Am kommenden Mittwoch möchte sich Sachsens bisheriger Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Landtag erneut zur Wahl stellen. Er wird wohl mindestens zwei Gegenkandidaten haben. Zu der Frage, ob die Abgeordneten alle Kandidaten ablehnen dürfen, vertreten die Grünen und Landtagspräsident Alexander Dierks unterschiedliche Auffassungen.
Unstrittig ist, dass die 120 Abgeordneten mit „Nein“ stimmen dürften, falls Kretschmer doch ohne Gegenkandidat antreten sollte. Doch das ist offenbar nicht der Fall. Matthias Berger, parteiloser Ex-Bürgermeister von Grimma, möchte gegen Kretschmer antreten. Zudem hat Jörg Urban, Vorsitzender der AfD-Fraktion, seine Kandidatur erklärt.
Die Grünen haben am Montag ein Rechtsgutachten vorgestellt, wonach es möglich sein müsse, auch bei mehreren Kandidaturen mit „Nein“ zu stimmen. Das Gutachten hat der Jurist Fabian Michl von der Universität Leipzig erstellt.
Komplizierte Ausgangslage
Warum das für die Grünen wichtig ist, erklärt sich durch das Abstimmungsverfahren im Landtag. Im ersten Wahlgang muss ein Kandidat die absolute Mehrheit erreichen, also mindestens 61 der 120 möglichen Stimmen. Im zweiten Wahlgang wäre bereits die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichend. Das heißt, ein Kandidat benötigt mehr Stimmen als die anderen Kandidaten zusammen. Enthaltungen zählen nicht als abgegebene Stimmen.
Relevant wäre es aber, wenn im zweiten Wahlgang mit „Nein“ gestimmt werden dürfte. Dann müsste ein Kandidat nach Ansicht der Grünen mehr Stimmen als die anderen Kandidaten plus Nein-Stimmen erhalten.
Denkbar wäre beispielsweise folgendes Szenario: Kretschmer erhält im zweiten Wahlgang die Stimmen von CDU und SPD (51), Urban jene der AfD (40) und Berger nur seine eigene. Würden sich Grüne, BSW und Linke enthalten, wäre Kretschmer gewählt. Dürfte beispielsweise das BSW mit Nein stimmen, wäre Kretschmer nicht gewählt, weil die 40 AfD-Stimmen plus die 15 Nein-Stimmen des BSW die Mehrheit wären.
Valentin Lippmann, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, erklärte heute, dass die Nein-Stimmen wichtig seien, um „ein Kemmerich-Szenario in Sachsen zu verhindern“. Denkbar wäre folgendes Szenario, falls keine Nein-Stimmen möglich sind: Kretschmer erhält 51 Stimmen, ein anderer Kandidat – Berger oder Urban – erhält die 55 Stimmen von AfD und BSW. Wenn sich Grüne und Linke enthalten, wäre Berger beziehungsweise Urban gewählt.
Anders wäre es, wenn Nein-Stimmen möglich wären und zählen würden. Kämen in einem solchen Szenario beispielsweise sieben Nein-Stimmen der Grünen dazu, hätte kein Kandidat die erforderliche Mehrheit.
Wohl keine Nein-Stimmen auf dem Wahlzettel
Landtagspräsident Alexander Dierks (CDU) vertritt allerdings eine andere Auffassung als die Grünen. Nein-Stimmen seien demnach nicht vorgesehen, teilte Dierks heute mit und stützt sich dabei ebenfalls auf ein Rechtsgutachten.
„Die Sächsische Verfassung verbindet mit dem Auftrag zur Regierungsbildung die verfassungsrechtliche Erwartung auf ein konstruktives Mitwirken der Abgeordneten an der Regierungsbildung“, schreibt Dierks. „Ein Anspruch des Abgeordneten, durch eine Nein-Stimme gezielt die Wahl eines Ministerpräsidenten zu verhindern, besteht nicht.“ Daran ändere auch das von den Grünen vorgelegte Gutachten nichts.
Dass am Mittwoch ein „Nein“ auf den Wahlzetteln auftauchen wird, ist also unwahrscheinlich. Ob die Grünen in dem Fall juristisch gegen die Wahl vorgehen würden, ist offen. So oder so könnte es noch für einige Zeit unklar bleiben, wer nächster Ministerpräsident in Sachsen wird.
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