten Durchmarsch der Rot-Weißen von der Regionalliga in die 2. Bundesliga. Die Entwicklung des Trainingszentrums am Cottaweg wird ebenso angesprochen wie die Entstehung der Fanszene. Zu Wort kommen Fans der ersten Stunde wie der heutige Fanbeauftragte Enrico Hommel, aber auch Mitarbeiter des Leipziger Fanprojekts, die mit jugendlichen RB-Anhängern arbeiten. Der Debatte um die Lizenzierung des Clubs für den Profifußball widmet Kroemer ein ganzes Kapitel. Der Autor kommt darin zu dem Ergebnis, dass die Rasenballer die seinerzeit gültigen Regularien geschickt umschifft, sich aber zu keinem Zeitpunkt jenseits des Erlaubten bewegt hatten.
RB Leipzig ist in Fußballdeutschland nach wie vor ein Reizthema
Umso bemerkenswerter ist Kroemers konsequenter Verzicht auf jegliche Polemik einzuordnen. Trotz seiner intensiven Vorbefassung mit dem Verein in der tagtäglichen Arbeit verzichtet er im darstellenden Teil auf persönliche Wertungen. Das Deuten und Kommentieren überlässt er seinen Gesprächspartnern. Kroemers umfangreiche Reportagen sind gespickt mit Wortmeldungen von Beteiligten und Zeitzeugen. Das Buch enthält weiterhin Interviews mit Protagonisten wie Ex-U23-Choach Tino Vogel, Torwart Sven Neuhaus und Angreifer Daniel Frahn.
Kroemer sprach mit Ralf Rangnick über seine Spielphilosophie. Taktikexperte Daniel Memmert erklärt im Gespräch mit dem Autor Rangnicks Vorstellung vom Spiel „gegen den Ball“. Blogger Matthias Kießling analysiert den Wandel der medialen Rezeption des Fußballprojekts. Auf manche interessanten Gesprächspartner musste der Verfasser allerdings verzichten. Nicht zu Wort kommen beispielsweise der zweifache Aufstiegstrainer Alexander Zorniger und Manager Mintzlaff. Die Gründe bleiben dem Leser verborgen.
„Aufstieg ohne Grenzen“ ist die Pflichtlektüre für alle Fußballfans, die sich näher mit Red Bulls Engagement im deutschen Spitzenfußball befassen möchten. Insbesondere die vielen RB-Kritiker sollten das Buch in die Hand nehmen. Denn berechtigte Kritik kann nur vortragen, wer alle Fakten kennt. Ullrich Kroemer hat alles Wissenswerte rund ums Streitthema „RB Leipzig“ auf 175 Seiten zusammengetragen.
Wenngleich die Monographie aufgrund vieler inhaltlicher Aussparungen in Bezug auf die sportlichen Leistungen (das Aufstiegsdrama in Lotte wird nur am Rande erwähnt) nicht wirklich zum Standardwerk taugt, kann sie künftig als inhaltliche Grundlage über das Für und Wider von RB Leipzig dienen.
Ullrich Kroemer, RB Leipzig. Aufstieg ohne Grenzen, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2016.
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