Solange Menschen in Deutschland meinen, es genüge, ihr Kreuz bei einer Wahl zu setzen und sich dann wieder zurücklehnen zu können, haben wir ein Demokratiedefizit. Der gestrige Rücktritt von Dirk Neubauer, Landrat im Landkreis Mittelsachsen, zeigt das deutlich, nicht zum ersten Mal. Rekapitulieren wir: Am 3. Juli 2022 wurde Dirk Neubauer mit knapp 56 % der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp 34 %, zum Landrat gewählt.

Sieht man von den „Wir werden sie jagen“-Stimmen für den AfD-Kandidaten ab, dann haben rund 76 % der Wählerinnen und Wähler für einen Kandidaten gestimmt, der eben nicht jemanden jagen wollte.

Wahlergebnis 2022 zur Landratswahl im Landkreis Mittelsachsen. Grafik: LK Mittelsachsen
Das Wahlergebnis 2022 zur Landratswahl im Landkreis Mittelsachsen. Grafik: LK Mittelsachsen

66 % der wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner des Landkreises war es nicht einmal der Mühe wert, sich am minimalen Demokratieprozess zu beteiligen. Eine katastrophale Situation, die noch schlimmer werden sollte und die nicht nur Mittelsachsen betrifft.

Am 13. August 2022 sagte er noch im damaligen Twitter: „Ich habe wirklich, wirklich Lust darauf, mit Euch Zukunft zu machen.“

Was folgte, war unter anderem die „Agenda 2030“, ein „Gigawattprojekt“, und mehr. Dieses Projekt eines Solar-Bürgerkraftwerkes mit „Bürgerstromtarif für Mittelsachsen“, durch das die Einwohnerinnen und Einwohner Mittelsachsens bei den Energiekosten profitieren sollten, brachte nicht nur Widerstand bei der AfD hervor. Statt sachlicher Diskussion gab es Angriffe wegen „ideologiebetriebener Politik“ und im Kreistag stimmte die CDU, nicht nur bei Migrationsthemen, immer öfter mit der AfD.

Das ließ, nach den Wahlen 2024, eine weitere Blockade erwarten.

Dirk Neubauer sagte dazu in seiner persönlichen Erklärung vom 23.06.2024: „Und dann will ich ganz an erster Stelle sagen, es ist absolut zulässig, meine Position, die sehr für Klimaschutz steht, die sehr für eine Erneuerung des Landkreises steht, die sehr für die Umstellung von Mobilität, für neue Mobilitätskonzepte, für Energiekonzepte steht, weil es Zukunft bedeutet, weil es Grundlage ist für wirtschaftliche Entwicklung, für die Zukunft der nächsten Generation und weil es das einzige Klima schützt, das wir haben.“

Dirk Neubauers persönliche Erklärung auf YouTube.

Was aber nicht geht, sind Bedrohungen gegen ihn als Person, die unter anderem dazu führten, dass er seinen Wohnsitz wechseln musste. Das ist aber nur ein Problem.

Ein weiteres ist die mangelnde Unterstützung der Landkreise durch den Freistaat und den Bund. Er sagt dazu: „Die Landespolitik und auch die Bundespolitik sind momentan nicht sehr hilfreich bei der Lösung unserer grundlegenden Probleme. … Wir haben jetzt gerade mit großer Mühe mit dem Freistaat verhandelt, dass wir als Landkreise 12 Millionen Euro Unterstützung bekommen.

Das heißt also, das, was wir zur Verhandlung noch nicht wussten, was an zusätzlichen Kosten kommt, ist nicht mal gedeckt durch das, was der Freistaat uns gibt, obwohl all diese Maßnahmen vom Bund durchfinanziert sind und das Geld tatsächlich beim Freistaat da ist, theoretisch, aber bei uns nicht ankommt.“

Dirk Neubauers Kommentar zur Europa- und Kreistagswahl.

Was soll ein Landrat dann tun, um die Aufgaben zu finanzieren? Egal, er wird dafür verantwortlich gemacht.

Der wahrscheinlich entscheidende Punkt ist aber: „…, dass hier Menschen, die mehrheitlich sind, immer noch glauben, es geht alles, es hat alles mit ihnen nichts zu tun und irgendwer wird das schon machen, die mir hinter verschlossenen Türen auf die Schulter klopfen und sagen: Du machst das schon. Aber Demokratie ist nicht: Du machst das schon. Demokratie ist: Wir machen das zusammen.“

Man kann, nein sollte das so lesen, dass er die Menschen meint, die glauben, sie hätten demokratisch gearbeitet, wenn sie bei einer Wahl ein Kreuz machen. Menschen, die nicht begreifen, dass Demokratie durch Beteiligung lebt, durch ständige Mitarbeit.

Menschen, die Politiker wählen und dann alleine lassen.

Fazit: Der Rücktritt von Dirk Neubauer ist menschlich nachvollziehbar, für die Demokratie in unserem Land ist dieser Rücktritt eines von vielen Zeichen, dass diese gefährdet ist.

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