Auch bei einem sogenannten Retortenverein wie RB Leipzig gibt es mittlerweile zahlreiche Fans, die sich im Stadion und außerhalb gegen Menschenfeindlichkeit engagieren. Zumindest ersteres sieht der Verein jedoch nicht gern. Wenn Rasenballsport Leipzig einen Verein wie den FC St. Pauli empfängt, so wie dies am vergangenen Wochenende geschehen ist, dann handelt es sich um ein Duell der Gegensätze. Nicht nur trifft dabei der Retorten- auf den Kultclub, auch könnte der Stellenwert einer aktiven Fanszene für die Vereinsoberen kaum unterschiedlicher sein - insbesondere wenn es darum geht, sich antirassistisch zu positionieren.
Denn während es in Hamburg schon mal vorkommt, dass Fans und Verein gemeinsam dazu aufrufen, einen Naziaufmarsch wie den kommenden am 12. September zu verhindern, ist ähnliches Engagement in Leipzig offenbar selbst in Ansätzen unerwünscht.
Mitglieder der Ultragruppierung Red Aces wollten beispielsweise während des ersten Heimspiels der laufenden Zweitligasaison ein Banner mit der Aufschrift “Ligaspiel und Legida – der Montag ist zum Kotzen da” vorzeigen. Der Verein untersagte dies. Beim folgenden Heimspiel wurde er deshalb vorab gar nicht erst um Erlaubnis gefragt. Stattdessen schmuggelten die Fans zum Spiel gegen St. Pauli ein Spruchband ins Stadion, das den derzeit tobenden Rechtsterror thematisierte: “Scheiß Heidenau, Scheiß Sachsen, Scheiß Nazis!” war darauf zu lesen.
Es war nicht das erste Mal, dass sich die aktive Fanszene von RB Leipzig einem Verbot ihres Vereins widersetzte. Schon Ende 2014, also vor der ersten Legidakundgebung, wollte das Bündnis “Rasenball gegen Rassismus” im Stadion gegen die islamfeindliche Bewegung mobilisieren. Doch sowohl Banner mit explizitem Bezug zu den Demonstrationen als auch allgemein gehaltene Parolen wie “Stop Racism” wurden nicht genehmigt. Dennoch fanden in Form von Spruchbändern und T-Shirts klare Ansagen in Richtung Legida ihren Weg ins Stadion.
Die restriktive Politik verwundert, heißt es in einem Fankodex des Vereins doch wörtlich: “Wir lehnen Diskriminierung und Gewalt ab. Wir respektieren alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Hautfarbe, Herkunft, Glauben, sozialer Stellung oder sexueller Identität”. Was spricht also dagegen, dass sich Fans gegen Rassismus oder rassistische Gruppierungen positionieren?
Der Verein selbst wollte sich zu dieser Frage nicht äußern. Den Fans zufolge wurden die Bannerverbote mit der Aussage “Keine Politik im Stadion” begründet. Für ein Mitglied der Red Aces, das unter dem Pseudonym Gustav zitiert werden möchte, ist diese Haltung unverständlich. “Was in der Gesellschaft passiert, erzeugt einen Widerhall im Stadion”, sagt Gustav. “Wer daher unpolitische Kurven fordert, eröffnet Nazis Rekrutierungsraum.”
Dabei war die Kurve von RB Leipzig schon früher nicht so “unpolitisch” wie dies der Verein heute darstellen möchte. So präsentierten Fans zu Regionalligazeiten das bundesweit zum Einsatz kommende “Fußballfans gegen Homophobie”-Banner, begleitet von einer eigenen Tapete “gegen Homophobie, Gewalt und Rassismus”. Im Frühjahr 2014 solidarisierte sich der Fanclub der Rabauken mit einem antifaschistischen Ultra in Schweden, der von Neonazis niedergestochen worden war – wenngleich dies in Landessprache geschah.
Mögen sich die offen zur Schau gestellten Widersprüche gegen Menschenfeindlichkeit bei Heimspielen wegen der Repressionen meist auf T-Shirts und Turnbeutel beschränken, so zeigen sie sich auswärts umso deutlicher. Seit etwa einem Jahr sind “Rasenball gegen Rassismus”- oder “Refugees Welcome”-Fahnen bei nahezu jedem Spiel in der Fremde zu sehen. Ende 2014 zeigten RB-Fans beim Auswärtsspiel in Aalen einen “Nazis aus dem Stadion”-Schriftzug, der sich gegen die Ultragruppierung “Crew Eleven” und insbesondere deren Vorsänger Dominik Stürmer richtete. Dieser wurde schon damals mit der NPD in Verbindung gebracht. Mittlerweile ist er Kreisvorsitzender der Partei.
Nur bei Bannern – seien sie genehmigt oder eingeschmuggelt – belassen es Mitglieder der Red Aces allerdings nicht. “In Zeiten, in denen nahezu täglich Asylbewerberunterkünfte brennen, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und der braune Mob wieder Frühlingsgefühle entwickelt, ist es zwingend notwendig, für seine antifaschistischen und antirassistischen Werte mit mehr als nur einem Spruchband einzustehen”, erklärt Gustav.
Unter der Woche lieferten sie deshalb Sachspenden in Heidenau ab, Ende Juni bereisten sie Freital. Bereits in den vergangenen Jahren hatten sie gemeinsam mit Geflüchteten ein Spiel ihres Vereins besucht und gemeinsam mit anderen Fangruppen Kleidung für bedürftige Menschen gesammelt. Bei Demonstrationen gegen Legida oder Blockadeaktionen wie vor der HTWK-Sporthalle Anfang dieser Woche kommt es immer wieder zu kuriosen Situationen, wenn Ultras von RBL, dem Roten Stern und der BSG Chemie in den Farben getrennt, aber in der Sache quasi vereint agieren.
Jene beiden anderen Vereine sind es auch, die sich in Leipzig besonders deutlich gegen Rassismus äußern und für Geflüchtete engagieren. So veranstaltete der Rote Stern im August bereits zum dritten Mal den “Refugees Welcome Cup”, ein Fußballturnier, das sich insbesondere an Asylsuchende richtet. Chemie Leipzig initiierte seinerseits das Projekt “Refugees United”, das Flüchtlingskindern mit Hilfe des Fußballs Ablenkung verschaffen soll. Zudem wurden erst kürzlich bei einem Heimspiel Fußballbekleidung und -zubehör für die Geflüchteten in der Ernst-Grube-Halle gesammelt.
Zumindest in Bezug auf eigene Vereinsaktivitäten zeigt sich auch RB Leipzig engagiert. Mit dem Projekt “Willkommen im Fußball” soll in Kooperation mit kleineren Leipziger Vereinen jungen Geflüchteten das Fußballspielen ermöglicht werden. Außerdem spendet der Verein der Stadt 50.000 Euro, womit neben der Massenunterkunft in der Torgauer Straße ein Bolzplatz finanziert werden soll. Zum Spiel gegen St. Pauli lud er ehrenamtliche Helfer aus der Ernst-Grube-Halle ein. Allgemeine Antirassismusarbeit unterstützt RBL mit der Initiative “Show Racism the Red Card”, die sich speziell an Schulklassen richtet.
Dennoch: Im Unterschied zu allen anderen Leipziger Vereinen vermeidet RB Leipzig eine Positionierung gegen ein rassistisches Bündnis wie Legida. Der Rote Stern ruft seine Fans offen zur Teilnahme an Gegenveranstaltungen auf, Chemie belegte einen ehemaligen Legidaorganisator mit einem Hausverbot und Lok Leipzig bezog auf seiner Homepage deutlich Stellung: “Der 1. FC Lokomotive Leipzig akzeptiert es nicht, wenn unter Ausnutzung der formalen Verfassungsrechtslage das Versammlungs- und Demonstrationsrecht missbraucht wird, um rechtspopulistische Parolen zu verbreiten. Menschen, die Demonstrationen als Plattform für rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen verstehen, zeigen wir die Rote Karte!”
Eine rote Karte bekommen Fans von RB Leipzig übrigens nicht nur dann zu sehen, wenn sie sich im Stadion antirassistisch positionieren wollen. Auch kontroverse Choreographien, beziehungsweise einzelne Elemente sowie Banner, mit denen Fans für eine Demokratisierung des Vereins plädieren wollten, wurden bereits verboten. Das wache Auge des Vereins gilt dabei nicht zur den Fans, sondern auch dem eigenen Personal. Als der ehemalige RB-Trainer Peter Pacult vor dreieinhalb Jahren laut Aussage mehrerer Zeugen einen Spieler von St. Pauli homophob beleidigte, zog dies keine Konsequenzen nach sich. Weder dementierte RB Leipzig den Vorfall noch musste sich Pacult dafür entschuldigen.
Immerhin durfte RBL-Stürmer Terrence Boyd Anfang des Jahres auf seiner Facebookseite dazu aufrufen, sich den No-Legida-Protesten anzuschließen – und nahm auch selbst an diesen teil. Einige seiner Fans erteilten ihm daraufhin den Ratschlag, es doch lieber beim Fußballspielen zu belassen. Klar ist: Genauso wie es RB-Fans gibt, die gegen Legida demonstrieren, gibt es auch jene, die sich den fremdenfeindlichen Aufzügen anschließen. Dieses Potential zeigte sich Ende 2014 auch beim Fanblock, als ein eingeschmuggeltes No-Legida-Banner einige Stinkefinger provozierte.
Jedoch treten Neonazis und Rassisten bei Spielen von RB Leipzig nicht organisiert in Erscheinung oder versuchen Nachwuchs zu rekrutieren, so wie dies bei vielen anderen Fußballvereinen der Fall ist. Dass dies nicht geschieht, ist vielleicht auch ein Verdienst jener Fans, die – gegen den Widerstand ihres eigenen Vereins – immer wieder deutlich machen, wofür in der eigenen Fankurve kein Platz sein darf: Nazis, Diskriminierung und Intoleranz.
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