Der EU-Umweltrat hat am Montag, dem 17. Juni, in Luxemburg das EU-Renaturierungsgesetz („Nature Restoration Law“) angenommen. Es ist das erste umfangreichere Naturschutzgesetz auf europäischer Ebene seit über 20 Jahren und gilt als „Regulation“, also als Verordnung ohne erforderliche Umsetzungsgesetzgebung in den Mitgliedsstaaten. Und es könnte auch den Naturschutz in Sachsen endlich voranbringen, stellt Sachsens Umweltminister Wolfram Günther fest.

„Nach jahrelangen Verhandlungen hat der EU-Umweltrat heute eines der wichtigsten Naturschutzgesetze für Europa beschlossen“, kommentierte Günther am Montag die Entscheidung.

„Wir stehen angesichts der Biodiversitätskrise und des Klimawandels vor einer gewaltigen Aufgabe in ganz Europa. Die Zahl der intakten Moore etwa ist inzwischen auf ein Minimum geschrumpft. Deshalb müssen wir Wälder und Moore wieder in einen intakten Zustand versetzen. Und wir müssen Lebensräume für die biologische Vielfalt erhalten und nachhaltig verbessern. Das Renaturierungsgesetz ist ein entscheidender Durchbruch, um das Artensterben aufzuhalten und eine Trendwende für den Artenschutz einzuleiten.

Jetzt kommt es darauf an, dass die EU-Mitgliedstaaten das Gesetz vollständig umsetzen. Ich danke Bundesumweltministerin Steffi Lemke für ihren engagierten Beitrag bei den zähen Verhandlungen in Brüssel.“

Sachsens Umweltminister Herr fWolfram Günther (B90/Die Grünen). Foto: Sabine Eicker
Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (B90/Die Grünen). Foto: Sabine Eicker

Die EU-Verordnung

Die „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ wurde im Juni 2022 erstmals von der EU-Kommission vorgestellt. Mit dem nun beschlossenen Renaturierungsgesetz haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um Wiederherstellungspläne für die Ökosysteme aufzustellen, der erste Plan mit Zielerreichung bis zum Jahr 2030. Die Mitgliedstaaten können dabei die Ziele und Maßnahmen unter Berücksichtigung der jeweiligen Ausgangssituationen selbstständig definieren.

Das EU-Renaturierungsgesetz verpflichtet die Mitgliedsstaaten:
• nationale Renaturierungspläne zur Renaturierung von mindestens je 20 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 aufzustellen und umzusetzen

• in bestimmten Lebensraumgruppen bis 2050 auf 90 Prozent der Flächen Renaturierungsmaßnahmen zu ergreifen, dazu zählen Feuchtgebiete, Grünland und Kulturlandschaften, Binnengewässer inklusive Auen, Wälder, Steppen und Ödland, Gebirge und Dünen und Meeresökosysteme,

• artenspezifische Maßnahmen zur Biotopvernetzung in den Renaturierungsplänen zu verankern.

Ein Leipziger Agrarbiologe über das neue Gesetz

Und auch die Wissenschaft begrüßt das längst überfällige Gesetz. Auch im Leipziger Umweltforschungszentrum (UFZ) staunte man, dass die umstrittene europäische Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) überraschend die letzte Hürde genommen hat und vom EU-Umweltrat verabschiedet wurde.

Prof. Dr. Josef Settele, Agrarbiologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), erklärt in einem Interview die Verbesserungen, die die Verordnung für den Naturschutz bringt, und warum Renaturierung so wichtig ist.

Warum ist das für den Naturschutz ein besonderer Tag?

Nach der Zustimmung des EU-Umweltrats ist damit endlich gewiss, dass die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in Kraft treten wird. Sie soll dazu führen, dass sich biodiverse und widerstandsfähige Ökosysteme in den Land- und Meeresflächen der EU langfristig und nachhaltig erholen.

Für den Naturschutz ist das ein großer Erfolg, da wir uns endlich in Richtung einer Betrachtung gesamter Landschaften bewegen und einer Integration von Landnutzung, Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität deutlich näher kommen. Nun gilt es, die neue Verordnung zügig in Deutschland umzusetzen.

In ihrer im April veröffentlichten Stellungnahme geben der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) sowie die Wissenschaftlichen Beiräte für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBBGR) und für Waldpolitik (WBW) Hinweise und Empfehlungen dazu, wie dies angesichts bestehender und zukünftiger Flächennutzungskonflikte gelingen kann.

Herr Prof. Dr. Josef Settele. Foto: André Künzelmann/UFZ
Prof. Dr. Josef Settele. Foto: André Künzelmann/UFZ

Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Verbesserungen, die die EU-Verordnung für den Schutz von Ökosystemen und Arten bringt?

Ziele und Inhalte der Verordnung überschneiden sich teils mit bestehenden Plänen, Strategien, Programmen und rechtlichen Vorgaben (UFZ-Pressemittelung zur Publikation Hering et al. 2023). Der nationale Wiederherstellungsplan und auch das hier empfohlene nationale Gesetz bieten die Gelegenheit, diese verschiedenen Prozesse gut miteinander zu verzahnen, inhaltliche Widersprüche zu vermeiden, den Bürokratieaufwand zu minimieren und eine Vernetzung der relevanten Akteure sicherzustellen.

Die Umsetzung dieses Plans könnte u.a. durch ein langfristig ausgestattetes Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz sichergestellt werden. Wesentliche Verbesserungen der Verordnung sind beispielsweise der Schutz der Landschaft als Ganzes unter Berücksichtigung der nachhaltigen Landnutzung. Das soll Garant dafür sein, dass Ökosysteme für unsere und auch nachfolgende Generationen noch funktionieren.

Dazu zählen der Erhalt der Bestäuber, der Schutz von Insekten des Grünlandes und die Erfüllung einer stärkeren Klimaschutzfunktion durch die Ökosysteme.

Die Kernziele der EU-Verordnung wurden durch den Trilog geschwächt. Welche Veränderungen waren am schmerzhaftesten?

Eine Schwächung besteht beispielsweise darin, dass für den Fall, dass in der Landwirtschaft Ertragseinbußen drohen, Maßnahmen ausgesetzt werden können. Hier liegt das überkommene Verständnis zugrunde, dass die Agrarproduktion mithilfe intensiver Inputs wie etwa Düngemittel und Pestizide die einzig erfolgversprechende ist.

Was wir aber brauchen, ist das grundsätzliche Hinterfragen unseres Wirtschaftens – ein Kernelement der Transformation. Allerdings wurde auch manches verbessert im Laufe des Trilogs. So geschehen beim jetzigen Artikel 10, bei dem es um die Bestäuber geht – vermutlich weil fast alle Menschen Bestäuber (Bienen) lieben und es diesen wieder besser gehen soll.

Warum ist die Renaturierung von Ökosystemen überhaupt so wichtig? Welche Ökosysteme und Flächen kommen dafür infrage?

Renaturierung ist wichtig, damit Lebensräume wieder günstige Erhaltungszustände erreichen und dauerhaft leistungsfähige Ökosysteme als natürliche Lebensgrundlagen für den Menschen zur Verfügung stehen. Dafür muss Renaturierung in die Landnutzung integriert werden.

Dafür kommen grundsätzlich nahezu alle Flächen infrage, zumal wenn man die Begriffe „Renaturierung“ und „Wiederherstellung“ (im Englischen „restoration“) wie wir in einem weiten Sinne versteht, sodass auch naturverträglichere Bewirtschaftungsformen darunterfallen.

Es geht also um streng geschützte Gebiete wie z.B. alte Wälder, aber auch um die offene Agrarlandschaft, die es gilt wieder reicher zu strukturieren und für Pflanzen und Tiere zum Beispiel über den Biotopverbund durchlässiger zu machen.

Wie können Renaturierungsziele definiert und der Erfolg von Maßnahmen gemessen werden? 

Wir wollen diese Ziele in einem weiten Sinne verstanden wissen, dass sie auch im Einklang stehen mit dem NRL. Sie schließen also auch naturverträglichere Bewirtschaftungsformen ein.

Zum Messen des Erfolgs werden beispielsweise für die Agrarlandschaft drei Indikatoren vorgeschlagen, von denen zwei bis zum Jahr 2030 einen positiven Trend aufweisen sollen: strukturreiche Agrarlandschaften, erhöhte Kohlenstoffbindung in mineralischen Ackerböden und nicht zuletzt der Indikator der Grünlandschmetterlinge, der im Laufe der vergangenen Jahre durch das Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD), also unter Mitwirkung des UFZ, mitentwickelt wurde und der neben den Vögeln einen der wenigen europaweit verfügbaren Biodiversitätsindikatoren für Tiere darstellt.

Früher legte man eher Wert darauf, Naturschutz per unter Schutzstellung der Flächen zu betreiben. Ist dieser Ansatz noch zeitgemäß?

Das ist im Prinzip nach wie vor zeitgemäß. Es kommt nur darauf an, was man unter Schutz versteht. In unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft können da zu ganz großen Teilen nur extensiv genutzte Systeme verstanden werden, denn ohne zum Beispiel eine extensive Beweidung und Mahd in den Mittelgebirgslagen würden viele, oft aus Naturschutzsicht wertvolle Offenlandschaften verbuschen. Schutz durch Nutzung wäre hier ein passenderer Begriff.

Die Frage stellte die Pressestelle des UFZ.

Die Stellungnahme der Sachverständigen

Die vollständige Stellungnahme der drei Sachverständigenräte – SRU, WBBGR, WBW (2024): Renaturierung: Biodiversität schützen, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften. Stellungnahme. SRU. Berlin: 87 S. – ist unter diesem Link abrufbar.

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